Angela Merkel erinnert sich noch gut. Elf Jahre hatte die FDP nicht mehr regiert, als sie nach der Bundestagswahl 2009 mit der Union über ein gemeinsames Regierungsbündnis zu verhandeln begann. Elf Jahre, in denen sich Konservative und Liberale fremder geworden waren – und entsprechend hart und kompliziert waren die Koalitionsverhandlungen auch. Seitdem allerdings, sagt die Kanzlerin, „haben wir gemeinsam viel dazugelernt“.
FDP kritisiert Wahlversprechen von CDU/CSU
Drei Monate vor der nächsten Wahl sieht es eher nach dem Gegenteil aus. Im Stile einer Oppositionspartei haben die Liberalen am Wochenende das Wahlprogramm ihres Koalitionspartners zerpflückt, von falschen Signalen und vom süßen Gift des Geldausgebens gesprochen, von dem die Union genascht habe. „Viel von der Leyen“ stecke in diesem Papier, legt Generalsekretär Patrick Döring tags darauf nach, aber wenig Ludwig Erhard. Nur die Liberalen stünden für solide Finanzen und haltbare Versprechen.
Bundestagswahl 2013: Das Programm der Union
EUROPA: «Wir stehen für einen starken Euro und stabile Preise.» Eine Vergemeinschaftung von Staatsschulden lehnt die Union ab. Wirtschaftlich schwächelnde Euro-Länder werden zu weiteren Reformen und Anstrengungen aufgefordert. Die Beziehungen zu Frankreich und Polen werden als besonders eng herausgestellt. Eine Vollmitgliedschaft der Türkei lehnt die Union weiterhin ab.
FINANZEN: Die Union will die Neuverschuldung abbauen und durch Umschichtungen im Bundeshaushalt neue Spielräume schaffen. So seien Einsparungen und zugleich Investitionen kein Widerspruch.
MINDESTLOHN: Wo es keine Tarifverträge gibt, sollen Arbeitgeber und Gewerkschaften gesetzlich verpflichtet werden, gemeinsam in einer Kommission einen tariflichen Mindestlohn zu finden - spezifisch nach Regionen und Branchen. «Eine Lohnfestsetzung durch die Politik lehnen wir ab.»
STEUERN: Die Union schließt Steuererhöhungen aus und will Ungerechtigkeiten im System beseitigen (kalte Progression). «Wir wollen deshalb die Leistungsträger in der Mitte unserer Gesellschaft weiter entlasten.» Die Lohnzusatzkosten sollen stabil bleiben.
INVESTITIONEN: Die Ausgaben für den Straßenbau sollen pro Jahr um etwa eine Milliarde Euro steigen. Insgesamt sollen bis 2017 rund 25 Milliarden Euro in die Bundesfernstraßen fließen.
FAMILIE: Das Ehegattensplitting soll um ein Familiensplitting erweitert, Kinder-Freibeträge auf Erwachsenen-Niveau und Kindergeld und Kinderzuschlag angehoben werden.
MIETEN: Die Länder können in Gebieten mit knappem Wohnungsangebot die Grenze für Mieterhöhungen innerhalb von drei Jahren von 20 auf 15 Prozent senken. Bei Neuvermietungen können Erhöhungen auf 10 Prozent oberhalb der ortsüblichen Vergleichsmiete beschränkt werden. Diese Regel soll nicht für Erstvermietungen in Neubauten gelten.
RENTE: Ab 2014 sollen Erziehungszeiten für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden, mit einem zusätzlichen Rentenpunkt belohnt werden. Das entspricht bei zwei Kindern durchschnittlich 650 Euro mehr Rente im Jahr. Ferner sollen Armutsrenten verhindert werden. Jeder, der 40 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt und privat vorgesorgt hat, soll einen Zuschuss zur Rente auf 850 Euro erhalten. Für die 2,6 Millionen Selbstständigen soll eine Altersvorsorgepflicht eingeführt werden.
FRAUENQUOTE: «Wir werden gesetzlich regeln, dass ab 2020 eine feste Quote von 30 Prozent für Frauen in Aufsichtsräten von vollmitbestimmungspflichtigen und börsennotierten Unternehmen gilt.»
ENERGIE: «Wir treiben den Ausbau der Stromnetze voran und entwickeln neue Speichertechnologien.» Die Akzeptanz der Bürger soll dadurch erhöht werden, dass sie Anteile erwerben können und dann sogenannte «Bürgerdividenden» bekommen.
SICHERES DEUTSCHLAND: Die Union plant bessere steuerliche Anreize für Investitionen in die Sicherheit der eigenen vier Wände.
DIGITALISIERUNG: Bis 2018 will die Union flächendeckend ein schnelles Internet verfügbar machen.
Für die FDP bei Umfragewerten um die fünf Prozent ist das Programm der Union eine Steilvorlage. „Etwas Besseres hätte uns nicht passieren können“, sagt ein einflussreicher Freidemokrat. Je großzügiger die Union mit dem Geld von Steuer- und Beitragszahlern um sich werfe, so das Kalkül dahinter, umso überzeugender können die Liberalen sich nun als Stimme der ökonomischen Vernunft in Szene setzen, als Partei der Haushaltsdisziplin und der Marktwirtschaft. Selbst das gemeinsam mit der Union beschlossene Betreuungsgeld stellen die Liberalen mittlerweile wieder infrage.
Bundestagswahl 2013: Das Programm der FDP
SOZIALES: Die FDP will Sozialleistungen für Bedürftige und Arbeitslose in einem liberalen Bürgergeld zusammenfassen.
FAMILIE: Die volle rechtliche Gleichstellung von Homo-Ehen mit der normalen Ehe ist das Ziel der FDP. Nach der Wahl soll auch das Betreuungsgeld überprüft werden.
STEUERN: Die FDP will höhere Steuern verhindern. Bürger und Firmen sollen bei Spielräumen entlastet, der "Soli" ab 2014 abgebaut werden. Das Ehegattensplitting bleibt, die Erbschaftsteuer wird umgebaut.
EURO: Ein stabiler Euro ist deutsche Staatsräson. Der Schutz vor Inflation gehört ins Grundgesetz. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss unabhängig bleiben.
ZUWANDERUNG: Deutschland braucht Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. Die FDP setzt sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ein.
HAUSHALT: Die schwarze Null beim Staatsdefizit und der folgende Schuldenabbau sollen so schnell wie möglich kommen.
EUROPA: Die Europäische Union (EU) soll auf lange Sicht per Volksabstimmung ein europäischer Bundesstaat werden.
MINDESTLOHN: Die FDP erlaubt wie CDU/CSU weitere Lohnuntergrenzen, aber regional und auf Branchen begrenzt. Einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn will die Partei nicht.
BANKEN: Die FDP ist für Kontrolle, aber gegen neue Steuern für Großbanken. Aktionäre von Börsen-Konzernen erhalten mehr Rechte zur Kontrolle von Managergehältern.
ENERGIE: Die Stromsteuer soll sinken und die Ökostromförderung (EEG) radikal reformiert werden. Industrie-Rabatte verteidigt die FDP.
RENTE: Eine starre Altersgrenzen wie bei der Rente mit 67 halten die Liberalen für falsch. Arbeitnehmer sollen ab dem 60. Lebensjahr frei über den Renteneintritt entscheiden können.
FRAUEN: Die FDP will mehr Frauen in Führungsverantwortung. Eine feste Quote lehnt sie jedoch ab.
DATENSCHUTZ: Die FDP kämpft weiter gegen anlasslose Vorratsdatenspeicherung und mehr Video-Überwachung. (dpa)
„Wir haben nicht das Ziel, eine bessere CDU zu sein“, betont FDP-Chef Philipp Rösler. Dass seine Freien Demokraten den Konservativen im Streit um den Mindestlohn zuletzt weit entgegengekommen sind, um sich nicht ins politische Abseits zu manövrieren, sagt der Wirtschaftsminister lieber nicht. Im Wahlkampf kommt es schließlich auf die Unterscheidbarkeit an.
Große Diskrepanzen zwischen den Koalitionspartner FDP und Union
Nüchtern betrachtet sind die Schnittmengen der Liberalen mit der Union allerdings noch immer deutlich größer als mit den anderen Parteien – weshalb Rösler von einem Ampelbündnis mit Sozialdemokraten und Grünen unter einem Kanzler Steinbrück auch nichts wissen will. So routiniert wie einst unter Helmut Kohl allerdings hat die vermeintliche Wunschkoalition in den vergangenen vier Jahren nur selten gearbeitet. Aus Sicht von CDU und CSU, zum Beispiel, hat Rösler im vergangenen Jahr gegen alle guten Sitten verstoßen, als er die Union düpierte und sogar einen Koalitionsbruch riskierte, um seinen Favoriten Joachim Gauck als Bundespräsidenten durchzusetzen.
Der Konter der Kanzlerin allerdings ließ nicht lange auf sich warten. Auf dem CDU-Parteitag in Hannover seufzte sie: „Gott hat die FDP vielleicht nur erschaffen, um uns zu prüfen.“ Auch das Gerangel der Generalsekretäre Alexander Dobrindt und Christian Lindner nach dem verpatzten Start in die Legislaturperiode ist unvergessen, die sich wechselseitig als „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ beschimpften.
Bundeskanzlerin Angela Merkel: bisher keine Koalitionsversprechen
Anders als im Wahlkampf 2009 haben beide Parteien diesmal auf eine explizite Koalitionsaussage verzichtet. Angela Merkel erklärt das mit der unterschiedlichen Ausgangslage damals: Die Union regierte schon mit der SPD, während die Liberalen noch in der Opposition saßen. Mit dem klaren Bekenntnis zu Schwarz-Gelb habe sie zeigen wollen, dass sie sich nicht auf vier weitere Jahre in der Großen Koalition einrichtet. Mittlerweile jedoch gibt es in CDU und CSU Abgeordnete genug, die sich insgeheim wieder nach der unaufgeregten Behaglichkeit dieser Zeit zurücksehnen. Nur sagen will es keiner so laut, und schon gar nicht öffentlich.
Das Wahljahr 2013: Zahlen und Fakten
2013 stehen in Deutschland fünf große Wahlen an, darunter die Bundestagswahl. Hier die Wahlen im Überblick:
NIEDERSACHSEN: Am 20. Januar entschieden die Wähler zwischen dem erst seit 2010 amtierenden David McAllister (CDU) und seinem SPD-Konkurrenten Stephan Weil. Weil gewann die Wahl.
SCHLESWIG-HOLSTEIN: Am 26. Mai wurden die Kreistage und Gemeindeparlamente neu gewählt.
BAYERN: Die CSU hofft im September auf eine erneute absolute Mehrheit, die sie 2008 spektakulär verloren hat. Unter dem neuen Ministerpräsidenten Horst Seehofer ging sie eine Koalition mit der FDP ein. Eine Neuauflage ist fraglich.
BUNDESTAG: Bei der Wahl im September setzen die Unionsparteien auf die populäre CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin Angela Merkel. Ihr Herausforderer ist der frühere SPD-Finanzminister Peer Steinbrück, der Rot-Grün anstrebt.
HESSEN: Das Wahljahr endet im November oder Dezember in Hessen. Volker Bouffier führt die mit der FDP regierende CDU erstmals als Ministerpräsident in den Wahlkampf. Sein langjähriger Vorgänger Roland Koch hatte sich 2009 behauptet.
Die Kanzlerin ist in solchen Fragen ohnehin leidenschaftslos. Anders als der damalige FDP-Chef Guido Westerwelle vor vier Jahren hat sie die schwarz-gelbe Koalition stets als Zweckbündnis betrachtet und ihr Zustandekommen nicht im ersten Übereifer als „geistig-politische Wende“ überhöht. Auch jetzt, da die FDP sich im beginnenden Wahlkampf als Korrektiv für eine übermütig gewordene Union empfiehlt, bleibt Angela Merkel die Gelassenheit in Person. Das Maß an Gemeinsamkeit, sagt sie nur lapidar, sei mit der FDP sicher deutlich größer als mit Sozialdemokraten oder Grünen. Im Gegensatz zum Kollegen Rösler allerdings hat sie noch eine strategische Alternative.