Großbritannien hat Vertragsänderungen in der Europäischen Union für eine strengere Haushaltspolitik blockiert. Bundeskanzlerin Angela und Frankreichs Staatschef Nicolas Sarkozy streben nun einen neuen Vertrag der 17 Euro-Länder mit sechs kooperationswilligen EU-Staaten schon bis kommenden März an. Im Kampf gegen die schwelende Krise beschloss der EU-Gipfel am Freitagmorgen in Brüssel immerhin eine Schuldenbremse und automatische Strafen für Schuldensünder.
Bundeskanzlerin Merkel lobt den Kompromiss
Die Finanzmärkte reagierten nervös und abwartend. Der deutsche Aktienindex Dax tendierte um seinen Stand vorm Vortag. Auch der Euro lag zum US-Dollar kaum verändert bei etwa 1,3337 Euro. Bundeskanzlerin Merkel lobte den Kompromiss als "sehr gutes Ergebnis". "Wir werden eine neue Fiskalunion schaffen, die zugleich auch eine Stabilitätsunion ist", sagte sie nach den zehnstündigen Verhandlungen, die am Donnerstagabend mit einem Essen begonnen hatten. Der konservative britische Premierminister David Cameron, der unter massiven Druck seiner Europa-skeptischen Partei steht, verhinderte mit weitreichenden Forderungen eine Einigung.
"Es war eine harte Entscheidung, aber die richtige", sagte Cameron in Brüssel. "Was geboten wird, ist nicht im Interesse Großbritanniens, deshalb habe ich nicht zugestimmt." Großbritannien muss den Euro - genau wie Dänemark - nicht einführen. Großbritanniens Außenminister William Hague stellte sich gegen Vorwürfe, sein Land spalte die EU und sei nun isoliert. "Das schließt uns nicht aus dem Club aus", sagte er dem Sender BBC.
Als unzumutbar abgelehnt
Cameron forderte für die von Merkel und Sarkozy vorangetriebenen Vertragsänderungen im Gegenzug weitreichende Sonderregeln für den Finanzplatz London. Das lehnten die EU-Partner als unzumutbar ab. Die Londoner City ist für die britische Volkswirtschaft von sehr großer Bedeutung. Der britische Premier warnte vor rechtlichen Problemen: "Es gibt immer Gefahren, wenn man einen Vertrag innerhalb eines Vertrages schließt." Ungarn stand an der Seite Großbritanniens. Schweden und Tschechien wollen erst die Parlamente zu dem neuen Vertrag hören.
Rettungsschirme, EFSF und ESM
Griechenland-Pleite, Rettungsschirme, Eurobonds, EFSF, ESM: Beim Thema Euro-Krisen schwirren etliche Fachbegriffe herum. Lesen Sie hier in Kurzform, was Sie zum Thema Rettungsschirme wissen müssen.
EFSF steht für Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (European Financial Stability Facility) und ist eine Aktiengesellschaft, die notleidenden Euro-Staaten helfen soll. Sollte ein EU-Land in Not geraten, kann die im Juni 2010 gegründete EFSF Anleihen bis zu 440 Milliarden Euro ausgeben. Dafür haften die Euro-Länder.
Kritik am EFSF: Im Vertrag von Maastricht wurde eine so genannte Nichtbeistands-Klausel (No-bailout-Klausel) vereinbart, die die Haftung der Union oder einzelner Mitgliedstaaten für die Verbindlichkeiten anderer Mitgliedstaaten untersagt. Auf Druck des Nicht-Eurolandes Großbritannien wurde durchgesetzt, dass bei Krediten für Staaten, die Mitglieder der Eurozone sind, nur die übrigen Eurostaaten haften.
Der EFSF soll bis Juni 2013 aktiv bleiben und dann abgelöst werden, nämlich vom ESM.
ESM steht für Europäischer Stabilitäts-Mechanismus und ist der permanente Euro-Rettungsschirm. Seine wichtigsten Instrumente sind Notkredite und Bürgschaften für überschuldete EU-Staaten. Jedes Land, das Hilfe aus dem ESM erhält, muss im Gegenzug bestimmte wirtschaftliche Konsequenzen ziehen.
Kritiker sagen, dass Rettungsschirme und Bürgschaften es Ländern erleichtern, Schulden zu machen. Wenn es wirklich eng wird, treten schließlich die anderen EU-Länder ein und helfen.
Eurobonds: Darunter versteht man eine EU-Staatsanleihe. Das bedeutet, die Länder der EU würden gemeinsam Schulden aufnehmen - und auch gemeinsam für sie haften. Hinter der Idee steht die Hoffnung, dass die Kreditwürdigkeit der Eurozone als Ganzes von den Finanzmärkten und den Ratingagenturen höher eingeschätzt wird als die seiner einzelnen Mitgliedstaaten.
Die Befürworter dagegen erklären, dass notleidenden EU-Staaten geholfen werden muss. sie warnen vor einem Domino-Effekt. Heißt: Wenn ein Land tatsächlich pleite geht, reißt es andere Länder mit sich.
"Es war nicht möglich, Einstimmigkeit zu erzielen", erklärte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso. "Es ist eine angemessene Entscheidung." Sarkozy ergänzte, Großbritannien habe in der Debatte "inakzeptable Forderungen" gestellt. Im Fall Ungarn meinten Diplomaten aber, dass sich die Regierung in Budapest noch bewegen könnte.
Van Rompoy: Geschwindigkeit ist wichtig"
EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy sagte: "Verträge zwischen Regierungen können schneller gebilligt werden als Vertragsveränderungen. Geschwindigkeit ist wichtig, um glaubwürdig zu sein." Das nun anstehende Vorgehen innerhalb der Eurogruppe birgt nach Ansicht von Experten zahlreiche rechtliche Probleme, denn die Bestimmungen dürfen Regeln der EU-Verträge nicht widersprechen.
Euro-Krise: Diese Finanzbegriffe sollten Sie kennen
Staatsanleihen: Sie sind für Staaten die wichtigsten Instrumente, um ihre Finanzierung langfristig sicherzustellen. Der ausgebende Staat sichert in der Regel die Rückzahlung der Summe plus einen festen Zinssatz zu einem festgelegten Zeitpunkt zu. Die Laufzeiten liegen bei bis zu 30 Jahren.
Auktion: Dies ist der bevorzugte Weg für Staaten, um ihre Schuldpapiere zu verkaufen. Einige Tage vor dem Verkauf werden Summe und Laufzeiten der Anleihen bekannt gemacht. An einem festgelegten Tag können dazu berechtigte Investoren ihre Gebote abgeben. Die Bieter mit den günstigsten Geboten erhalten den Zuschlag. In der Euro-Krise haben einige Staaten, darunter auch Deutschland, bei Auktionen auch schon nicht genug Käufer gefunden. Andere Staaten mussten höhere Zinsen als geplant bieten, um ihre Papiere loszuwerden.
Primär- und Sekundärmarkt: Die Neuausgabe von Staatsanleihen wird als Primärmarkt bezeichnet. Danach werden sie wie gewöhnliche Wertpapiere weitergehandelt, am sogenannten Sekundärmarkt. Er funktioniert wie ein Gebrauchtwarenmarkt - bereits ausgegebene Staatsanleihen werden während ihrer Laufzeit weiterverkauft. Dabei können sie im Laufe der Zeit an Wert zunehmen oder verlieren. Ein Verkauf vor Ablauf der Laufzeit kann also Gewinn bringen - oder Verlust.
Zins: Dies ist die Summe, die ein Schuldner - bei Staatsanleihen also der Staat - pro Jahr zusätzlich zahlen muss, damit er für eine bestimmte Zeit Geld geliehen bekommt. Bei den Staatspapieren haben die Zinsen für kriselnde Länder wie Italien in den vergangenen Wochen ständig neue Höchstwerte erreicht. Bei einer Neuausgabe zehnjähriger Staatsanleihen musste das Land zuletzt mehr als sieben Prozent Zinsen bieten - schon sechs Prozent Zinsen gelten als kritischer Wert, ab dem Länder wie Irland oder Griechenland um internationale Hilfe bitten mussten.
Rating: Rating ist das englische Wort für Bewertung. Es wird für die Noten benutzt, die Prüfunternehmen - die Ratingagenturen - vergeben, um die Kreditwürdigkeit von Staaten zu beurteilen. Verschlechtern diese Unternehmen etwa wegen hoher Schulden die Note eines Landes, ist von einer Herabstufung die Rede. Das betroffene Land muss dann höhere Zinsen zahlen, um sich Geld zu leihen.
Rendite: Damit wird im Prinzip der tatsächliche Gewinn bezeichnet, den ein Käufer von Schuldpapieren am Ende eines Jahres macht. Depotgebühren werden dabei eingerechnet genauso wie Kursgewinne oder -verluste. Die Rendite liegt derzeit in der Regel höher als der Zinssatz, der bei der Erstausgabe für die Staatsanleihen festgelegt wurde. Denn aufgrund der krisenhaften Entwicklung verlangen die Investoren am Sekundärmarkt Risikoaufschläge, wenn sie Staatspapiere kaufen. Unterm Strich zahlen sie damit für eine Anleihe also einfach weniger - und machen am Ende einen größeren Gewinn. An der aktuellen Rendite orientiert sich der künftige Zinssatz, der für neue Staatsschuldtitel bezahlt werden muss.
Spread: Damit wird der Unterschied am Markt bei der Rendite von zwei Staatsanleihen angegeben. Dieser Wert, der in Basispunkten oder Prozentpunkten angegeben wird, ist umso höher, je größer das Risiko eines Zahlungsausfalls eines Landes ist. In der Euro-Krise sind die zehnjährigen Staatsanleihen Deutschlands ein Referenzwert, weil diese als besonders sicher gelten: Wenn also der «Spread» für Frankreich auf zwei Prozentpunkte steigt, dann bedeutet dies, dass das Land einen um diesen Wert höheren Zinssatz als Deutschland bei einer Neuausgabe von Schuldpapieren zahlen muss.
Die 27 Staats- und Regierungschefs vereinbarten kurzfristige Maßnahmen, um das Vertrauen der Finanzmärkte in den Euro zurückzugewinnen. So sollen für den Internationalen Währungsfonds (IWF) 200 Milliarden Euro verfügbar werden, mit denen der Fonds Eurostaaten in Not beistehen kann. Das Geld soll von den Zentralbanken zur Verfügung gestellt werden. Die Gipfelrunde vereinbarte zudem, dass die Ausleihkapazität des Krisenfonds für klamme Eurostaaten (EFSF) mit eines Kredithebels ausgeweitet wird. Geplant ist eine Verdreifachung auf etwa 750 Milliarden Euro. Der dauerhafte Europäische Stabilitätsmechanismus ESM soll um ein Jahr auf Juli kommenden Jahres vorgezogen werden.
EU: Einbeziehung von Banken und Versicherungen ein Fehler
Die EU gesteht ein, dass die Einbeziehung von Banken und Versicherungen bei der Rettung Griechenlands ein Fehler war. Dieses Verfahren soll nicht mehr für andere Länder angewendet werden, da es zur Verunsicherung der Märkte führte. Keine Einigung gab es in der Debatte um gemeinschaftliche europäische Anleihen, sogenannte Eurobonds. Van Rompuy, Barroso und Eurogruppenchef Jean-Claude Juncker werden bis zum nächsten Juni einen Bericht dazu vorlegen.
Das Gipfel-Paket zur Eurorettung
Die Eurostaaten bieten im Kampf gegen die Schuldenkrise ein umfassendes Paket auf. Das Ziel lautet, verloren gegangenes Vertrauen an den Finanzmärkten wieder herzustellen. Als wichtigstes Instrument brachte der EU-Gipfel in Brüssel einen beispiellosen Pakt für mehr Haushaltsdisziplin auf den Weg.
SCHULDENBREMSE: Alle am Pakt beteiligten Staaten sollen grundsätzlich ihren Haushalt ausgleichen oder einen Überschuss erwirtschaften. Bei Überschreiten einer bindenden, einheitlichen Schuldengrenze greift automatisch ein Korrekturmechanismus, der in der Verfassung oder auf ähnlicher Ebene festgeschrieben ist. Der Europäische Gerichtshof soll die Umsetzung der Regel überwachen können. Die Schuldenbremse war eine zentrale Forderung Deutschlands und Frankreichs.
AUTOMATISCHE SANKTIONEN: Überschreitet das Defizit eines Staates die Obergrenze von drei Prozent der Wirtschaftsleistung, greifen automatisch Sanktionen. Diese sind nur mit einer Zwei-Drittel- Mehrheit der EU-Finanzminister zu stoppen. Bisher war das nicht möglich. Auch dies hatten Berlin und Paris gefordert.
PRIVATE GLÄUBIGER: Bei Staatspleiten wollen die Europäer künftig Rettungslösungen möglichst ohne Beteiligung privater Gläubiger wie Banken und Versicherungen finden. Man werde sich am Internationalen Währungsfonds IWF orientieren - somit hängt es vom Einzelfall ab, ob es zu einem Schuldenschnitt wie im Fall Griechenlands kommt oder nicht. Dies ist ein Rückschlag für Deutschland, das stets darauf pochte, die Kosten der Rettung nicht nur dem Steuerzahler aufzubürden.
HEBELUNG DES KRISENFONDS EFSF: Da der Krisenfonds nicht ausreicht, werden seine Restmittel mittels eines Kredithebels vermehrt. Nach einem Beschluss der europäischen Finanzminister soll die Summe von 250 auf mindestens 750 Milliarden Euro gehebelt werden. Die EU-Chefs beschlossen, dass der Hebel «zügig eingesetzt» wird. Arbeitsfähig soll der Hebel Anfang nächsten Jahres sein.
KRISENFONDS ESM: Der dauerhafte Krisenmechanismus zur Rettung klammer Eurostaaten wird um ein Jahr auf Juli 2012 vorgezogen. Im März 2012 wird überprüft, ob die Ausstattung des ESM von 500 Milliarden Euro ausreicht. Dies hatte EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy vorgeschlagen. Deutschland lehnte einen Parallelbetrieb von EFSF und ESM strikt ab. Die ursprünglich von Frankreich geforderte Banklizenz für den ESM wird im Abschlusskommuniqué nicht erwähnt.
IWF: Die Europäer wollen den Währungsfonds stärker bei der Rettung einbeziehen. Innerhalb von zehn Tagen wollen die EU-Länder prüfen, ob sie dem IWF über ihre Notenbanken zusätzliche Mittel von bis zu 200 Milliarden Euro bereitstellen. Mit dem Geld könnte der IWF Programme für Krisenländer finanzieren. Von nicht-europäischen Staaten erhofft man sich ebenfalls einen Beitrag.
EUROBONDS: Solch gemeinsame Staatsanleihen aller Euro-Staaten sind umstritten. Vor allem Berlin und Paris lehnen die Vergemeinschaftung von Schulden ab. Die EU-Kommission hat bereits einen Vorschlag vorgelegt. Der Gipfel hält diese Option offen, auch wenn die Schlusserklärung Eurobonds nicht ausdrücklich nennt. «Auf längere Sicht werden wir weiter darüber beraten, wie wir die fiskalpolitische Integration weiter vertiefen können», heißt es darin. Im März werde EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy Vorschläge dazu vorlegen.
Der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, lobte die Vereinbarung. "Das ist ein sehr gutes Ergebnis für die Eurozone. Das kommt einem guten Haushaltspakt sehr nahe." Draghi macht einen verbindlichen Pakt zur Voraussetzung für ein weiteres Eingreifen der EZB auf den Märkten, beispielsweise beim Anleihenkauf von angeschlagenen Staaten wie Spanien und Italien. (dpa)