Wie zwei Züge, die auf demselben Gleis aufeinander zurasen, verhalten sich derzeit Spaniens Regierung in Madrid und die Regionalregierung in Barcelona. Deswegen wird es am Sonntag zum Crash kommen. Die von Nationalisten angeführte Provinzverwaltung will über die Unabhängigkeit Kataloniens abstimmen lassen, die Zentralgewalt möchte dies um jeden Preis verhindern.
Ein Separatist inszeniert sich als tragischer Held
Madrid hat das Recht auf seiner Seite: Die Verfassung von 1978, in der den Regionen Autonomierechte zugestanden wurden, sieht keine Abstimmungen über einen Austritt aus dem Königreich vor. Deswegen hat auch das spanische Verfassungsgericht das vom Regionalparlament in Barcelona beschlossene Referendumsgesetz für ungültig erklärt. Ministerpräsident Mariano Rajoy will das exekutieren: Notfalls mit Polizeigewalt will er am Sonntag verhindern, dass Stimmzettel abgegeben und ausgezählt werden. Da sich die Zentralregierung nicht sicher sein kann, dass die katalanische Polizeitruppe Mossos d’Esquadra die Befehle aus Madrid befolgen wird, wurden zusätzliche Einheiten der Nationalpolizei und der Guardia Civil nach Katalonien geschickt. Am Sonntag könnte es zu einem wüsten Gerangel um Wahlurnen und Stimmzettel kommen.
Derweil setzt sich der Chef der Regionalregierung, der katalanische Nationalist Carles Puigdemont, als Unabhängigkeitskämpfer in Szene. Je mehr Druck aus Madrid ausgeübt wird – zuletzt wurde ihm sogar die Festnahme angedroht –, desto trotziger reagiert der Separatist. „Ich bestätige, dass es Urnen und Wahlzettel geben wird“, sagt Puigdemont. „Und noch wichtiger für die Abhaltung eines Referendums: Es wird Wähler geben.“
Was steckt hinter dem Unabhängigkeitsstreben?
Viele Katalanen fühlen sich aufgrund ihrer Geschichte, kulturellen Besonderheiten und der katalanischen Sprache als eigene Nation. Hinzu kommt, dass sich die wohlhabende Region im Nordosten Spaniens mit ihren Touristengebieten (Costa Brava) und ihrer Industrie (Seat-Autofabriken) im spanischen Staat mitunter wie eine Melkkuh behandelt fühlt. Auch wurde der Wunsch, Katalonien als „Nation“ zu bezeichnen, rüde zurückgewiesen. Dennoch existiert kein einhelliger Wunsch nach Abspaltung. Höchstens die Hälfte der Einwohner will offenbar weg von Spanien.
Die Separatisten wagen einen Ritt auf der Rasierklinge. Bei den letzten Regionalwahlen erhielten die Parteien, die für die Unabhängigkeit eintreten, nur eine knappe Mehrheit im Parlament, aber nicht einmal die meisten Stimmen. Mit der überhasteten Inszenierung des Referendums verdecken diese Politiker, dass sie über kein schlüssiges Konzept für einen unabhängigen Staat „Catalunya“ verfügen. Und sie lenken von anderen Problemen wie der grassierenden Korruption ab. Geht es Puigdemont nur darum, sich als „tragischen Helden“ zu inszenieren? Als ein Andreas Hofer von Katalonien?
Referendum bringt kein demokratisches Ergebnis
Unter den aktuellen Bedingungen wird das Referendum nie und nimmer ein demokratisch sauberes Ergebnis bringen. Wer gegen die Abspaltung ist, wird an der illegalen Aktion erst gar nicht teilnehmen. Sollte zwei Tage später die Unabhängigkeit ausgerufen werden, wäre dies ein schlechter Witz. Die Zentralregierung würde dem mit Recht nicht tatenlos zusehen.
Bisher hat es im Zusammenhang mit dem katalanischen Unabhängigkeitsstreben Demonstrationen, aber keine Krawalle und auch keine Terrorakte gegeben. Sollten jetzt Staatsmacht und Separatisten im offenen Konflikt aneinandergeraten, könnte das jedoch den Boden für künftige Gewalt bereiten. Die Verantwortlichen auf beiden Seiten scheinen sich dieser Gefahr gar nicht bewusst zu sein.
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