Laut dem neuen Bundesdrogenbericht wird das Internet für viele immer mehr zu einer Art Droge. Etwa 560 000 Menschen sind demnach „onlineabhängig“, unter den 14- bis 24-Jährigen in Deutschland sollen es rund 250 000 sein. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Mechthild Dyckmans, erklärt, was es mit dieser „Internet-Sucht“ auf sich hat.
Kann man überhaupt von Sucht sprechen, wenn es um die Nutzung von Medien wie dem Internet geht?
Dyckmans: Über die genaue Benennung dieses Phänomens streiten die Wissenschaftler noch. Sicher ist aber, dass Internet-Abhängigkeit eine Erkrankung ist: wenn Menschen das Internet so lange und so intensiv nutzen, dass sie ihr normales Leben außerhalb dieser virtuellen Welt völlig vernachlässigen. Gefährdet sind da offenbar vor allem Jugendliche und junge Erwachsene. Bei den Betroffenen kommt es zu einem Kontrollverlust über die Zeit, die sie im Internet verbringen. Sie gehen nicht mehr zur Arbeit oder zur Schule, vernachlässigen soziale Kontakte und verwahrlosen teilweise sogar körperlich. Wenn mehrere dieser Kriterien gleichzeitig vorliegen, kann es sich um eine Internet-Abhängigkeit handeln. Und das ist dann behandlungsbedürftig.
Anders als etwa Alkohol oder Nikotin hat ein Computer aber keine negativen Folgen auf die Gesundheit . . .
Dyckmans: . . . doch, die hat er, wenn er wirklich zur Sucht wird. Jede Abhängigkeit hat negative Folgen für die Menschen. Wenn sie so verstrickt sind in Online-Spiele oder soziale Netzwerke, vernachlässigen sie ihr reales Leben. Sie bekommen Entzugserscheinungen, wenn man ihnen die Computer oder das Internet verweigert. Sie leiden unter Missstimmung, Angst, Reizbarkeit. Einige werden sogar aggressiv. Diese Menschen sind völlig gefesselt von diesem Medium, der Rest der Welt spielt für sie kaum noch eine Rolle.
Halten Sie das Internet für gefährlich?
Dyckmans: Das Internet übt immer noch eine wahnsinnige Faszination aus. Es ist ja auch ein fantastisches Medium, das uns sowohl in der Arbeitswelt als auch in der Freizeit Möglichkeiten bietet, die wir uns noch vor zwanzig Jahren überhaupt nicht vorstellen konnten. Das Internet kann aber auch zur Gefahr werden. Daher ist es besonders wichtig, dass Menschen, vor allem Jugendliche, lernen, verantwortungsvoll damit umzugehen. Sie sollen Spaß haben mit Internet-Spielen, die es für ihre Altersgruppe gibt, sollen in den sozialen Netzwerken kommunizieren, wenn ihnen das Freude bereitet. Aber sie müssen davor bewahrt werden, sich in einer virtuellen Welt zu verlieren. Denn das Leben findet auch außerhalb dieser virtuellen Welt statt. Das muss man sich und den jungen Menschen deutlich machen.
Wo ist in Bezug auf Internet-Nutzung die Grenze zur Sucht?
Dyckmans: Das hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die reine Zeit, die jemand am Rechner verbringt, ist kein belastbares Kriterium. Problematisch wird es, wenn jemand sich völlig zurückzieht, die Anforderungen des täglichen, sozialen und beruflichen Lebens vollkommen vernachlässigt und die Computer- und Internet-Nutzung nicht von allein einschränken kann. Dann wird es Zeit, etwas zu unternehmen.
Was können Betroffene oder deren Angehörige und Freunde tun?
Dyckmans: Im Zweifel sollten sie sich in jedem Fall an eine Suchtberatungsstelle wenden. Es gibt inzwischen schon viele solcher Stellen, die sich auf Internet-Sucht eingestellt haben. Oft wird es so sein, dass der Suchtberater die Angehörigen – in der Regel dürften es ja die Eltern sein – beruhigen kann. Aber um die Sicherheit zu haben und um sich zu informieren, sollten sich Eltern beraten lassen.