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Kriminalität: Gehen weitere Anschläge auf das Konto des Nazi-Trios?

Kriminalität

Gehen weitere Anschläge auf das Konto des Nazi-Trios?

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    Eine mit der Mordwaffe baugleiche Pistole im Polizeipräsidium in Dortmund vor Porträts von Opfern der so genannten Döner-Morde. Archivfoto: Bernd Thissen dpa
    Eine mit der Mordwaffe baugleiche Pistole im Polizeipräsidium in Dortmund vor Porträts von Opfern der so genannten Döner-Morde. Archivfoto: Bernd Thissen dpa

    Gleichzeitig wird über Pannen bei Polizei und Verfassungsschutz spekuliert. Die mutmaßlichen Täter legten laut "Spiegel" vor ihrem Tod ein Geständnis ab und kündigten weitere Attentate an. Die Behörden überprüfen nun bundesweit auch andere ungeklärte Anschläge mit ausländerfeindlichem oder rassistischem Hintergrund der letzten Jahre.

    Die Bundesanwaltschaft wirft drei Rechtsextremisten aus Jena zehn Morde vor: Opfer waren zwischen 2000 und 2006 acht türkische und ein griechischer Kleinunternehmer sowie 2007 eine aus Thüringen stammende Polizistin in Baden-Württemberg. Das Trio - zwei Männer hatten sich laut Polizei vor einer Woche erschossen, eine Frau wurde verhaftet - war den Behörden bereits in den 90er Jahren wegen Verbindungen zum rechtsextremen "Thüringer Heimatschutz" bekannt, verschwand dann aber aus dem Blick der Verfassungsschützer.

    Im abgebrannten Haus der Gruppe im sächsischen Zwickau fanden die Ermittler nicht nur die Pistole, mit denen die Döner-Morde verübt wurden, sondern auch DVDs. Darauf bekennen sich die beiden Männer dem "Spiegel" zufolge zu den Morden sowie einem Nagelbombenanschlag in einer überwiegend von türkischen Einwanderern bewohnten Straße in Köln 2004 und kündigten weitere Anschläge an. Sie erklärten zudem, ihre Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" sei ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz Taten statt Worte". Nach Erkenntnissen der Ermittler sollten die DVDs an Medien und islamische Kulturzentren verschickt werden.

    Laut "Bild am Sonntag" will die verhaftete Frau nur aussagen, wenn ihr als Kronzeugin Strafmilderung zugesichert wird. Das Blatt beruft sich auf Ermittlerkreise.

    Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger (SPD) sprach von Terrorismus. Die Täter hätten mindestens 13 Jahre lang über das Bundesgebiet verteilt schwere Straftaten begangen, sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Da ist die Grenze zum Terrorismus sicherlich erreicht, wenn nicht sogar überschritten." Auch der niedersächsische Verfassungsschutz, Grüne und Linke warnten vor einer völlig neuen Dimension rechter Gewalt.

    "Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich aus all dem noch ein Verfassungsschutzproblem ergibt", sagte der Unions-Innenexperte Hans-Peter Uhl der "Mitteldeutschen Zeitung". Möglicherweise habe der Geheimdienst mehr über die Hintergründe der Taten gewusst, als bisher bekannt sei. Auch Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) hegt Zweifel am Vorgehen der Behörden. Auf die Frage, ob die thüringischen Behörden damals fehlerfrei gehandelt haben, sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung": "Ich habe meine Zweifel."

    In Sicherheitskreisen wird spekuliert, die drei mutmaßlichen Täter könnten vom Verfassungsschutz eine neue Identität erhalten und dann als Verbindungsleute in der rechten Szene geführt worden sein. Der Thüringer Verfassungsschutz hat allerdings keine Hinweise darauf. Präsident Thomas Sippel räumte in einem "Focus"-Interview allerdings ein, dass bei einer Überprüfung im Jahr 2000 "letzte Zweifel nicht beseitigt" worden seien. Auf die Frage, ob er sich vorstellen könne, das sein Amtsvorgänger Helmut Roewer Quellen auf eigene Rechnung geführt habe, antwortete Sippel laut "Focus": "Das wäre sehr ungewöhnlich. Aber es wäre denkbar."

    Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe hat zurzeit keine Hinweise, dass außer dem Jenaer Neonazi-Trio noch andere Täter in die Döner-Mordserie verstrickt waren. Ihr Umfeld werde untersucht, sagte ein Sprecher der Nachrichtenagentur dpa. "Focus" hatte zuvor berichtet, ein 37-Jähriger aus Niedersachsen habe den Verdächtigen vor Jahren gegen Geld seinen Personalausweis überlassen.

    Die Döner-Morde

    Die Morde an acht türkischen und einem griechischen Staatsangehörigen in den Jahren 2001 bis 2006 wurden unter den sogenannten Döner-Morden als Serie erfasst.

    Am 9. September 2000 wird in Nürnberg der Blumengroßhändler Enver Simsek an seinem Arbeitsplatz mit Kugeln aus zwei Waffen erschossen. Er war türkischer Staatsangehöriger.

    Mehrere Monate später, am 13. Juni 2001, wird ebenfalls in Nürnberg der Schneider Abdurrahim Özüdogru mit zwei Kopfschüssen getötet. Er war allein an seinem Arbeitsplatz.

    Schon wenige Tage später, am 27. Juni 2001, wird in Hamburg der Gemüsehändler Süleyman Taskörpü erschossen.

    Am 29. August 2001 fällt der Gemüsehändler Habil Kilic in München einem unbekannten Killer zum Opfer.

    Am 25. Februar 2004 schlägt der Mörder nach einer längeren Pause wieder zu und tötet in Rostock den Döner-Verkäufer Yunus Turgut.

    Erneut vergeht eine längere Pause, ehe am 9. Juni 2005 der Dönerbudenbesitzer Ismail Yasar erschossen aufgefunden wird. Tatort war wieder Nürnberg.

    Knapp eine Woche später, am 15. Juni 2005, wird der aus Griechenland stammende Theodoros Boulgarides erschossen. Er arbeitete für einen Schlüsseldienst in München.

    Nach einer mehrmonatigen Pause wird in Dortmund am 4. April 2006 der Kioskbesitzer Mehmet Kubasik getötet.

    Schon zwei Tage später wird in Kassel der 21-jährige Halit Yozgat in seinem Internet-Café erschossen.

    Alle neun wurden mit einer Pistole der tschechischen Marke Ceska mit Schalldämpfer am helllichten Tag regelrecht hingerichtet.

    Grünen-Chef Cem Özdemir äußerte Unverständnis über das bisherige Agieren der Ermittlungsbehörden: "Wie konnten die mutmaßlichen Täter jahrelang aus offenbar rechtsextremen Motiven morden, ohne dass Polizei und Verfassungsschutz auch nur die leiseste Ahnung hatten?", fragte er in der "Welt am Sonntag". Der Vorsitzender des für die Kontrolle der Geheimdienste zuständigen Parlamentarischen Gremiums, Thomas Oppermann (SPD), zeigte sich entsetzt. "Der Thüringer Verfassungsschutz hatte 24 Aktenordner, aber keine Ahnung." Linke-Chef Klaus Ernst sprach bei n-tv von einem Skandal.

    Der Berliner Rechtsextremismus-Experte Bernd Wagner sieht ein hohes Gewaltpotenzial bei militanten Rechtsextremisten. "Dabei geht es auch um Morde", sagte er im dpa-Gespräch. Von einem rechtsterroristischen Netzwerk in Deutschland geht Wagner nicht aus. "Gleichwohl gibt es Gruppen, die daran arbeiten, terrorismusfähig zu werden." Sie agierten im Untergrund und versuchten häufig, sich Waffen und Sprengmittel zu beschaffen. "Das Motiv ist immer gleich: ein militärisch organisierter Partisanenkampf gegen die Demokratie und gegen Ausländer." Bekennerschreiben seien selten.

    "Wenn sich der Verdacht bestätigt, haben wir es mit dem schlimmsten Fall rechtsextremistischer Gewalt in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten zu tun", sagte der Präsident des Verfassungsschutzes Niedersachsen, Hans-Werner Wargel der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (Samstag). Den Sicherheitsbehörden sei zwar bekannt gewesen, dass Rechtsextremisten gut mit Waffen und Sprengstoffen ausgerüstet seien. Konkrete Hinweise auf gezielte Morde habe es bislang aber nicht gegeben. "Angesichts dieser völlig neuen Qualität ist es durchaus gerechtfertigt, hier von rechtsterroristischen Taten zu sprechen", sagte Wargel.

    Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) forderte eine zügige und umfassende Aufklärung. "Das, was bisher berichtet wird, ist beunruhigend", sagte sie am Rande des FDP-Parteitages in Frankfurt. Insbesondere müsse untersucht werden, ob die Verdächtigen zu einem rechtsextremen, bedrohlichen Netzwerk gehörten oder nicht. (dpa)

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