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Bundeswehr: Die unsichtbare Gefahr

Bundeswehr

Die unsichtbare Gefahr

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    Augsburg Unsichtbar, aber effektiv: Im Kalten Krieg spielte die Radartechnik eine große Rolle. Und so hegten und pflegten die Soldaten in den beiden deutschen Frontstaaten von den 50er Jahren an das strahlende Kriegsgerät. Was die Männer nicht wussten: Sie waren einer enorm hohen Röntgenstrahlung, aber auch Mikrowellen schutzlos ausgesetzt. Wissenschaftler berichten von Fällen, in denen Wartungstechniker in nur wenigen Minuten ein Quantum abbekamen, das über den medizinisch empfohlenen Grenzwerten für ein ganzes Jahr lag. Die Folge: Krebs oder andere Erkrankungen und in hunderten von Fällen der Tod der Soldaten.

    Oft müssen Betroffene Jahre um Entschädigung kämpfen, häufig vergeblich. Ausgebremst von einer mitunter sturen Bürokratie, aber auch durch die Schwierigkeiten, justizfest nachzuweisen, dass die Gesundheitsschäden tatsächlich auf die Arbeit an den Radargeräten zurückzuführen sind. Von den 3850 Betroffenen erhalten aktuell 720 eine offizielle Entschädigung – das sind knapp 20 Prozent. Die Verzweiflung, ja Verbitterung bei den Soldaten und deren Familien wächst. Der harte Vorwurf machte die Runde, dass die Politik das Thema aussitze, um eine „biologische Lösung“, sprich den Tod der Todkranken, abzuwarten. Kaum jemand bestreitet heute ernsthaft, dass der Umgang mit den Opfern der Radartechnik über Jahre hinweg unverantwortlich, ja skandalös war.

    Seit Dienstag soll eine Härtefall-Stiftung (siehe Infokasten) die Lage der Betroffenen verbessern. Die Gründung fand in der Politik und bei Verbänden ein positives Echo. Von seiner „Freude, dass die Stiftung jetzt endlich ins Leben gerufen wurde“, sprach der Chef des Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch.

    Ausdrücklich würdigt Kirsch die Rolle, die der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Christian Schmidt, bei der Schaffung der Stiftung gespielt hat. Der CSU-Politiker hat sich jahrelang beharrlich für das Projekt eingesetzt. Der SPD-Wehrexperte im Bundestag, Rainer Arnold, lobt im Gespräch mit unserer Zeitung die Stiftung als Instrument, um das Leid von an Körper oder Seele verletzten Soldaten zu lindern. Allerdings hätte Arnold „ein paar Millionen Euro Kapital zusätzlich“ gerne gesehen.

    Für Dieter Neumann ist das eine glatte Untertreibung. „Das ist doch ein Witz. Ich fühle mich verarscht“, sagte er unserer Zeitung. Besonders ärgert den Friedberger, dass die Stiftung für alle denkbaren Härtefälle eingerichtet wird. „Es wird viel zu viel hineingepackt.“ Der 50-Jährige wurde bereits mehr als 30 Mal operiert. Er leidet unter der Missbildung von Extremitäten, ist auf einen Hightech-Rollstuhl angewiesen. Sein Fall ist außergewöhnlich, denn es war sein Vater, der Soldaten schulte und dabei regelmäßig Strahlungen ausgesetzt war. Dennoch erkrankte der Vater nicht. Der Sohn jedoch kam mit schwersten Schäden zur Welt. Neumann ist davon überzeugt, dass die Strahlung das Sperma seines Vaters genetisch verändert hat und so für die Missbildungen verantwortlich ist. Eine wachsende Zahl von Ärzten und Wissenschaftlern glaubt, dass er recht haben könnte. Doch Neumann kämpft seit Jahren so erbittert wie erfolglos um eine Entschädigung.

    Ein Problem ist, dass sein Fall nicht durch den „Radarbericht“ von 2003 erfasst wird. Auf Empfehlung einer Expertenkommission wurde dort festgelegt, dass diejenigen entschädigt werden, die bis 1975 bei der Bundeswehr als Radartechniker gearbeitet haben und an Krebs erkrankt sind. Wer nicht darunter fällt, muss sein Recht erstreiten. Mit sehr ungewissen Erfolgsaussichten.

    Daher fordert der Vorsitzende des „Bundes zur Unterstützung Radargeschädigter“, Dietmar Glaner, eine Erweiterung der Kriterien im Radarbericht. Glaner arbeitete als Soldat an den Radargeräten der Starfighter. Nach der Diagnose Knochenkrebs musste sein Unterarm amputiert werden. „Warum werden nicht auch Piloten erfasst? Warum werden nicht Soldaten mit einbezogen, die andere Krankheiten als Krebs davongetragen haben, wie die unheilbare Amyotrophe Lateralsklerose?“, fragt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Immerhin habe er die Zusage von Staatssekretär Schmidt, dies zu prüfen.

    Auf Forderungen, die Stiftung mit deutlich mehr Kapital auszustatten, angesprochen, sagt Schmidt: „Man kann natürlich jede Summe kritisieren. Aber ich meine, das ist doch endlich einmal ein Anfang.“ Der Vorteil des Stiftungsmodells sei, dass flexibel geholfen werden könne. Gleichzeitig stellt Schmidt klar, dass die Stiftung keine „Revisionsstelle für diejenigen sein soll, deren Anträge abgelehnt worden sind“. Ein Punkt, der auch Glaner – wenn auch aus einem anderen Blickwinkel heraus, wichtig ist: „Ich appelliere an alle Betroffenen, unabhängig von der Gründung der Stiftung: Kämpft Eure Fälle weiter bei Behörden und Gerichten durch!“ Was aber hält er selber von dem Hilfsfonds? Glaner wird in den Vergabeausschuss der Stiftung einziehen. Ein klareres Statement für das Projekt kann es kaum geben.

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