Die Kanzlerin kam entspannt im mintgrünen Blazer - und verteilte Autogramme an Touristen. Doch zu den Attacken des Koalitionspartners FDP, die Union habe angesichts der milliardenschweren Wahlversprechen wohl die Spendierhosen angezogen, wollte Angela Merkel dann doch nichts sagen. Wortlos verschwand die CDU-Chefin in der Humboldt-Box am geschichtsträchtigen Berliner Schlossplatz.
CDU und CSU dürften sich das futuristisch wirkende Gebäude mit Bedacht für ihren Beschluss über das Programm zur Bundestagswahl gewählt haben. Das geplante Humboldt-Forum rund um den Weltenforscher Alexander von Humboldt ist schließlich als Zukunftsprojekt gedacht. Das sollte wohl aufs Wahlprogramm abfärben.
Schwer zu sagen, ob die Verabschiedung des Programms Merkel nach einer solchen Woche noch vom Hocker reißt. Erstens hat die Kanzlerin vom G8-Gipfel am Montag und Dienstag über den Berlin-Besuch von US-Präsident Barack Obama am Mittwoch bis zum turbulenten Freitag mit Russlands Staatschef Wladimir Putin große internationale Politik gemacht. Da könnten ihr Unionspläne etwa zur besseren Diebstahlsicherung in Eigenheimen vergleichsweise einfach vorkommen.
Die Union lässt Merkel machen
Zweitens aber haben Parteimitglieder schon länger das Gefühl, dass die CDU-Chefin es ohnehin so macht, wie sie es für richtig hält. Ob mit Wahlprogramm oder ohne. Und darüber sind nicht wenige in der Partei sogar ganz froh. Denn drei Monate vor der Bundestagswahl läuft es gut für die Union. Sie liegt weit vor der SPD, und wenn die FDP den Wiedereinzug in den Bundestag schafft, sieht derzeit alles nach einer Fortsetzung von Schwarz-Gelb aus.
Die guten Werte hat die Union nach parteiinterner Einschätzung hauptsächlich wegen Merkel, die in der Bevölkerung Anerkennung und Vertrauen genießt. Das liegt Umfragen zufolge zu einem großen Teil an ihrer Euro-Politik. Aber ihre Persönlichkeit dürfte ebenso eine Rolle spielen. Mag die Kanzlerin auch eine Politikerin ohne große Visionen sein und eine Politik der kleinen Schritte bevorzugen. Sie ist eine Staaten- und Parteilenkerin ohne Skandale, die Menschen erkennen an ihr auch keinen Dünkel und keine Eitelkeit. Das ist selten in einem solchen Amt und das gefällt vielen.
Merkel wildert bei der der SPD
Dass Merkel ohne rot zu werden Themen der SPD (und auch Linken) besetzt wie die Mietpreisbremse und den Mindestlohn, findet die Partei nicht schlimm. So spricht die Union in ihrem Wahlprogramm auch nicht einmal mehr schamhaft von Lohnuntergrenze, sondern greift gleich zum Begriff Mindestlohn. Bei den Mieten hat sich der Wirtschaftsflügel der Union mit dem Passus durchgesetzt, dass die Preisbremse nicht bei Erstvermietungen angezogen wird. Hier haben Investoren also weiter Luft nach oben.
Bundestagswahl 2013: Das Programm der FDP
SOZIALES: Die FDP will Sozialleistungen für Bedürftige und Arbeitslose in einem liberalen Bürgergeld zusammenfassen.
FAMILIE: Die volle rechtliche Gleichstellung von Homo-Ehen mit der normalen Ehe ist das Ziel der FDP. Nach der Wahl soll auch das Betreuungsgeld überprüft werden.
STEUERN: Die FDP will höhere Steuern verhindern. Bürger und Firmen sollen bei Spielräumen entlastet, der "Soli" ab 2014 abgebaut werden. Das Ehegattensplitting bleibt, die Erbschaftsteuer wird umgebaut.
EURO: Ein stabiler Euro ist deutsche Staatsräson. Der Schutz vor Inflation gehört ins Grundgesetz. Die Europäische Zentralbank (EZB) muss unabhängig bleiben.
ZUWANDERUNG: Deutschland braucht Zuwanderung qualifizierter Fachkräfte. Die FDP setzt sich für die doppelte Staatsbürgerschaft ein.
HAUSHALT: Die schwarze Null beim Staatsdefizit und der folgende Schuldenabbau sollen so schnell wie möglich kommen.
EUROPA: Die Europäische Union (EU) soll auf lange Sicht per Volksabstimmung ein europäischer Bundesstaat werden.
MINDESTLOHN: Die FDP erlaubt wie CDU/CSU weitere Lohnuntergrenzen, aber regional und auf Branchen begrenzt. Einen bundesweit einheitlichen Mindestlohn will die Partei nicht.
BANKEN: Die FDP ist für Kontrolle, aber gegen neue Steuern für Großbanken. Aktionäre von Börsen-Konzernen erhalten mehr Rechte zur Kontrolle von Managergehältern.
ENERGIE: Die Stromsteuer soll sinken und die Ökostromförderung (EEG) radikal reformiert werden. Industrie-Rabatte verteidigt die FDP.
RENTE: Eine starre Altersgrenzen wie bei der Rente mit 67 halten die Liberalen für falsch. Arbeitnehmer sollen ab dem 60. Lebensjahr frei über den Renteneintritt entscheiden können.
FRAUEN: Die FDP will mehr Frauen in Führungsverantwortung. Eine feste Quote lehnt sie jedoch ab.
DATENSCHUTZ: Die FDP kämpft weiter gegen anlasslose Vorratsdatenspeicherung und mehr Video-Überwachung. (dpa)
Große Projekte, die die Union in ihrer Regierung mit der FDP nicht zustande gebracht hat, tauchen nun im Wahlprogramm wieder auf - das CDU und CSU übrigens Regierungsprogramm nennen. Zum Beispiel die angekündigten Verbesserungen der Renten von Müttern, die vor 1992 Kinder geboren haben und im Gegensatz zu den späteren Jahrgängen nur einen Rentenpunkt pro Kind und nicht drei Punkte bekommen. Ab 2014 sollen sie zwei Punkte erhalten, sagt die Union.
Fragt sich nur, wie das mit der FDP gehen würde, die Merkel nach wie vor als ihren Wunschpartner auch für die nächste Wahlperiode benennt. Die FDP will sich im Wahlkampf als Hüterin über den Haushalt präsentieren und hat sich schon in dieser Legislaturperiode gegen die Mütterrente gestemmt. Sie wirft Merkel vor, für ihre Wahlversprechen sei nicht genug Geld da.
Es zählt nur, was hängen bleibt
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe betonte in einem Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung auf die Frage, ob er wirklich an die höhere Mütterrente glaube: "Für uns ist das jedenfalls ein zentrales Anliegen." So erscheint alles offen, zumal die Union ihre Anliegen unter den Vorbehalt gestellt hat, dass sie in der nächsten Wahlperiode bezahlt werden können. Die höhere Mütterrente hat die CDU schon oft beschlossen, ohne die Ankündigung einzuhalten.
Selbst Vorstandsmitglieder glauben aber, dass die Wähler kein Partei- und Wahlprogramm lesen. Hängenbleiben soll möglichst nur: CDU und CSU tun etwas für die Familien, den Mittelstand und den Straßenbau. Sie werden - anders als SPD und Grüne - keine Steuern erhöhen und sichern in der Eurokrise deutsches Geld. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier nennt das ein Märchenbuch. dpa