Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Atomkraftwerk Gundremmingen: Die Terrormauer und das große Schweigen

Atomkraftwerk Gundremmingen

Die Terrormauer und das große Schweigen

    • |
    Im atomaren Zwischenlager auf dem Gelände des Kernkraftwerks Gundremmingen lagern Castorbehälter mit verbrauchten Brennelementen aus den Kraftwerksblöcken B und C des leistungsstärksten Atomkraftwerks Deutschlands.
    Im atomaren Zwischenlager auf dem Gelände des Kernkraftwerks Gundremmingen lagern Castorbehälter mit verbrauchten Brennelementen aus den Kraftwerksblöcken B und C des leistungsstärksten Atomkraftwerks Deutschlands. Foto: Bernhard Weizenegger

    Wie jeden Sonntag steht das kleine Grüppchen der Mahnwache vor dem zentralen Eingang zum Kernkraftwerk Gundremmingen. Der Wind pfeift eisig durch die Donau-Auen. Trotzdem sind die Kernkraftgegner wach. Hellwach. An der Anlage bemerken sie kleine Veränderungen: Die rotweißen, mit Ketten verbundenen Pfosten etwa, die seit einigen Wochen den Gehweg von der Straße abgrenzen. Oder eine Schranke, die sonst immer geöffnet war, heute aber geschlossen ist. Irgendwie seltsam sei das gewesen, erzählt Thomas Wolf, einer der Demonstranten.

    Ob es Ahnung war oder Zufall – Wolf weiß es selbst nicht. Aber er ist nicht überrascht, als zwei Tage später im Gemeinderat Gundremmingen ein bislang unbekanntes Thema auf den Tisch kommt. Das Atommüll-Zwischenlager am Kraftwerk soll eine neue Stahlbetonabschirmung bekommen: 85 Zentimeter dick, zehn Meter hoch und über 210 Meter lang. Nur einige dürre Zeilen umfasst die Beschlussvorlage, die unserer Zeitung vorliegt. Der Gemeinderat nickt sie ab, irritiert zwar, aber wohl in dem Wissen, dass er ohnehin kaum eine Wahl hat: Ein Veto ist nur bei schweren baurechtlichen Bedenken möglich.

    Der Bürgermeister verweist an des Bundesamt für Strahlenschutz

    Trotz Nachfragen lässt Bürgermeister Wolfgang Mayer (parteilos) die Gründe für die neue Sicherheitsmaßnahme offen und verweist an das Bundesamt für Strahlenschutz. Gestern teilt er den vielen Anrufern nur stereotyp den Satz mit: „Warum jetzt eine Mauer nötig ist, weiß ich auch nicht.“ Mehr Information gibt es nicht. Weitere Fragen bleiben unbeantwortet.

    Auch im bayerischen Innenministerium und dem Umweltministerium gehen die Offiziellen gestern mehr oder weniger auf Tauchstation. In einer Stellungnahme des Umweltministeriums heißt es später in feinstem Beamtendeutsch lediglich: „An den Brennelement-Zwischenlagern in Deutschland werden Ertüchtigungsmaßnahmen durchgeführt.“ Zu allem Weiteren wird hier ebenfalls auf die Genehmigungsbehörde, das Bundesamt für Strahlenschutz, verwiesen. Doch auch in der Behörde, die dem Bundesumweltministerium unterstellt ist, gibt man sich wortkarg. Sogar Tobias Schmidt, Pressesprecher des leistungsstärksten deutschen Atomkraftwerks, kennt angeblich keine Hintergründe. Er weiß nur: „Die Sicherheitsüberprüfung lief unabhängig von den AKW-Stresstests.“

    Kein Zusammenhang mit der Reaktorkatastrophe von Fukushima

    Das ist das Atomkraftwerk Gundremmingen

    Die Anlage Gundremmingen zwischen Günzburg und Dillingen, die in dieser Form seit 1984 besteht, ist der leistungsstärkste Kernkraftwerksstandort in Deutschland. Die zwei Reaktoren erzeugen pro Jahr mehr als 20 Milliarden Kilowattstunden Strom. Dies entspricht rund einem Drittel des gesamten Verbrauchs in Bayern.

    Die Betreibergesellschaft der Anlage gehört zu 75 Prozent RWE und zu 25 Prozent Eon. Nach dem Atomausstiegsbeschluss der Bundesregierung 2011 sollen Block B im Jahr 2017 und Block C 2021 abgeschaltet werden.

    Das Zwischenlager in Gundremmingen ging im August 2006 in Betrieb. Die Halle liegt rund 150 Meter vom Reaktorgebäude entfernt und ist 104 Meter lang, 38 Meter breit und 18 Meter hoch. Die Wände aus Stahlbeton sind 85 Zentimeter dick. Die Halle verfügt über eine Kapazität von 192 Castoren. Ein Castor wiederum enthält 52 Brennelemente. Damit ist das schwäbische Zwischenlager das größte in Deutschland.

    Wie alle anderen Zwischenlager ist auch dieses für eine Betriebszeit von maximal 40 Jahren ausgerichtet. Das heißt, in Gundremmingen endet die Genehmigung 2046. Spätestens dann, so die ursprüngliche Planung, sollte ein Endlager in Deutschland zur Verfügung stehen.

    Die Kritiker befürchteten schon bei der Genehmigung des Zwischenlagers, dass es de facto zu einem Endlager werden könnte. Außerdem argumentierten sie, dass in jedem der Castoren mehr Radioaktivität enthalten sei, als bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 freigesetzt wurde.

    Gegen den Bau der Zwischenlager wurde bundesweit prozessiert. Im Fall von Gundremmingen reichten fünf Anwohner aus umliegenden Gemeinden Klage beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München ein. Der VGH wies die Klage mit seinem Urteil vom 2. Januar 2006 ab.

    Später gibt es doch noch eine Erklärung des Bundesumweltministeriums. Darin heißt es, der Bau der Mauer habe in der Tat nichts mit der Katastrophe in Fukushima zu tun, sondern wurde bereits davor initiiert. Die baulichen Maßnahmen an den Anlagen dienen dem Schutz vor „Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter“, wobei explizit auch Terroranschläge genannt werden. Baubeginn soll noch in diesem Jahr sein. Weitere Details seien geheim. Alles Verschlusssache.

    Wer konkretere Hinweise sucht, findet sie in einer Stellungnahme des Umweltministeriums Niedersachsen vom November vergangenen Jahres, in der es um das Atommülllager Gorleben geht. Darin heißt es, es gebe „neue Erkenntnisse über Tatmittel und Täterverhalten“. Nach Informationen unserer Zeitung basieren diese sowohl auf geheimdienstlichen Informationen zur Entwicklung des Terrorismus als auch auf einer Greenpeace-Studie aus dem Jahr 2010.

    Darin ist belegt, dass der bisherige Schutz deutscher Zwischenlager nicht ausreicht. Durch die „rasante Weiterentwicklung von panzerbrechenden Lenkwaffen“ sei es möglich, auch die bislang als sicher geltenden Castoren, in denen die Brennstäbe in den Zwischenlagern aufbewahrt werden, zu zerstören. Die Behälter sind sechs Meter lang und haben einen Durchmesser von rund 2,50 Meter. Die Wände aus Gussstahl sind 45 Zentimeter dick.

    Experten halten Schutz der Castoren für nicht mehr ausreichend

    Experten halten diesen Schutz für mehr als überholt. „Neue Waffen wie die AT-14-Kornet-E zerschlagen locker mehr als einen Meter starke Panzerungen“, erklärt Raimund Kamm, Vorsitzender des Forums „Gemeinsam gegen das Zwischenlager“. Der ehemalige Grünen-Politiker setzt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema auseinander. Er kennt sogar eine Internetseite, auf der Tipps zum Kauf von Waffen gegeben werden, mit denen man Kernkraftwerke massiv beschädigen kann. Wie die Atomkraftgegner der Mahnwache warnt Kamm bereits seit Jahren vor einer latenten Terrorgefahr.

    Wer die Greenpeace-Studie weiter liest, den wundert nicht, warum Kamm zu derart drastischen Worten greift und die Beteiligten des Mauerbaus wohl lieber schweigen. Zwar gibt es nach Angaben des Innenministeriums derzeit keine konkrete Gefahr, aber es ist kein Geheimnis, dass in den Behörden diverse Szenarien durchgespielt werden.

    Wie verheerend im schlimmsten Fall die Folgen eines Terroranschlags sein könnten, wird in der Greenpeace-Studie dargelegt: Berechnungen eines Physikers belegen, dass die radioaktive Kontamination vieler Anwohner bereits innerhalb weniger Stunden den behördlichen Grenzwert für eine Evakuierung bis um das Tausendfache überschreiten könnte. „Die tödliche radioaktive Dosis käme über die Luft und würde auch in geschlossenen Räumen aufgenommen werden“, heißt es wörtlich. In der weiteren Umgebung könnten bis zu 100000 Quadratkilometer Boden derart verstrahlt sein, dass eine Umsiedlung der dort lebenden Menschen erfolgen müsste. Kamm interpretiert das so: „Im Zweifelsfall müsste ganz Süddeutschland evakuiert werden.“

    Betreiber: Brennstäbe lagern in einer "äußerst robusten Konstruktion"

    Bei so einem Szenario erstaunt es selbst den Laien, wie die Brennstäbe im Zwischenlager in Gundremmingen bisher geschützt sind. Es liegt am nördlichen Rand der Anlage, direkt am Kraftwerkszaun, etwa 150 Meter vom Reaktorgebäude entfernt. Das Gebäude gleicht von außen einer gewöhnlichen Industriehalle, ist laut Beschreibung der Betreiber mit seinen 0,85 Meter starken Außenwänden und dem 0,55 Meter dicken Dach – beides aus Stahlbeton – aber „eine äußerst robuste Konstruktion“.

    Landtags-Grünen fordern Aufklärung

    Dass es nun trotzdem mit einer massiven Stahlbetonmauer weiter verstärkt werden muss, verwundert auch die Landtags-Grünen. Sie forderten vom bayerischen Umweltministerium umgehend Aufklärung. „Bislang wurde den Bürgerinnen und Bürgern immer versichert, dass die Zwischenlager ausreichend geschützt seien“, sagt der energiepolitische Sprecher Ludwig Hartmann. Die bayerische Atomaufsicht müsse die Öffentlichkeit dringend näher über die überraschend bekannt gewordenen Schutzmaßnahmen informieren: „Diese Nacht-und-Nebel-Politik bei einer so sensiblen Materie ist völlig unangemessen.“

    Diese Atomkraftwerke werden in Deutschland betrieben

    Wo stehen welche Atomkraftwerke in Deutschland, wer betreibt sie und wann werden oder wurden sie abgeschaltet? Eine Übersicht:

    Das Atomkraftwerk Brokdorf in Schleswig-Holstein wird von E.ON betrieben. Baubeginn war im Januar 1976, im kommerziellen Betrieb ist das AKW seit Dezember 1986. Brockdorf ist ein Druckwasserreaktor und soll 2021 abgeschaltet werden.

    Das Kernkraftwerk Isar liegt nahe Landshut und wird von E.ON betrieben. Isar/Ohu 1 ist ein Siedewasserreaktor. Bauzeit war von 1972 bis 1979. Isar/Ohu 2 ist ein Druckwasserreaktor und ging nach sechsjähriger Bauzeit im April 1988 ans Netz. Isar 2 soll im Jahr 2022 abgeschaltet werden. Der Atommeiler Isar 1 wurde bereits im August 2011 vom Netz genommen.

    Das Atomkraftwerk Philippsburg steht im Landkreis Karlsruhe (Baden-Württemberg). Betreiberin ist die EnBW. Philippsburg 2, ein Druckwasserreaktor, ging nach achtjähriger Bauzeit 1985 in den kommerziellen Betrieb, der Siedewasserreaktor Philippsburg 1 im Jahr 1980. 2011 wurde Philippsburg 1 vom Netz genommen.

    Das Kernkraftwerk Grohnde (KWG) ist ein Druckwasserreaktor und steht im Landkreis Hameln-Pyrmont in Niedersachsen. Betreiben wird es von der Firma E.ON. Baubeginn für Grohnde war im Jahr 1986, Betriebsstart 1985, Ende soll 2021 sein.

    Das Kernkraftwerk Emsland in Niedersachsen wird von RWE betrieben. Es wurde in den Jahren 1982 bis 1988 gebaut. In Betrieb bleiben soll der Druckwasserrreaktor bis zum Jahr 2022.

    Das Atomkraftwerk Neckarwestheim in Baden-Württemberg wird von enBW betrieben. Es hat zwei Druckwasserreaktoren, von denen derzeit noch einer in Betrieb ist. Neckarwestheim II soll als eines der letzten deutschen AKW 2022 vom Netz gehen.

    Das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld liegt südlich von Schweinfurt am Main. Baubeginn für Grafenrheinfeld war 1974, die Inbetriebnahme war 1981. Das Atomkraftwerk wird von der E.ON Kernkraft GmbH betrieben und wurde 2015 abgeschaltet.

    Gundremmingen B und Gundremmingen C im Landkreis Günzburg sind zusammen das leistungsfähigste Atomkraftwerk Deutschlands. Betrieben werden die Siedewasserreaktoren von der RWE. Baubeginn war im Jahr 1976, Gundremmingen B ging 1984 ans Netz, Gundremmingen C ein Jahr später. Block B soll spätestens 2017 vom Netz gehen, Block C spätestens im Jahr 2021.

    Während die Aufregung bei den Grünen groß ist, sind die Leute vor Ort gelassen. Die 1568 Bürger Gundremmingens geraten angesichts des geplanten Mauerbaus nicht so leicht in Panik. Sie haben im Laufe der Jahrzehnte schon einige Störfälle erlebt, doch ihre Einstellung zum Atomkraftwerk ist weitgehend positiv. „Das war für die Kunden heute überhaupt kein Thema“, sagt die Inhaberin eines Ladens. Pfarrsekretärin Stephanie Straub hat vom Mauerbau noch gar nichts mitbekommen. Thomas Wolf von der Mahnwache dagegen wusste es schon vormittags. Angst wegen des Betonwalls hat auch er nicht. Aber er zweifelt daran, dass die Baumaßnahme die Bürger tatsächlich schützt: Ob Limes oder Chinesische Mauer – nie hätten solche Bauwerke dauerhaften Schutz geboten.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden