Das trüb-nieselige Herbstwetter in Ramallah war dem gruseligen Anlass angemessen. Experten aus drei Ländern kletterten am Dienstag zusammen mit palästinensischen Kollegen in die vier Meter tiefe Grube unter dem Mausoleum des 2004 möglicherweise vergifteten Palästinenserführers Jassir Arafat. Dort wurde der Deckel eines kleinen Hohlraumes geöffnet, in dem Arafats Leichnam seit acht Jahren nur in ein Tuch gehüllt liegt.
Der Leiter der palästinensischen Kommission zur Aufklärung von Arafats Todesursache, Tawfik Tirawi, überraschte mit der Aussage: „Der Geruch von Abu Ammar (Arafat) war angenehm, als wir das Grab öffneten.“ Arafat hat inzwischen fast den Status eines Volksheiligen. Keiner der Ausländer habe die sterblichen Überreste Arafats berührt, versicherte Tirawi vor Journalisten. Der Leichnam Arafats sei nicht aus der Gruft genommen worden, sondern die jeweils nur wenige Milligramm wiegenden Proben hätten auch so genommen werden können. Die Experten aus der Schweiz, Frankreich und Russland hätten die Arbeiten nur überwacht.
Jassir Arafat ruht in einem Mausoleum
Die Öffentlichkeit und neugierige Journalisten wurden durch weiträumige Straßensperren auf Abstand gehalten. Und der Mausoleumskomplex selbst war durch große blaue Plastikplanen auch vor noch so starken Teleobjektiven geschützt. Zwei Wochen lang hatten sich Arbeiter durch Tonnen von Beton gearbeitet, die nach der chaotischen Beisetzung 2004 über die Gruft geschüttet worden waren. Niemand sollte die Totenruhe des inzwischen zum Volkshelden aufgestiegenen Arafat stören können. Die Arbeiter konnten aus Gründen der Pietät und des Respekts vor dem berühmten Toten nur leichtes Gerät bei ihrem Weg in die Tiefe einsetzen. Nicht nur die palästinensischen Arbeiter, sondern auch die ausländischen Experten wurden unbestätigten Berichten zufolge vor dem Betreten des Mausoleums auf Kameras durchsucht. Auch Handys mussten demnach abgegeben werden, weil die Palästinensische Autonomiebehörde nichts mehr fürchte, als dass Fotos von den Arbeiten oder sogar des geöffneten Grabes auftauchten.
Viele Palästinenser hielten die Aktion für ohnehin völlig überflüssig. Für sie steht schon lange fest, dass ihr Idol vom Erzfeind Israel vergiftet wurde. Nach Tirawis Worten dienen sie ohnehin nur zur Aufklärung der Frage, welches Gift zum Einsatz kam. Allerdings hatte Arafat noch andere Feinde als nur die Israelis. Auch innerhalb der Palästinenserbewegung gab es erhebliche Spannungen um Korruption und die Verschiebung von Hilfsgeldern in Millionenhöhe.
Arafat: Forscher fanden radioaktives Polonium 210 an seiner Kleidung
Israel: Hintergründe zum Nahost-Konflikt
Gebiete: Der Gazastreifen bildet mit dem Westjordanland (Westbank) und Ostjerusalem die palästinensischen Gebiete im Staat Israel. Im Sechstagekrieg vom Juni 1967 konnte Israel die Gebiete unter seine Kontrolle bringen.
Gebiete: Der Gazastreifen ist ein Küstengebiet am östlichen Mittelmeer zwischen Israel und Ägypten. 2012 lebten dort circa 1,7 Millionen Menschen.
Gebiete: Von den rund 2,4 Millionen Bewohnern des Westjordanlands (Schätzung 2012) sind 83 Prozent Palästinenser und 17 Prozent Juden, die in schätzungsweise 355 israelischen Siedlungen leben.
Gebiete: Israels Hauptstadt ist Jerusalem. Die Stadt wird von Christen, Juden und Muslimen als Heilige Stadt angesehen. Ostjerusalem wird von gemäßigteren Palästinenser-Organisationen als Hauptstadt eines zukünftigen Staates beansprucht, während radikalere Palästinenser-Organisationen die gesamte Stadt als Hauptstadt fordern.
Gemäßigte Gruppe: Die Fatah ist eine politische Partei in den Palästinensischen Autonomiegebieten. Unter ihrem verstorbenen Vorsitzenden Jassir Arafat hat die Partei 1993 das Existenzrecht Israels anerkannt. Die Partei bekannte sich zum Friedensprozess und schwor dem Terrorismus als politischem Mittel ab.
Radikale Gruppe: Die Hamas ist eine sunnitisch-islamistische Palästinenser-Organisation, die den Staat Israel mit terroristischen Mitteln beseitigen und einen islamisch-theokratischen Staat in Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt errichten will.
Konflikt: Israel räumte den Gaza-Streifen 2005. Durch den Rückzug des lange dort stationierten israelischen Militärs entstand ein Machtvakuum. 2006 gewann die Hamas eine demokratische Wahl. Im Juni 2007 entbrannte zwischen Fatah und Hamas ein Kampf um Gaza. Im Verlauf der Kämpfe gewannen die Milizen der Hamas militärisch die Oberhand über den Gazastreifen. Seitdem kommt es mit Israel zu Konflikten.
Israel: Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel als parlamentarische Republik gegründet. Es lebten circa 8 Millionen Menschen in Israel. Hauptstadt ist Jerusalem.
Israel: Präsident Israels ist seit 2007 Schimon Peres. Ministerpräsident ist seit 2009 Benjamin Netanjahu, der einer Koalition aus fünf Parteien vorsteht.
Israel: Das Judentum wird aus historischen Gründen zu den Weltreligionen gerechnet, obwohl ihm nur circa 13,5 Millionen Menschen angehören (Christentum circa 2,3 Milliarden, Islam circa 1,4 Milliarden). Alle drei Religionen gelten als Abrahamitische Religionen, da sie sich auf den gemeinsamen Stammvater Abraham beziehen.
Ausgelöst wurde die Aktion durch Untersuchungen in der Schweiz. Experten des Institut de radiophysique der Universitätsklinik in Lausanne fanden im Juli erhöhte Werte für Polonium 210 an Arafats Kleidung. Der französische Strahlenmediziner Roland Masse hält eine Vergiftung Arafats mit diesem Stoff jedoch für unmöglich. Kein Arzt hätte das damals übersehen können, meinte der Mitarbeiter des Krankenhauses bei Paris, in dem Arafat starb. Nachdem das Grab wieder geschlossen war, legten palästinensische Offizielle Kränze vor dem Mausoleum ab. (dpa)