„Ich schäme mich, ihm meine Stimme gegeben zu haben.“ Erwin Lotter war der erste Abgeordnete der Koalition, der Bundespräsident Christian Wulff zum Rücktritt aufgefordert hat. Nun fühlt sich der FDP-Mann aus dem Landkreis Aichach-Friedberg bestätigt. „Mit seinem kruden Verfassungsverständnis von Pressefreiheit hat sich Wulff endgültig für das Amt diskreditiert.“ Wer Journalisten den Krieg erkläre, „muss Schloss Bellevue räumen und als Privatmann ohne lebenslange Staatsapanage in sein Einfamilienhaus zurückkehren“.
So hart wie der Liberale Lotter urteilt zwar längst nicht jeder im politischen Berlin. Wenn es allerdings stimmt, was die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichten, hat der Bundespräsident womöglich doch ein größeres Problem: Danach hat der erste Mann im Staate mit einem wütenden Anruf beim Chefredakteur der Bild-Zeitung offenbar versucht, die Veröffentlichung über seinen Privatkredit mit der Unternehmergattin Edith Geerkens zu verhindern. In einer Nachricht, die Wulff während eines Besuches in Kuwait auf der Mailbox von Kai Diekmann hinterlassen hat, soll von einem „endgültigen Bruch“ mit den Blättern des Springer-Konzerns die Rede sein, von Krieg und vom Rubikon, den Bild mit seinen Recherchen im Privatleben des Präsidenten und seiner Frau überschritten habe.
Bild-Zeitung bestätigt Anruf
Die Bild-Zeitung, die am Morgen selbst nicht über den Vorfall berichtet hatte, bestätigte gestern einen Anruf von Wulff. Danach hatte der Präsident versucht, Diekmann direkt zu erreichen. „Als das nicht gelang, hinterließ der Bundespräsident eine längere Nachricht auf der Handy-Mailbox des Chefredakteurs.“ Darin habe er sich „empört über die Recherchen zu dem Hauskredit“ gezeigt und mit strafrechtlichen Konsequenzen für den verantwortlichen Redakteur gedroht. Zwei Tage nach der ersten Veröffentlichung habe Wulff in einem Telefonat mit Diekmann persönlich um Entschuldigung für Ton und Inhalt seiner Äußerungen gebeten. Eine Stellungnahme für die Berichterstattung habe er kurz vor Redaktionsschluss wieder zurückgezogen.
Der Präsident selbst äußert sich dazu bislang nicht. Gegenüber unserer Zeitung betonte sein Anwalt Gernot Lehr lediglich: „Die Presse- und Rundfunkfreiheit ist für Christian Wulff ein hohes Gut. Er hat deshalb zu den Krediten für sein Eigenheim und zu Urlaubsaufenthalten Transparenz hergestellt, Erklärungen abgegeben und mehrere hundert Medienanfragen beantwortet. Über Vieraugengespräche und Telefonate gibt Herr Wulff aber grundsätzlich keine Auskunft.“
Lotter. Wulff überschreitet Rubikon
In seiner kurzen persönlichen Erklärung zur Kreditaffäre hatteWulff die Presse- und Informationsfreiheit vor Weihnachten schon einmal als „großes Gut in unserer Gesellschaft“ gewürdigt. Umso empörter ist Erwin Lotter, der strenge Liberale, nun. Er sei, sagt er, betroffen von dem, was er da lese. „Nicht Journalisten, die im Rahmen der Gesetze recherchieren, überschreiten den Rubikon, sondern Politiker, die dies mit Drohungen jenseits der Gesetze verhindern wollen.“ Umgekehrt hatte Bundestagspräsident Norbert Lammert am Wochenende allerdings auch die Rolle der Medien im Falle Wulff kritisiert. Ihre Berichterstattung sei „offensichtlich nicht nur an Aufklärung interessiert“.
Springer hätte gerne Gauck als Bundespräsident gesehen
In Berlin ist es ein offenes Geheimnis, dass die Springer-Blätter nach dem Rücktritt von Horst Köhler gerne den früheren Bürgerrechtler Joachim Gauck als Bundespräsidenten gesehen hätten. Umgekehrt allerdings war auch der Draht zwischen der Bild-Zeitung und dem aufstrebenden Landespolitiker Christian Wulff bisher bemerkenswert gut – und der des Niedersachsen zum Meinungsführer auf dem Boulevard auch. Ganz in seinem Sinne hatte das Blatt weniger über seine Trennung von seiner ersten Frau berichtet, dafür aber das neue Glück des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten umso euphorischer gefeiert: seine junge Frau und ihr gemeinsames Kind.