Oberpfaffenhofen Das Institut für Robotik und Mechatronik hat nichts Märchenhaftes. Das Büro seines Chefs liegt am Ende eines langen Flures mit fleckigen Wänden und grünen Türen, von denen viele offen stehen. Unaufgeräumte Schreibtische und Bildschirme sind zu sehen, aber kein Neuschwanstein, kein exotischer Wintergarten und keine Pfauenseilbahn. Irgendwo in diesem nüchternen Zweckbau des Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen müssen sie ja zu finden sein – die wunderbaren Bauprojekte Ludwigs II.
Denn Professor Gerd Hirzinger, der Leiter des Instituts, genießt den Ruf, des Königs Mann im 21. Jahrhundert zu sein. 125 Jahre nach seinem Tod hat der Monarch noch immer seine Leute. Zu seinen Lebzeiten (1845–1886) setzten Baumeister und Handwerker seine Träume in die Tat um. Heute ist es der Ingenieurwissenschaftler Hirzinger, der in Zusammenarbeit mit Grafikern das sichtbar macht, was sich der „Kini“ so alles ausgedacht hat. Die Landesausstellung „Götterdämmerung“ auf Schloss Herrenchiemsee wirdab14.Mai einiges davon zeigen.
Kunstherzen und Roboter für den Einsatz im All
3-D-Filme über Projekte des berühmtesten Wittelsbachers sind seit vielen Jahren ein Hobby des 65-jährigen Professors. Das überrascht, wenn man weiß, dass er im normalen Berufsleben Chirurgieroboter und Kunstherzen entwickelt, oder Robonauten, die in der Erdumlaufbahn Elektroschrott einsammeln und gezielt ins Meer stürzen lassen.
Das eine hat mit dem anderen allerdings schon etwas zu tun: „Auch ein Roboter braucht die dreidimensionale Modellierung der Welt, um nirgends anzustoßen, wenn er sich bewegt“, erläutert Hirzinger. 3-D-Filme seien deshalb ein „Übungsfeld“ zur Lösung eines Grundproblems der Robotik.
Davon kann der Märchenkönig noch nichts gewusst haben, obwohl er nach Hirzingers Überzeugung bereits „ein 3-D-Freak“ war. Denn er habe seine Schlösser räumlich zeichnen und als Bühnenbilder vorführen lassen, damit die Entwürfe möglichst anschaulich wurden.
Die farbigen dreidimensionalen Filme, die heutzutage entstehen, würden ihm wahrscheinlich gefallen. Wie man sie herstellt, erklärt Professor Hirzinger in der Theorie. „Sensordatenfusion“ heißt das Verfahren, das bei der ersten genauen Vermessung von Schloss Neuschwanstein vor wenigen Jahren entwickelt wurde. Mit Laser-Scannern wurden die Räume abgetastet und die daraus gewonnenen Daten mit Kameraaufnahmen verknüpft.
Das Ergebnis ist die perfekte Illusion, mittendrin und ganz nah an den Kunstwerken zu sein – „eine moderne Form des Tourismus“, sagt Hirzinger. Noch spannender ist der Blick in Räume, die es eigentlich gar nicht gibt. Hirzinger erzählt von einem chinesischen Schloss, das wohl am Plansee bei Reutte hätte gebaut werden sollen, und von einem byzantinischen Palast, der vielleicht irgendwo in der Nähe von Linderhof vorgesehen war.
Zu sehen ist davon vorerst nichts. Auf dem langen Tisch in einem leeren Besprechungsraum mit großer Glasfront steht lediglich ein kleiner Laptop, auf dem die Bild-Dateien gespeichert sind. Aber der ist ausgeschaltet. Stattdessen erzählt der Professor erst einmal. Er sprudelt geradezu.
Ein Schaufelrad-Luftschiff und andere „Hirngespinste“
Skizzen, Zeichnungen, Entwürfe, Gemälde und Tagebucheinträge des Königs sind die Quellen, aus denen er geschöpft hat. Auch Überlegungen für ein Schaufelrad-Luftschiff und andere Fluggeräte habe es gegeben – „Hirngespinste“ in den Augen vieler Zeitgenossen des Königs.
„Aber er war kein Spinner“, betont Hirzinger. Vielmehr sei er seiner Zeit sehr oft voraus gewesen. Sogar wenn er des Nachts in einem Rokoko-Prunkschlitten durch das winterliche Allgäu fuhr. Die dekorative Krone auf dem Schlitten hatte bereits eine elektrische Beleuchtung. Dabei war die Glühbirne damals – 1879 – noch gar nicht offiziell erfunden. Thomas A. Edison kam erst ein Jahr später damit groß heraus.
Wer dem König das exklusive Kunstlicht geliefert hatte, ist unklar. Es gebe Hinweise, so Hirzinger, dass ein Murnauer Handwerksbetrieb schneller war als Edison. Viele Informationen seien in dem Buch „Traum und Technik“ von Jean Louis Schlim nachzulesen. Erfinder waren dem König demnach ebenso lieb wie Künstler. Der vermeintliche Phantast wusste die technischen Innovationen seiner Zeit zu schätzen – etwa die Dampfmaschine und die Fernmeldetechnik.
Und er wollte stets noch mehr: „Der König hat immer angetrieben“, sagt Hirzinger – auch um seine Schlösser Linderhof, Neuschwanstein und Herrenchiemsee möglichst komfortabel auszustatten, etwa mit Heißluft-Zentralheizungen und modernen Toilettenspülungen. So wurde er zu einem Förderer der Technik. Auch die Gründung der polytechnischen Schule in München – heute Technische Universität – geht auf seine Initiative zurück.
Mit neu gewonnenen bautechnischen Erkenntnissen war es möglich, auf dem Dach der Münchner Residenz aus Eisen und Glas einen gewaltigen Wintergarten mit Teich zu errichten. Unglücklicherweise tropfte das Wasser durch die undichte Decke. Auch der Unterhalt war teuer, sodass der Wintergarten bald nach dem Tod des Königs abgebrochen wurde. Hirzinger hat ihn wieder erstehen lassen. Schwarz-Weiß-Fotos waren seine Grundlage. Zwischen den Palmen fliegen jetzt Vögel und Schmetterlinge. Sogar der kleine Elefant, den man dem König ausgeredet hatte, spaziert im Film auf dem Dach herum. Etwas Lausbübisches blitzt auf, als der 65-Jährige davon erzählt.
Der Professor ist ein sachlicher Typ. Dass er sich überhaupt auf König Ludwig, den Träumer, eingelassen hat, erklärt er mit seinem Interesse an Technik-Geschichte. Schon als Schüler habe er sich für das Wasserkraftwerk und die Elektro-Kochversuche Oskar von Millers in seinem Heimatort Schwandorf begeistert. Später studierte Hirzinger Elektrotechnik, und da schließt sich der Kreis: Eines der ersten bayerischen Elektrizitätswerke wurde auf Geheiß König Ludwigs bei Schloss Linderhof errichtet, um damit die Venusgrotte zu beleuchten und die Wellenmaschine zu betreiben.
Die Idee, eine Seilbahn über den Alpsee zu bauen, blieb dagegen ein Traum. Dazu angeregt wurde der König durch einen Bericht über ein Seilbahnprojekt zum Schweizer Rigi-Massiv in der Zeitschrift Gartenlaube. Daraufhin schrieb er, wie Hirzinger weiß, „glühende Briefe“ an Richard Wagners Bühnentechniker Karl Brandt. Ihm traute er die Realisierung zu. Im Pfauenwagen, getragen von einem Gasballon, wollte der König an einem Stahlseil zum Aussichtspunkt Pindarplatz befördert werden. Die Dampfmaschine für den Antrieb sollte im Hof von Schloss Hohenschwangau stehen.
Eine Dampfmaschine im Hof von Schloss Hohenschwangau
Dort steht sie jetzt auch. Jedenfalls im 3-D-Film. Und der König schwebt im Pfauenkorb zum Pindarplatz. Als er noch lebte, erklärte man ihm, die 1200 Meter lange Strecke sei zu lang, um sie mit einem Stahlseil zu überspannen. Die Sache war damit gestorben, und die Tragödie nahm ihren Lauf. Für den Psychiater Bernhard von Gudden war die Seilbahn ein Beweis für König Ludwigs geistige Umnachtung. Sein Gutachten hatte dessen Entmündigung und Festsetzung in Schloss Berg am Starnberger See zur Folge. Das Ende ist bekannt: Am 13. Juni 1886 kamen König Ludwig und von Gudden dort unter ungeklärten Umständen zu Tode.
Wie zum Trost schaltet Professor Hirzinger schließlich den Laptop an. Die Bilder von der Seilbahn werden an die Leinwand gebeamt – leider nicht in 3-D. Dafür fehlt in dem Besprechungsraum des Instituts die Ausrüstung. Der magische Moment kommt erst noch – bei der Landesausstellung in Herrenchiemsee.