Die Unabhängigkeitsbewegung in der spanischen Region Katalonien zeigte am Wochenende wieder ihre Muskeln: Hunderttausende Menschen demonstrierten in der Regionalhauptstadt Barcelona für eine „katalanische Republik“ und forderten die Freilassung von zehn Repräsentanten der Separatismusbewegung, die in Untersuchungshaft sitzen. Die zehn Politiker und Aktivisten werden von Spaniens Nationalem Gerichtshof beschuldigt, auf gesetzeswidrige Weise die Abspaltung Kataloniens von Spanien vorangetrieben zu haben.
„Freiheit für die politischen Gefangenen“, stand auf einem Transparent am Kopf des Protestmarsches, an dem nach Angaben der Stadtpolizei Barcelonas 750 000 Menschen teilnahmen. Die „politischen Gefangenen“ sind acht frühere Mitglieder der abgesetzten katalanischen Regierung. Darunter der ehemalige Vize-Ministerpräsident Oriol Junqueras und die beiden Anführer jener beiden separatistischen Bürgerinitiativen, die zusammen mit der katalanischen Ex-Regierung die treibende Kraft der mutmaßlich illegalen Aktivitäten waren.
Der ehemalige Chef der katalanischen Regierung, Carles Puigdemont, schickte eine Videobotschaft an die Demonstranten. Er hatte sich noch vor der Anklageerhebung zusammen mit vier weiteren Politikern nach Brüssel abgesetzt. Jedoch droht den fünf die Auslieferung. Puigdemont erklärte: „Sicherlich werden wir auch in Brüssel oder im Gefängnis Ihren Schrei hören. Vielen Dank.“ Auch Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, die gegen eine Abspaltung der Region ist, nahm an dem Protest teil. „Wir fordern die Freilassung der Inhaftierten, aber auch, dass die verantwortungslose Regionalregierung, die das Land ins Desaster geführt hat, dazu steht“, sagte sie.
Katalonien-Krise: Rajoy erstmals seit Kontrollübernahme in Barcelona
Puigdemont wartet diese Woche auf eine erste Entscheidung über seine Auslieferung an Spaniens Justiz. Am kommenden Freitag muss er vor jenem belgischen Gericht aussagen, das in erster Instanz über den spanischen Auslieferungsantrag befinden wird. Puigdemont und seine vier Getreuen hatten angekündigt, dass sie eine Auslieferung bis zur letzten Instanz anfechten werden. Eine endgültige Entscheidung kann sich monatelang hinziehen.
Erstmals seit der Kontrollübernahme in der Region besuchte am Sonntag der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy Kataloniens Metropole Barcelona – als Hauptredner einer Veranstaltung seiner konservativen Volkspartei PP, bei der die Kandidaten für die Abstimmung vorgestellt wurden. „Katalonien ist Spanien und Spanien ist Katalonien“, erklärte Rajoy unter dem Applaus seiner Parteikollegen. In seiner Rede forderte er die sogenannte „schweigende Mehrheit“ auf, bei der Wahl ihre Stimme abzugeben – und dabei ihrer Ablehnung einer Abspaltung der Region von Spanien Ausdruck zu verleihen, damit dort wieder Normalität einkehren könne. Eine Mehrheit der Katalanen ist gegen die Unabhängigkeit, jedoch verschafft sie sich seit Monaten weniger Gehör als die Befürworter der Trennung.
Katalonien: Großteil der Bevölkerung begrüßt Neuwahlen
Laut einer von der Zeitung El País in Auftrag gegebenen Umfrage begrüßt ein Großteil der Bevölkerung die Neuwahlen: 76 Prozent der Spanier und 69 Prozent der Katalanen befürworten demnach die vorgezogene Abstimmung. Dem entmachteten Regierungschef Puigdemont, der von seinem Brüsseler Fluchtort aus für die Katalonien-Wahl am 21. Dezember kandidieren will, könnte eine Niederlage drohen: In allen Umfragen kommt seine Patei PDeCat, die jahrzehntelang stärkste Bewegung in Katalonien war, nur noch auf zehn bis zwölf Prozent der Stimmen.
Während Puigdemonts früherer Vize Oriol Junqueras, der nicht vor der Justiz flüchtete und nun in U-Haft sitzt, mit seiner Republikanerpartei ERC 25 bis 30 Prozent erwarten kann. Womit Junqueras sich zum neuen Führer der Bewegung aufschwingen würde, die um ihre Mehrheit zittern muss: Den insgesamt drei Separatismusparteien sagen Umfragen zusammengerechnet 45 bis 48 Prozent voraus. mit dpa
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