Rom Man ist sich ja nicht ganz so sicher, was die Gefangenen da von Ferne aus den Fenstern ihrer Zellen schreien, als der Papst ankommt. Es klingt dumpf zunächst danach, als seien es Worte, die jetzt besser gar nicht zu hören sein sollten. Es scheinen Worte von ganz unten zu sein, jemandes, der das ganz oben repräsentiert, eher unwürdig. Kurzes Innehalten. Der Besuch könnte scheitern, bevor er begonnen hat. Jetzt. Aber es ist eine Täuschung. Denn als Benedikt XVI. im Innenhof des Gefängnisses von Rebibbia aus der Limousine steigt, ist ganz deutlich ein „Viva il Papa“ – „Es lebe der Papst“ – zu hören.
In Rebibbia sitzen schwere Jungs, wie man so sagt. Auch Mörder und Vergewaltiger. 1650 Häftlinge sind es und die Summe der hier abzusitzenden Jahre ist noch viel höher. 300 Männer verbringen heute eine gute Stunde in der Gefängniskirche mit dem Papst. Verurteilte Sünder treffen auf eine geweihte Instanz. Sie erhoffen sich Antworten.
Zum Beispiel Umberto. Umberto sieht so aus, dass man nicht wissen möchte, was er verbrochen hat. Er sagt es auch nicht. Auch nicht seinen Nachnamen. Seine Oberarme sind um einiges dicker als die der päpstlichen Leibwächter.
Sehnsucht nach der Frau und der kleinen Tochter
Umberto erzählt, dass er seine ganze Familie verloren hat. Aber seit zwei Jahren hat er wieder eine kleine Tochter. „Aber sie erlauben mir nicht, nach Hause zu gehen, um sie zu sehen.“ Dann fragt er: „Ist das gerecht?“ Der Papst antwortet: „Ich kenne nicht die Details Ihres Falls, aber ich hoffe, dass Sie so früh wie möglich zu Ihrer Familie zurückkehren dürfen. Ich bete und hoffe, dass Sie Ihre Frau und Ihre Tochter bald wieder in den Armen halten und eine schöne Familie aufbauen, die zur Zukunft Italiens beiträgt.“
So und ähnlich geht das. Eine Frage, eine Antwort. Es geht um Schuld und Sühne, um göttliche Vergebung und um Hoffnung. Ob die Worte des Papstes die Häftlinge berühren? Aus jedem der Gefängnisblöcke darf einer eine Frage stellen. Wer ihnen dabei in die Gesichter schaut, der fragt sich, ob die gewählte Sprache des Papstes ankommt. Ist es das, was sie erwartet haben? Bis man bemerkt, dass der ein oder andere Tränen in den Augen hat.
Es wäre leicht, dieses Treffen am vierten Advent so kurz vor Weihnachten als Rührstück abzutun. Der Papst spricht dann noch ein „Vaterunser“ mit den Häftlingen, es werden Geschenke überreicht, aus der Gefängnisbäckerei gibt es Kuchen, dazu spielt eine Harfe.
Aber irgendwie funktioniert diese seltene Konstellation. Vielleicht liegt das auch an etwas anderem. Denn der Papst möchte seinen Besuch explizit als Geste gegen die schlechten Haftbedingungen in Italien verstanden wissen.
Doppelt so viele Häftlinge wie vorgesehen
Auch Rebibbia ist überbelegt. 1650 Häftlinge sind in einem Gebäude zusammen, das nur für 800 Personen ausgelegt ist. Alle Gefängnisse des Landes sind überfüllt. Der Missstand ist seit Jahren bekannt. Der Papst sagt, er möchte ein Zeichen setzen. Gegen Justizirrtümer, gegen die schlechte Behandlung der Gefangenen. Alle sind sich einig, dass sich etwas ändern muss, auch Italiens neue Justizministerin Paola Severino. Auch sie spricht von einer „außergewöhnlich schwierigen Situation“. Die wird nicht so schnell zu lösen sein, auch wenn die neue Regierung an Verbesserungen arbeitet. Aber der hoch verschuldete Staat muss in den kommenden Jahren über 20 Milliarden Euro sparen.
Antonio Fania ist einer der Oberinspektoren in Rebibbia. Seit 1986 versieht er seinen Dienst im Gefängnis. Er sagt, dass er noch nicht zum Menschenverächter geworden ist in all den Jahren. Viele hat er hier kommen und gehen sehen. Menschen, mit denen man erst mal kein Mitleid haben muss. Er sagt: „Das Wichtigste ist, sich einen Blick für ihre Bedürfnisse zu bewahren. Du musst ein bisschen Arzt und ein bisschen Psychologe sein.“
Der Papst hatte am Sonntag den Blick für die Bedürfnisse der Häftlinge. Als er weg ist, verlassen auch sie die schlichte Gefängniskirche. JederZweite zündet erst maleineZigarette an. Dann gehen sie über den Hof zurück in ihre Zellen. Der Himmel ist grau. Er war schon grauer.