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Auftritt in München: Der Anti-Mafia-Philosoph

Auftritt in München

Der Anti-Mafia-Philosoph

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    „Öffentliche Aufmerksamkeit ist mein wirksamster Schutz.“Roberto Saviano
    „Öffentliche Aufmerksamkeit ist mein wirksamster Schutz.“Roberto Saviano

    Der Mann mit dem kahl rasierten Schädel ist gut eine Stunde vor Beginn der Veranstaltung da. Von der Treppe schaut er hinunter auf die Schlange, die sich im Lichthof der Ludwig-Maximilians-Universität an der Abendkasse gebildet hat. Gut sieht er aus: Jeans, weißes Hemd, Sakko, dunkle Augenbrauen, Dreitagebart – eine italienische Erscheinung. Dann schlingt er seinen schwarzen Schal enger um den Hals und eilt Richtung Ausgang. Ist er es? Roberto Saviano?

    Eine Viertelstunde später taucht der Mann wieder auf. Auch eine ältere Dame wird auf ihn aufmerksam. „Das muss er sein“, sagt sie aufgeregt zu ihrer Begleiterin. „Aber wo sind seine Bodyguards?“

    Zwei Frauen sind jetzt an seiner Seite. Sie helfen ihm, auf einem Wagen Pakete zum Büchertisch zu schaffen. Verkauft der Autor etwa selbst seine eigenen Bücher? Mischt er sich in München einfach so unters Volk? Obwohl er sich in Italien vor der Mafia verstecken muss, seit er mit seinem dokumentarischen Roman „Gomorrha“ die Geschäfte und politischen Verstrickungen der Mafia-Clans offenlegte? Der Mann am Büchertisch spricht deutsch. Beim Näherkommen hört man es.

    Als die Türen zum Audimax aufgehen, warten neben den Ticketkontrolleuren auch Sicherheitsleute. Metalldetektoren haben sie nicht. Aber sie schauen in Damenhandtaschen, pro forma zumindest. Mein Brotzeitmesser bleibt unentdeckt.

    Rund 1000 Plätze hat der Hörsaal. Er füllt sich allmählich. Nur ganz oben auf der Empore bleiben Sitze frei. Vor allem Frauen sind gekommen, und unter den Männern sind einige mit Roberto-Saviano-Frisur – hohe Stirn, das dunkle Resthaar an den Seiten millimeterkurz rasiert.

    Bis zum Auftritt des echten Roberto Saviano ist Zeit, die schwarzen Sheriffs zu betrachten. Breitbeinig und mit verschränkten Armen haben sie sich unten in der Nähe der Sessel postiert, die für den Star, den Übersetzer und den Interviewer Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Wochenzeitung Die Zeit, bereitstehen. Oder sind es gar keine Sheriffs? „Literaturhaus München“ ist in das Polohemd des einen eingestickt. Eine Pistole hätte im Gürteltäschchen des Ordners sowieso nicht Platz.

    Applaus brandet auf. Roberto Saviano ist endlich in den Hörsaal eingetreten. Der 32-jährige Neapolitaner strahlt hinauf zu der im steilen Winkel vor ihm aufgereihten Menschenmenge. Hohe Stirn, das dunkle Resthaar an den Seiten kurz wie der Dreitagebart. Unter dem Sakko trägt er ein graues Hemd, kein weißes. Und seine Augen funkeln stärker als die des Herrn am Büchertisch und der anderen Doppelgänger.

    Woran man echte Bodyguards erkennt, wird nun ebenfalls klar. Zwei unauffällige, schmale Männer begleiten den Autor. Sie tragen nicht Schwarz und stellen sich nicht breitbeinig hin. Das würde auch nichts nützen, wenn ein Attentäter die Sessel unter der hochgeschobenen Tafel des Hörsaals ins Visier nähme.

    Keine Furcht in München

    Aber Saviano, der in Italien seinen Worten zufolge „wie ein Nomade im Feindesland“ ständig die Wohnung wechselt, scheint sich in München nicht zu fürchten. „Öffentliche Aufmerksamkeit ist mein wirksamster Schutz.“ Besonders in Deutschland, wo Gewaltanwendung wie bei dem Blutbad von Duisburg nicht zur Strategie der Mafia passt. Jedenfalls, wenn man Camorra-Aussteiger Maurizio Prestieri glauben darf, den Saviano in seinem neuen Buch „Der Kampf geht weiter“ zitiert: „Man darf nicht zu viele Leute kaltmachen, vor allem keine Deutschen, und nicht allzu sehr bei der Justiz anecken, ansonsten kann man in Deutschland prima arbeiten“ – etwa im Waffen- und Drogenhandel. Auch Wirtschaftsbereiche wie Erdbewegungen, Baugewerbe und Geldverleih würden in der Lombardei, nur wenige hundert Kilometer südlich der Alpen, von der kalabresischen ’Ndrangheta kontrolliert, berichtet Saviano.

    Nun sitzt er also im Scheinwerferlicht, ein Bein über das andere geschlagen. Selbst wenn der Nimbus des Verfolgten Teil der Werbung für seine Bücher sein sollte: Der Mann hat eine Botschaft. Er spricht über den „kriminellen Kapitalismus“, der keine Grenzen kenne.

    Ein Rhetoriker ist er nicht. Die lebhafte Gestik, mit der er seine Schilderungen unterstreicht, wirkt mitunter fahrig und verlegen. Über sich selbst schrieb er: „Ich bin kein Mann des Fernsehens, sondern ein Schriftsteller, ein Journalist, der Geschichten zu erzählen hat.“

    Es sind Geschichten über mächtige Männer, die sich in Bunkern verkriechen, wenn es für sie gefährlich wird. Mit dem mondänen Image, das dem Mafioso gemeinhin zugedacht wird, haben sie wenig gemein. Die Macht der Bosse, so korrigiert Saviano, „ist durch strenge Disziplin, strikte Regeln und Opferbereitschaft“ gekennzeichnet.

    Auch etwas Mystisches ist im Spiel. Es zeigt sich in dem archaischen Aufnahmeritual der ehrenwerten Gesellschaft, das mit der Formel „im Namen des Erzengels Gabriel und der heiligen Elisabeth“ beginnt. Di Lorenzo spricht das Thema an. Und Saviano, der Philosophie studierte, bevor er Journalist wurde, gibt eine mystische Antwort. „Mich interessiert nicht die Mafia in sich und an sich, sondern die Mafia in mir. Was geht da in uns vor?“

    Der Dolmetscher schwitzt. Was geht in uns vor? Meint er, wenn wir uns korrumpieren oder einschüchtern lassen und den Weg des geringsten Widerstands gehen? „Die Organisationen der Mafia fürchten die Menschen am meisten, die ihr Leben und ihren Beruf ernst nehmen, in Würde leben wollen und die sich nicht beugen...“, schreibt Saviano. Vielleicht ist das die Antwort. Oder er meint Menschen wie den Mafia-Jäger Giovanni Falcone. Sein Ruf in Italien sei auf subtile Weise demontiert worden, um ihn als Staatsanwalt kaltzustellen. Erst seit seiner Ermordung würden Lobeshymnen auf ihn gesungen.

    Di Lorenzo fragt Saviano auch, ob er angesichts der Milliardenumsätze der Mafia in Italien „Tränen der Rührung“ vergossen habe, als der deutsche Bundespräsident zurücktrat. Er kenne die deutsche Kultur nicht gut genug, antwortet der Journalist, aber es sei schon ein „sehr strenges Vorgehen“, wenn wegen einer Hotelrechnung von rund 800 Euro ermittelt werde, während auf der anderen Seite Milliarden Euro aus Rumänien oder Bulgarien unkontrolliert durch Deutschland fließen.

    Dieser Satz ist noch nicht ins Deutsche übersetzt, da bricht schon frenetischer Jubel aus. Viele Italiener sind da. „Bravo“-Rufe unterbrechen das Interview immer wieder und Lesungen aus dem Buch. Zum Beispiel diese: „Für die Bosse ist Deutschland vor allem deshalb so komfortabel, weil die Behörden nur sehr zaghaft gegen sie vorgehen. Auch die Abhörmethoden sind behutsamer. Telefonmitschnitte sind durch gesetzliche Hürden stark eingeschränkt, denn das Gespenst des Überwachungsstaats ist noch lebendig, die Methoden der Gestapo und der Stasi immer noch in Erinnerung.“

    Die Mafia sei aber nicht nur in Italien ein Problem. Der Kampf gegen die Korruption müsse international geführt werden. „Kämpfen Sie mit“, ruft er seinen Fans zu. Sie applaudieren ihm stehend. Der Star winkt und entschwindet. Autogramme gibt er nicht.

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