Dass in den USA Attacken auf politische Gegner gerne mal zur Schlammschlacht ausarten, ist nicht ungewöhnlich. Schon gar nicht vor den Präsidentenwahlen. Die Kontroverse um eine Bemerkung des republikanischen Herausforderers Mitt Romney belegt das: Er warf den Wählern von Barack Obama (Demokraten) kürzlich in deftigen Worten vor, sie hätten es auf Almosen des Staates abgesehen.
Thomas Frank gilt als Kenner der amerikanischen Politkultur
Der Autor Thomas Frank (47) gilt als Kenner der amerikanischen Politkultur. In seinem Buch „Arme Milliardäre“ beschreibt der Gründer des linksgerichteten Magazins The Baffler, wie Amerikas Konservative aus dem Börsencrash von 2008 Kapital schlagen. Er beleuchtet, wie eine konservative Machtelite, die Tea-Party-Bewegung, Wähler dazu bringt, gegen ihre wirtschaftlichen Interessen zu stimmen.
Im Gespräch mit Augsburger Allgemeine wagt er eine Prognose zum Ausgang der bevorstehenden Wahlen.
Wodurch zeichnet sich das politische Klima in den USA derzeit aus?
Frank: Durch den Aufstieg einer neuen Rechten. Mithilfe der Tea-Party-Bewegung ist es den Republikanern nach dem Börsencrash in zwei Jahren gelungen, das Repräsentantenhaus zu erobern. In den Bundesstaaten wurden die Parlamente von ihnen überrannt. Das ist der größte Erfolg der Republikaner seit 1938. Der klassische Kulturkampf um Abtreibung und Religion ist in den Hintergrund getreten. Es dominieren Wirtschaftsthemen und Obamas Gesundheitsreform.
Wofür steht die Tea Party?
Das ist Mitt Romney
Willard Mitt Romney wurde am 12. März 1947 in Detroit geboren.
Romney studierte an der renomierten Harvard University und besitzt neben seinem Master in Business Administration auch einen Abschluss in Rechtswissenschaften.
Seit 1969 ist Romney verheiratet und hat mittlerweile fünf Söhne und 16 Enkelkinder.
Romney ist überzeugter Mormone und war unter anderem ab 1966 für zwei Jahre missionarisch in Frankreich tätig.
Im Jahr 2002 wurde Romney zum 70. Gouvernour des Bundesstaats Massachusetts gewählt.
Dabei setzte er sich mit 50% der Stimmen durch, was im liberalen Massachusetts für einen Aufschrei sorgte. Dort stellt im Regelfall die demokratische Partei die Regierung.
Im Jahr 2005 kündigte Romney an für die US-Präsidentschaftswahl 2008 zu kandidieren.
Obwohl er in einigen Bundesstaaten gute Ergebnisse erzielen konnte, musste sich Romney letztlich John McCain geschlagen geben, der später die Wahl gegen den Demokraten Barack Obama verlor.
Bei der Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl 2012 lief es dann besser für Romney: am 29. Mai 2012 sicherte er sich die nötige Stimmanzahl für eine mögliche Präsidentschaftskandidatur. Gegen Amtsinhaber Obama unterlag Romney aber.
Romney lehnt gleichgeschechtliche Ehen ab, befürwortet die Sendung von Soldaten in den Irak und hat eine harte Haltung gegenüber illegalen Einwanderern.
Frank: Sie ist als Protestbewegung in Reaktion auf die Finanzkrise entstanden. Ironischerweise fordert sie einen reinen Kapitalismus und tritt für die Interessen der Banker und Großindustriellen ein. Anstatt anzuerkennen, dass zu geringe Kontrolle über die Wirtschaft die Probleme ausgelöst hat, sollen bestehende Regeln weiter beseitigt werden. Inzwischen ist die Bewegung völlig in der Republikanischen Partei aufgegangen. Der schwarze Peter am Börsencrash wurde dabei von Anfang an den Demokraten zugeschoben.
Die Krise begann doch aber unter Ex-Präsident George W. Bush.
Frank: Die Rechte hat die Situation umgedeutet und Obama hat ihr freie Hand gelassen. Ihre Behauptung lautete, die Demokraten hätten die Entfaltung eines uneingeschränkten Kapitalismus seit jeher blockiert. Nur ein absolut freier Markt aber hätte die Krise verhindern können.
Wieso findet diese These ausgerechnet bei Millionen Durchschnittsamerikanern Anklang, die von der Krise besonders hart gebeutelt wurden?
Frank: Weil es keine Protestbewegung gibt, die eine sinnvollere Erklärung bietet. Die Rechte hat die Wut derer, die ihr Haus oder ihre Rente verloren haben, mit einer verbreiteten Skepsis gegenüber dem Staat zusammengeführt. Wir Amerikaner lieben es grundsätzlich, die jeweilige Regierung für alles Mögliche verantwortlich zu machen.
Einigen von Ihren Lesern wird das als Erklärung nicht reichen.
Frank: Die Republikaner haben sich außerdem als radikale Verfechter des „American Way of Life“ hervorgetan. Auf viele Menschen wirkt das äußerst anziehend, jedoch erliegen sie einem Irrtum. Früher wurde darunter verstanden, dass jeder am Wohlstand des Landes gleichermaßen teilhaben kann. Wenn die Rechte den Begriff heute benutzt, bedient sie eine egoistische Geisteshaltung, die sagt: „Ich will ein gigantisches Haus, einen Ferrari und niemand verdient es außer mir.“
Welche Rolle spielen die US-Medien?
Das ist Barack Obama
Barack Hussein Obama Junior wurde am 4. August 1961 in Honolulu (Hawaii) geboren.
Die Mutter war eine Anthropologin aus den USA, Obamas Vater, der die Familie wenig später verließ, war Kenianer.
Von 1967-1970 lebte Obama in Jakarta (Indonesien), bevor die Familie wieder nach Hawaii zurückkehrte.
Obama studierte in New York Politikwissenschaften und wenig später an der renomierten Harvard University Jura. Er beendete sein Studium als Juris Doctor.
In Harvard lernte er 1988 auch Michelle Robinson kennen, die ebenfalls Jura studierte. 1992 heiratet das Paar und bekommt zwei Töchter.
In Chicago schlug Obama 1992 schließlich eine politische Laufbahn ein. Er unterstützte Bill Clinton bei seinem Wahlkampf um die US-Präsidentschaft.
Am 20. Januar 2009 wurde er zum 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt.
Am 17. Januar 2009 wurde er als erster dunkelhäutiger Präsident Amerikas in sein Amt eingeführt.
Im selben Jahr noch wurde ihm der Friedensnobelpreis für seinen Einsatz zur Stärkung der internationalen Diplomatie verliehen.
Seitdem hatte Obama Schwierigkeiten, den enorm hohen Erwartungen standzuhalten. Die Wirtschaftskrise setzte seiner Regierung, die ohnehin leere Kassen übernommen hatte, schwer zugesetzt.
Dennoch wurde Obama im November 2012 wiedergewählt. In einem Kopf-an-Kopf-Rennen setzte er sich gegen seinen Konkurrenten Mitt Romney durch.
Frank: Die Medien sind im Unterschied zu Europa stark parteiisch. Die Politiker reagieren darauf und lassen sich in ihrer Rhetorik und Theatralik auf das Spiel ein. Das ist es, was viele Amerikaner sehen wollen. Für sie geht es oft weniger um Inhalt, sondern mehr um Unterhaltung. Viele identifizieren sich außerdem nicht sonderlich stark mit den Parteien. Demokraten und Republikaner sind wie Coca-Cola und Pepsi. Heute trinkt man das eine, morgen das andere.
In Ihrem Buch warnen Sie vor einem Einflussgewinn der neuen Rechten.
Frank: Bei einem Sieg Romneys würde sie ihre Position noch weiter stärken, was durch die Nominierung Paul Ryans zum Vizekandidaten schon geschehen ist. Er steht für eine konservative Tradition, die den Wohlfahrtsstaat und die Arbeiterorganisationen nie akzeptiert hat und im Grunde zum Wirtschaftssystem des 19. Jahrhunderts zurück will. Entsprechend hat er einen Entwurf vorgelegt, der den Haushalt auf das Niveau von 1935 reduziert. Selbst wenn der reine Kapitalismus Utopie bleibt, durch die Deregulierung der Wirtschaft ist unter den Republikanern mit neuen Krisen zu rechnen.
Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario für 2012?
Frank: Ich glaube, dass Obama die Wahl gewinnt, obwohl er Fehler gemacht hat: Angefangen von seiner Expertenhörigkeit, die dem Volk Erklärungen schuldig bleibt, bis zur Gesundheitsreform. Romney hat sich aber als lausiger Kandidat entpuppt. Ich denke, dass Paul Ryan 2016 selbst antritt und noch lange eine Rolle in der Politik spielen wird. Interview: Christian Packheiser