Papst Franziskus ist ein Reformer. Er hat den Schutz der Umwelt ganz oben auf die Agenda der katholischen Kirche gesetzt. Er versucht, starre Traditionen aufzubrechen; im Zentrum seiner Aufmerksamkeit stehen nicht die besonders eifrigen oder vorbildlichen Christen, sondern arme, kranke oder an den Rand gedrängte Menschen. Aus diesen und anderen Gründen setzten viele Menschen zu Recht Hoffnungen auf den Papst.
Kultur der Vertuschung ist die Achillesferse des Papstes
Auch beim Thema Missbrauch macht Franziskus vieles richtig. Er hat bald nach Amtsantritt eine Kommission zum Kinderschutz eingesetzt, die Präventionsmaßnahmen erarbeitet. Der Papst hat Vorschriften verschärft, er trifft regelmäßig Betroffene, die von Mitgliedern des Klerus missbraucht wurden. Immer wieder spricht Franziskus von „null Toleranz“ gegenüber Tätern und denjenigen, die Missbrauch vertuschen.
Die Vertuschung, also die jahrzehntelang gepflegte Kultur in der Kirche, das Ansehen der Institution und ihrer Mitglieder höher zu bewerten als das Interesse an Aufklärung und Heilung, ist bis heute das eigentliche Problem. Hier zeigt Franziskus große Schwächen. Die Kultur der Vertuschung ist die Achillesferse des Papstes.
Das gilt nicht erst, seit ein ehemaliger vatikanischer Nuntius vor Wochen ein Dossier veröffentlicht hat, demzufolge er den Papst bereits vor fünf Jahren von den Missetaten des ehemaligen Erzbischofs von Washington, Theodore McCarrick, informiert habe. Franziskus erkannte McCarrick, der offenbar mehrere Seminaristen missbraucht hat, erst im Juli die Kardinalswürde ab. Viel zu spät, sollten die Vorwürfe des Nuntius zutreffen.
Der Papst hat sich seit Beginn seines Pontifikats mit Männern umgeben, die in Sachen Missbrauch keineswegs über jeden Zweifel erhaben waren. Am Abend des Konklaves durfte etwa der belgische Kardinal Godfried Danneels, einer der Regisseure der Wahl, in unmittelbarer Nähe des neu gewählten Papstes auf der Mittelloggia des Petersdoms stehen, eine eindeutige Ehrerweisung für den Prälaten.
Der hatte allerdings nur drei Jahre zuvor ein Missbrauchsopfer aufgefordert, die Vorwürfe gegen seinen Onkel, einen Bischof, der ihn jahrelang sexuell missbraucht hatte, erst einmal nicht öffentlich zu machen. Das hinderte Franziskus nicht, Danneels auch als Sondergast zur Familiensynode einzuladen.
In seinen neunköpfigen Kardinalsrat (K9) berief der Papst mindestens zwei Kandidaten, die inzwischen entlarvt sind. Kardinal George Pell, den Franziskus mit den Finanzreformen im Vatikan betraute, steht in Australien vor Gericht, weil er in den 70er Jahren mehrere Jugendliche selbst missbraucht haben soll. Auch der Chilene Francisco Javier Errázuriz, ein enger Weggefährte Bergoglios, hat nachweislich einen Täter gedeckt. Pell und Errázuriz sollen im K9 demnächst ersetzt werden.
Papst Franziskus muss Fragen zu seiner Vergangenheit beantworten
Im Februar hat Franziskus nun einen Krisengipfel im Vatikan einberufen, die Vorsitzenden aller Bischofskonferenzen sollen zum Thema beraten. Doch der Termin und seine Beschlüsse bleiben Makulatur, solange sie von Kirchenmännern gefasst werden, die drängende Fragen zu ihrer eigenen Vergangenheit nicht beantwortet haben. Das gilt auch für Franziskus, der als Erzbischof von Buenos Aires 15 Jahre Verantwortung in der Diözese trug.
Nach Angaben der Organisation Bishop Accountability, die Daten über kirchliche Missbrauchstäter oder Vertuscher sammelt, entsprach das Verhalten Jorge Bergoglios in mindestens fünf Fällen nicht seinen heutigen Imperativen. Im Fall des 2009 wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu 15 Jahren Haft verurteilten Priesters Julio César Grassi, stellte Bergoglio sogar nachweislich das Wohl der Kirche über das der Opfer. Als Vorsitzender der argentinischen Bischofskonferenz ließ der heutige Papst eine vierbändige Studie zur Entlastung des Priesters anfertigen und leitete diese an die Berufungsrichter weiter, um diese zu beeinflussen. Das ist erst acht Jahre her. Solange Franziskus sich seiner Vergangenheit nicht stellt, bleibt er unglaubwürdig.