Bis vor kurzem wurden Menschen, die ihre Mails und Computer verschlüsselten, meist als Verschwörungstheoretiker belächelt. Seit den Enthüllungen von Menschenrechtler fordern Schutz für Snowden fragen sich auch Normalnutzer, wie sie unbeobachtet surfen können.
Verschlüsselte E-Mails für den Normalnutzer
Die Erklärung ist Andre so wichtig, dass er sie auf Papier skizziert hat. Das ist ungewöhnlich bei diesem Treffen, denn eigentlich geht es um Computer. Um Andre herum sitzen mehrere Dutzend Menschen in kleinen Gruppen zusammen und tippen auf ihre Tastaturen. Auf einem umfunktionierten Tischtennistisch drängen sich Laptops zwischen Rucksäcken und einer Kabeltrommel, Mate-Brause und Bierflaschen stehen auf dem Boden.
Andre hat aufgemalt, wie verschlüsselte E-Mails funktionieren. Dazu brauchen Sender und Empfänger je zwei Schlüssel: Einen öffentlichen und einen privaten. "Der öffentliche Schlüssel ist sozusagen ein Vorhängeschloss, das nur der private Schlüssel aufschließen kann", erklärt Andre. Der Trick: Wer den passenden Schlüssel nicht hat, kann in der Mail nur eine sinnlose Folge aus Zahlen und Buchstaben erkennen.
Auf "Cryptoparties" kann man verschlüsseln lernen
Stichwort: Hacker, Cracker, Hacktivisten
Ursprünglich bezeichnete der Begriff "Hacker" einen Technik-Enthusiasten, der ein Gerät oder eine Software begreifen will und dabei neue, nicht selten ungewöhnliche Nutzungsmöglichkeiten erschließt.
Im allgemeinen Sprachgebrauch werden darunter jedoch vor allem Kriminelle und Spione verstanden, die Sicherheitslücken ausnutzen, um in fremde Computer einzudringen, um diese lahmzulegen oder Informationen zu stehlen.
In der Szene gibt es für die kriminellen Hacker einen eigenen Begriff: Cracker.
Als Script-Kiddies bezeichnet man abfällig junge Hacker, die mit wenig eigenem Fachwissen Sicherheitslücken an fremden Systemen ausnutzen, um Schaden anzurichten - oder schlicht zu beweisen, wie gut sie sind.
Eine weitere Untergattung des Hackers hat in den vergangenen Jahren immer wieder Schlagzeilen gemacht: Der Hacktivist, der seine Fachkenntnisse einsetzt, um für politische Ziele zu kämpfen.
Die lose organisierte Gruppe Anonymous legte beispielsweise die Websites von Firmen lahm, die das Whistleblowing-Portal Wikileaks boykottiert hatten.
Der Chaos Computer Club (CCC) betont, zur guten Seite zu gehören.
Der Verein hat sich selbst eine Hackerethik gegeben. Und mit ihrer Expertise treiben die Computerexperten die politische Debatten zu Themen wie Vorratsdatenspeicherung oder Überwachungssoftware voran.
Um das zu lernen, sind etwa 60 Menschen zur "Cryptoparty" in Berlin gekommen. Sie wollen sich im Internet bewegen, ohne dass jemand mitverfolgen kann, welche Webseiten sie ansteuern und was sie in ihren E-Mails schreiben. Seit vergangenem Jahr gibt es solche Treffen, bei denen Hacker anderen Menschen sicheres Surfen beibringen. Bisher interessierten sich vor allem eingefleischte Computernutzer und Aktivisten in Krisenregionen dafür. Dann machte der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden öffentlich, wie umfassend der Internetverkehr ganz normaler Nutzer von amerikanischen und britischen Geheimdiensten aufgezeichnet und analysiert wird. Damit ist Verschlüsselung kein Nischenthema mehr.
"Viele Menschen sind natürlich stark verunsichert und wollen herausfinden, wie sie sich schützen können", sagt Katharina Nocun, die politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. Die Piraten haben sich das Thema wahlkampfwirksam auf die Fahnen geschrieben. Sie organisieren eigene "Cryptopartys" in Münster, Braunschweig oder Aachen. Sichere Kommunikation im Netz sollte für alle Menschen zugänglich sein, sagt Nocun.
Vom Hacker zum Nutzer
Das sieht auch Malte Dik so, der die "Cryptoparty" in Berlin organisiert hat. Für ihn bilden die Partys eine Verbindung zwischen den Hackern, die die Programme basteln, und den Nutzern der Technik. Er will sich nicht nur gegen staatliche Überwachung wehren, sondern auch Unternehmen einen Riegel vorschieben, die aus dem Surfverhalten detaillierte Nutzerprofile erstellen. "Es gibt Millionen Gründe", sagt er. Verschlüsselung und Anonymisierung seien wie digitale Fitness. "Das sollten eigentlich alle kennen."
Doch die Vermittlung klappt nicht immer. Die Hacker-Treffpunkte, wo die Veranstaltungen oft stattfinden, können in ihrer unverputzten Anarchie abschrecken. Bei einer anderen "Cryptoparty" am Tag zuvor erklärt einer der Redner, sich selbst erst seit wenigen Wochen mit dem Thema zu beschäftigen. Die Teilnehmer gucken ratlos. Am Ende hat kaum jemand ein neues Programm auf dem eigenen Rechner installiert. Am Freitagabend läuft das anders. Fleißig erläutern mehrere spontane Helfer die verschiedenen Verschlüsselungsprogramme. Auch als zwischendurch für einen Moment das Internet abgeschaltet werden muss, gehen die Diskussionen weiter.
Verschlüsselungen machen Geheimdiensten das Leben schwer
Die Hilfestellung ist auch nötig. "Eigentlich ist das ganz trivial, aber ich muss auf viele Sachen achten", sagt Stephan Urbach. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Verschlüsselungstechniken, er half syrischen und ägyptischen Aktivisten, sicher mit der Außenwelt zu kommunizieren. Im Internet überwacht zu werden, kann dort lebensgefährlich sein. Auch wenn viele Programme nicht besonders benutzerfreundlich sind, rät Urbach, sich nicht entmutigen zu lassen. "Wir müssten eigentlich viel mehr verschlüsseln." Noch errege eine verschlüsselte Nachricht erst Recht Aufmerksamkeit, vermutet er. Dennoch sagt er: "Es geht einfach darum, klar zu machen: Wir lassen uns nicht überwachen."
Die nächste Veranstaltung ist erst für September geplant. Absolute Sicherheit können allerdings auch die Verschlüsselungstechniken nicht schaffen. Immerhin könne man es den Geheimdiensten schwerer machen, meint Urbach. Und "Cryptoparty"-Organisator Dik sagt: "Mit wahnsinnig wenig Aufwand erreicht man schon wahnsinnig viel Sicherheit." In Berlin wollen sich die verschiedenen Organisatoren von "Cryptopartys" jetzt zusammen setzen und eine regelmäßige Reihe schaffen. dpa