Startseite
Icon Pfeil nach unten
Politik
Icon Pfeil nach unten

Konflikt in Syrien: Christliche Assyrer zwischen den Fronten

Konflikt in Syrien

Christliche Assyrer zwischen den Fronten

    • |
    Christliche Assyrer zwischen den Fronten
    Christliche Assyrer zwischen den Fronten

    Issa Hanna blickt zurück auf ein verlorenes Jahr. Mehr noch, die Situation der Christen im Bürgerkriegsland Syrien hat sich in den letzten Monaten weiter dramatisch verschlechtert. Eines aber bleibt für ihn unverändert: Der Assyrer Hanna, der in Augsburg lebt und arbeitet, fürchtet um die Sicherheit seiner Familie, die in der Stadt Qamischli im äußersten Nordosten Syriens an der Grenze zur Türkei lebt.

    Schwager gegen Lösegeld wieder frei

    Wie begründet seine Angst um die Angehörigen ist, zeigte sich im März, als Hannas Schwager nahe Qamischli von Bewaffneten entführt wurde. Nach einem Monat Bangen und der Zahlung eines mit Hilfe von Freunden mühsam gesammelten Lösegeldes von 65 000 Euro wurde er im April wieder freigelassen. „Die Entführer haben ihn mit verbundenen Augen und gefesselt einen Monat lang versteckt. An den Folgen leidet er noch heute“, sagt Hanna im Gespräch mit unserer Zeitung. Die Kidnapper seien ausländische Islamisten gewesen. Kein Einzelfall, vor wenigen Tagen wurden erneut drei junge Assyrer im Norden entführt, wie Hanna und die Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) bestätigen.

    Für den 55-Jährigen ist an einen Besuch in der Heimat nicht zu denken. Kontakte zur Mutter oder den Geschwistern über das Mobiltelefon sind so selten wie kostbar. „Die Situation ist für mich psychologisch nur zu ertragen, weil ich versuche, mich für die Assyrer dort einzusetzen. Ich kämpfe von Deutschland aus dafür, dass es eine Zukunft für die Christen in Syrien gibt.“ Als zweiter Vorsitzender der Assyrischen Demokratischen Organisation (ADO), Sektion Europa, organisiert er Hilfsaktionen. Hanna schätzt, dass bis zu 200 000 Assyrer auf der Flucht vor Gewalt, auch vor willkürlichen Hinrichtungen, sind. Wie viele Christen ihr Leben verloren haben, vermag er nicht zu sagen.

    Fast alle Christen in Homs sind geflohen

    Zehn Fakten zu Syrien

    Syrien heißt amtlich "Arabische Republik Syrien".

    Syrien liegt in Vorderasien und grenzt an Israel, Jordanien, den Libanon, die Türkei und an den Irak.

    Syrien ist 185.180 Quadratkilometer groß und hat etwa 21 Millionen Einwohner.

    Die Staatsform wird im diktatorisch regierten Land mit "Volksrepublik" angegeben.

    Die Amtssprache des Landes ist Arabisch.

    Die Währung ist die Syrische Lira.

    Am 17. April 1946 wurde das Land unabhängig von Frankreich.

    Das Kfz-Kennzeichen lautet SYR, die Internet-TLD .sy. Die internationale Telefonvorwahl ist die +963.

    Die größten Städte Syriens sind Aleppo, Damaskus, Homs, Hama und Latakia.

    Staatsoberhaupt seit dem 17. Juli 2000 ist Baschar al-Assad.

    Auf dem Spiel steht längst auch die viele Jahrhunderte alte Kultur und Siedlungstradition der Assyrer in Syrien. Hanna nennt das Beispiel Homs. „Von den rund 150 000 Christen in der Stadt sind fast alle geflohen. Die Zerstörung dort ist extrem, ganze Viertel wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Lebensmittel werden knapp.“ Ein Zeichen für die große Gefahr, in der sich die Christen befinden, ist die Entführung der Erzbischöfe Mor Gregorios Yohanna Ibrahim und Boulos Yazigi – von ihnen fehlt seit fast 90 Tagen jedes Lebenszeichen.

    „Die Christen werden die Verlierer sein, wenn es keinen Frieden gibt. Denn sie haben anders als Alawiten oder Sunniten keine Schutzmacht“, sagt Kamal Sido. Der syrische Kurde ist Nahostreferent der GfbV. Was ihn besorgt ist der grenzenlose Hass islamistischer Milizen gegen alles Christliche: „Erst heute habe ich Bilder gesehen, wie Fanatiker unter Rufen ,Allah ist mächtig‘ eine Marien-Heiligenfigur vor einer Kirche in der Provinz Idlib im Nordwesten geköpft haben.“

    Waffen aus dem Ausland werden auch gegen Christen eingesetzt

    Die arabische Welt im Umbruch

    Seit Ende 2010 befinden sich große Teile der arabischen Welt in schweren Turbulenzen: In Ägypten wurden mittlerweile zwei Präsidenten gestürzt, Syrien schlitterte in einen blutigen Bürgerkrieg, und sowohl Tunesien als auch Libyen durchlaufen nach gewaltsamen Revolutionen schwierige Übergangsphasen.

    ÄGYPTEN: Der erste demokratisch gewählte Präsident des 80-Millionen-Einwohner-Landes, Mohammed Mursi, wurde an diesem Mittwoch nach nur einem Jahr im Amt vom Militär gestürzt. Zuvor hatte es tagelange Proteste mit dutzenden Todesopfern gegeben, wie sie in ähnlicher Weise im Februar 2011 schon Mursis Vorgänger Husni Mubarak zur Aufgabe zwangen. Während Mubarak seine Macht formal aus eigenen Stücken an das Militär abtrat, ergriffen die Streitkräfte diesmal selbst die Initiative: Sie drängten Mursi aus dem Amt, indem sie Verfassungsrichter Adli Mansur zum Übergangspräsidenten ernannten und damit vorgezogene Neuwahlen einleiteten. Mansur wurde am Donnerstag als neuer Staatschef vereidigt, gleichzeitig verhafteten die Sicherheitskräfte mehrere Anführer von Mursis regierenden Muslimbrüdern, die die wirtschaftlichen Probleme des Landes zum Ärger der Bevölkerung nicht lösen konnten.

    TUNESIEN: Hier nahm die als «Arabischer Frühling» zusammengefasste Protestwelle ihren Anfang, die etliche Länder Nordafrikas und im Nahen Osten erfasste. Der 23 Jahre lang regierende Präsident Zine El Abidine Ben Ali floh am 14. Januar 2011 außer Landes, nachdem die Selbstverbrennung eines verzweifelten Mannes den Volkszorn über wirtschaftliche Probleme entfesselte. Monate später spülten die Wahlen zur Nationalversammlung die moderate Islamisten-Partei Ennahda an die Regierungsmacht, das Parlament wählte Ben Alis Erzrivalen Moncef Marzouki zum Präsidenten. Wegen Streitigkeiten zwischen den Abgeordneten ist bis heute keine neue Verfassung verabschiedet. Neben wiederkehrenden politischen Krisen leidet das Land weiter an sozialen Unruhen und dem Machtzuwachs radikaler Islamistengruppen.

    SYRIEN: Seit 13 Jahren ist in Damaskus Präsident Baschar al-Assad an der Macht, der die Staatsführung seinerseits schon vom Vater übernommen hatte. Im März 2011 aufkeimende Proteste gegen den Autokraten wuchsen sich zu einem brutalen Bürgerkrieg aus, der Aktivisten zufolge inzwischen mehr als 100.000 Menschen das Leben gekostet hat. Nach zwischenzeitlichen Erfolgen verloren die Rebellen in den vergangenen Wochen Boden gegenüber Assads Regierungstruppen und der verbündeten Hisbollah-Miliz aus dem benachbarten Libanon. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR geht von knapp sechs Millionen Flüchtlingen im In- und Ausland aus, die ihre syrische Heimat infolge des Bürgerkriegs verlassen mussten und damit auch die zwischenstaatlichen Beziehungen in Nahost belasten.

    LIBYEN: Im Oktober 2011 wurde der seit Jahrzehnten regierende Machthaber Muammar al-Gaddafi getötet, gegen den Aufständische mithilfe der Luftunterstützung durch NATO-Flugzeuge einen blutigen Feldzug geführt hatten. Seitdem bemühen sich Libyens neue Übergangsbehörden um den Aufbau eines Militär- und Sicherheitsapparats, der eigenständig Recht und Ordnung wiederherstellen und den Staat vor Attacken bewaffneter Milizen schützen soll. In den vergangenen Monaten sind sowohl die Sicherheitskräfte als auch Einrichtungen westlicher Staaten immer wieder zur Zielscheibe von Angriffen geworden.

    JEMEN: Im Zuge des Arabischen Frühlings erhob sich das jemenitische Volk gegen den langjährigen Präsidenten Ali Abdallah Saleh. Es gelang, Saleh in einem Verhandlungsprozess zum Abtreten zu bewegen und eine zweijährige Phase des Übergangs zu vereinbaren. Derzeit wird eine neue Verfassung erarbeitet, für Februar 2014 sind Wahlen angekündigt. (afp)

    Ein Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht: „Weder Assads Truppen noch die Rebellen sind stark genug, um den Konflikt, der sich zu einem Religionskrieg gewandelt hat, militärisch zu gewinnen“, sagt Sido. Auch wenn die regulären Streitkräfte, wie zuletzt bei der Einnahme von Al-Kuseir an der Grenze zum Libanon, einige Erfolge vorweisen können, hält Sido deren vollständigen Sieg über die Aufständischen für nicht denkbar. „Gegen die Rebellen spricht aber, dass die Bevölkerung erkannt hat, mit welcher Brutalität insbesondere Islamisten aus dem Ausland vorgehen.“ Viele Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) seien längst in der Hand oder unterwandert von religiösen Fanatikern. Zuletzt hatten sich verschiedene Rebellen-Einheiten untereinander heftige

    Ein Appell, den Issa Hanna unterstützt. Gleichzeitig hofft er nach Gesprächen mit Regierungsstellen in Berlin in der letzten Woche, dass die von Deutschland zugesagten 160 Millionen Euro Hilfsgelder auch tatsächlich bei den Christen ankommen. Seine Enttäuschung kann er dennoch nicht verbergen. „Es wird viel konferiert, geredet und getagt – etwas Konkretes kommt dabei aber selten heraus.“ Ein Vorwurf, den er auch der Kirche in Deutschland macht.

    Forderung Syrien in autonome Gebiete zu teilen

    Bei aller Verzweiflung hofft Kamal Sido auf Verhandlungen: Die USA, Russland und alle weiteren am Konflikt beteiligten Länder müssten zunächst ein Waffenembargo beschließen. Zudem sei es angesichts der militärischen Pattsituation unumgänglich, dass Syrien – zumindest vorübergehend – in autonome Gebiete aufgeteilt wird, die von einer föderalen Struktur zusammengehalten werden.

    Anzeichen für eine solche Lösung gibt es kaum. So steht in den Sternen, wann Issa Hanna seine Mutter in Qamischli wiedersehen wird.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden