In dem letzten Eintrag seines 1516 Seiten starken Manifests schreibt Anders Behring Breivik: „Die erste Kostümparty des Jahres, ich verkleide mich als Polizist. Kam dort hin mit meinen Abzeichen.“ Und er ergänzt: „Ich glaube, dies wird mein letzter Eintrag sein. Es ist jetzt Freitag, der 22. Juli, 12:51 Uhr.“ Zweieinhalb Stunden später explodiert im Osloer Regierungsviertel eine gewaltige Bombe, die sieben Menschen in den Tod reißt. Und dann schließlich schießtder 32-jährige Anders Behring Breivik in Polizeiuniform auf der idyllischen Insel Utøya 86 junge Menschen der sozialdemokratischen Jugendorganisation kaltblütig nieder.
Was er getan hat, sei „grausam, aber notwendig“ gewesen, lässt er später über seinen Anwalt Geir Lippestad ausrichten. Der Attentäter gesteht beide Taten. Er soll sie neun Jahre lang geplant haben. Zuletzt lebte Breivik allein auf einem Bauernhof, wo er angeblich einen Agrarhandel namens „Geofarm“ für Gemüse und Früchte betrieb. Im Frühjahr soll er begonnen haben, insgesamt sechs Tonnen Kunstdünger für den Bombenbau zu kaufen. Auf die Frage der Zeitung Dagbladet an den Anwalt, ob sein Mandant die Tat bereue, sagt dieser: „Es ist schwierig, das zu kommentieren.“
Attentäter mailt Manuskript an seine Freunde
„Die Zeit für Dialog ist vorbei. Wir haben dem Frieden eine Chance gegeben. Jetzt ist die Zeit für bewaffneten Widerstand gekommen“, erklärt Breivik unter englischem Pseudonym in dem wirren Pamphlet, das auch dieser Zeitung vorliegt. „2083. Eine europäische Unabhängigkeitserklärung“ – hat er das Manuskript genannt. Die Zahl 2083 benennt das Jahr, in dem er die Auslöschung der „Kultur-Marxisten“ und die Vertreibung aller Muslime durch einen Bürgerkrieg in Europa erwartet. „Einige Kulturen sind besser als andere, einige sind unsere Freunde, einige unsere Feinde“, heißt es weiter. Sogar die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel wird als mögliches Anschlagsziel genannt. Sich selbst nennt Breivik einen Tempelritter.
In dem Manuskript, das er rund eine Stunde vor dem ersten Attentat an viele Freunde gemailt hat, interviewt sich Breivik auch selbst. Seine Operationen habe er alleine geplant und zur Sicherheit mit niemandem darüber geredet. Der Attentäter erzählt auch von seiner Kindheit mit vier Halbschwestern – er habe zu viel Freiheit bekommen, sagt er.
Die Nachbarn in Oslo, wo Breivik aufwuchs, beschreiben ihn und seine 60-jährige Mutter als ganz gewöhnliche nette Nachbarn. Er ging auf das Handelsgymnasium in Oslo und war mehrere Jahre aktives Mitglied in der gemäßigt rechtspopulistischen Fortschrittspartei, die inzwischen stimmenmäßig zu den stärksten politischen Kräften des Landes gehört. 2002 war er für wenige Monate sogar Vorsitzender einer Stadtteilgruppe. In seinem Text erklärt Breivik, sowohl seine Mutter als auch sein Vater seien Sympathisanten der Arbeiterpartei, die am Freitag zum Ziel seiner Anschläge wurde. Die beiden ließen sich scheiden, als Breivik noch ein Kind war.
Sorgfältig inszenierte Visitenkarte im Social Web
Im Internet hinterlässt er jetzt eine sorgfältig inszenierte Visitenkarte: Die Profile unter seinem Namen bei Facebook und dem Kurznachrichtendienst Twitter sind erst am 17. Juli entstanden. Auf Twitter steht nur dieser Satz: „Ein Mensch mit einem Glauben hat die Kraft von 100000, die nur Interessen haben.“
„Er ist blond, blauäugig und kalt wie Eis“, sagt ein Vernehmungsbeamter. Der 32-Jährige sei vollkommen aus dem Nichts aufgetaucht. Außer wegen eines Verkehrsdelikts sei er nicht vorbestraft.
In der Öffentlichkeit will Breivik als konservativer Christ gesehen werden. Seiner Facebook-Seite zufolge hat er ein Osloer Handelsgymnasium besucht. Er gehe gerne jagen und spiele Computerspiele wie „World of Warcraft“ und „Modern Warfare 2“.
Wortgewandt teilt er in schon älteren Online-Einträgen die Welt in „kulturkonservative Menschen“ und „Multikulturalisten“, die eine „anti-europäische Hassideologie“ vertreten. Ihr Ziel sei es, die europäische Kultur, die Nationalstaaten und das Christentum zu zerstören.
Bei einem Hafttermin, der für heute angesetzt ist, will Breivik sich öffentlich äußern. Sein Anwalt erklärte, sein Mandant wünsche bei dem Termin in Oslo keinen Ausschluss der Öffentlichkeit und wolle seine Motive darlegen. In seinem Manifest hatte Breivik die mögliche eigene Festnahme nach dem Massaker als „Übergang zur Propagandaphase“ eingestuft. (mit dpa)