Stefan Oster ist im Mai im Alter von nur 48 Jahren zum Bischof von Passau geweiht worden. Damit wurde er zum jüngsten Ortsbischof Deutschlands. Seitdem bekannt ist, dass der Oberpfälzer Bischof wird, grassiert eine regelrechte „Oster-Euphorie“. Wo auch immer der Salesianerpater und frühere Dogmatikprofessor, der erst 2001 in Augsburg zum Priester geweiht wurde, auftritt – er wird begeistert empfangen. Oster kommt an, unter anderem weil er offen spricht und klar formuliert. Kein Wunder: Oster ist ausgebildeter Journalist.
Ein Gespräch über plötzliche Berühmtheit und das Leben als Bischof. Über die tiefe Vertrauenskrise, in der sich die katholische Kirche seit dem Missbrauchsskandal und dem Fall Tebartz-van Elst befindet. Sowie über das katholisch-konservative und das progressive Lager, die sich unversöhnlich gegenüberstehen.
Herr Bischof, wissen Sie inzwischen wie „Bischof sein“ geht?
Oster: In mir formt sich eine Idee davon. Manches läuft schon ganz gut, manches andere muss ich noch verstehen lernen.
Sie kamen gewissermaßen direkt vom Kloster ins Bischofsamt ...
Oster: ... und das ist eine völlig andere Dimension. Daher hab ich von Anfang an gesagt: Ich habe wenig Erfahrung. Glücklicherweise habe ich sehr loyale und kompetente Mitarbeiter, die mir in das Amt hineinhelfen. In Finanzangelegenheiten, merke ich zum Beispiel, brauche ich einen längeren Anlauf. Bisher hatte ich ja nicht einmal ein Girokonto.
Haben Sie gelegentlich das Gefühl, überfordert zu sein?
Oster: Das gab es am Anfang, aber im Grunde noch vor meiner Zusage, als sich Gerüchte begannen zu verdichten. Aber auch als Bischof halte ich mein Leben jeden Tag meinem Herrgott hin und fühle mich von ihm getragen. Und ich habe kein Problem damit zu sagen: Das kann ich noch nicht, das müsst ihr mir noch zeigen.
Mit der Bischofsweihe ändert sich alles, oder?
Oster: Es ändert sich alles dramatisch: Ich bin aus meinem gewohnten Lebensumfeld herausgenommen und muss ein völlig neues Leben einüben.
Fürchten Sie zu vereinsamen?
Oster: Manchmal steigen in mir Gefühle von Einsamkeit hoch. Etwa, wenn ich vom Büro nach Hause komme und am Abend noch Mails oder Post beantworte. Dabei wird es dann manchmal 23 Uhr und ich frage mich dann: Was war das für ein Abend? Als Bischof muss man allerdings auch allein sein können. Immer gilt: Wenn ich ein einigermaßen angemessenes geistliches Leben führen kann, fühle ich mich nicht einsam.
Seitdem bekannt ist, dass Sie Bischof werden, gibt es eine regelrechte „Oster-Euphorie“. Sie haben es sogar in Stefan Raabs Sendung „TV total“ auf ProSieben gebracht.
Oster: Ja? Na, ob das eine Auszeichnung ist.
Wie gehen Sie mit Ihrer plötzlichen Berühmtheit um?
Oster: Natürlich übt so etwas eine Faszination aus, das befriedigt aber nicht wirklich, weil es äußerlich bleibt. Ich sage mir immer: Herr, ich hoffe, das gilt zuerst dir!
Ein Bischof hat zahlreiche Managementaufgaben. Kommt da das Gespräch mit Gott manchmal zu kurz?
Oster: Ich habe in einer Ordensgemeinschaft gelebt und dort ist es einfacher, ein geistliches Leben zu führen. Als Bischof muss ich mich durchaus disziplinieren. Es gibt Tage, an denen werde ich schlampig.
Schlampig?
Oster: Naja, dann denke ich mir: Heute Morgen hab ich schon länger gebetet, und jetzt am Abend ist mein Kopf so voll. Dann geht es nicht so gut. Ich merke aber in der Regel bald darauf, dass das so nicht läuft, dass ich dann unruhig werde. Denn geistlich zu leben, das ist einfach das A und O.
Vielen Priestern, die von einer Gemeinde zur nächsten hetzen, wird es ähnlich gehen.
Oster: Das geistliche Leben ist das Wichtigste für einen Priester. Es ist die Voraussetzung für seinen Dienst. Wir dürfen da keine Einschränkungen hinnehmen.
Die Gefahr ist groß, dass Ihr Beruf Priester auszehrt.
Oster: Natürlich. Aber wissen Sie, es gibt eine bundesweite Umfrage der zufolge Priester insgesamt eine deutlich höhere Berufs-Zufriedenheit haben als vergleichbare akademische Berufe.
In Deutschland werden immer mehr Pfarreien zusammengelegt, die Pfarreien werden größer ...
Oster: Das Interessante an der Umfrage ist: Die größte Zufriedenheit haben Priester, die eine große Pfarrei oder Pfarreiengemeinschaft leiten. Sie können das, und sie können offensichtlich gut delegieren und organisieren. Wenn es also wieder einmal heißt: Jetzt werden Pfarreien zusammengelegt, der Priester ist nur noch im Stress – dann ist das ein Bild, das den empirischen Daten nicht ganz entspricht. Die Debatte hinkt an dieser Stelle.
Dennoch: Warum dürfen engagierte Laien Priester nicht stärker unterstützen, etwa durch Wort-Gottes-Feiern dort, wo keine Eucharistiefeiern mehr angeboten werden können?
Oster: Es spricht grundsätzlich nichts gegen Wort-Gottes-Feiern. Es wird nur schwierig, wenn sie die Eucharistiefeiern am Sonntag ersetzen sollen. Die Eucharistie ist hier sehr zentral. Es gibt aber auch im Negativen eine Zentrierung auf diese Feier, insofern wir wenig geübt sind, anders miteinander zu beten. Warum muss zum Beispiel bei jedem Feuerwehr- oder Schützenjubiläum „eine Mess’ g’feiert werden“? Warum haben wir wenig andere Formen? Wir sind nicht besonders gut darin, Formen des Umgangs mit dem Wort Gottes, mit dem Gebet, zu finden, die unabhängig sind von der Messe.
Ist mit Ihnen oder dem Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki eine neue, junge und medienerfahrene Bischofsgeneration am Zug? Albert Schmid, der Vorsitzende des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, nannte Sie einen „neuen Typus von Bischof“, ein „ausgesprochenes Kommunikationstalent“.
Oster: Ob ich ein Typus bin? Weiß ich nicht. Ich versuche halt, normal zu sein.
Die Wissenschaft rät der katholischen Kirche: Mehr Bischöfe in die Medien!
Oster: Denken Sie an meine Facebook-Seite?
Ja. Vor wenigen Jahren wäre das kaum vorstellbar gewesen.
Oster: Keine Frage. Der Umgang mit Medien ist allerdings zutiefst zweideutig: Die Medien dürfen uns Bischöfe nicht vor sich hertreiben und ihre Erwartungen auf uns projizieren, sondern wir müssen das Evangelium verkünden. Freilich: Wir haben die Aufgabe, das Evangelium so zu verkünden, dass es heute gehört wird. Deswegen gehören auch diese Medien dazu, aber wenn wir nicht glaubwürdig reden und leben, dann hilft alle Kommunikation nichts.
Mit offenerer Kommunikation hätte die katholische Kirche in den vergangenen Jahren so manchen Skandal besser überstanden.
Oster: Ich denke, wir dürfen keine Angst haben vor den Medien. Und sicher haben wir ein Problem damit, gewisse Dinge so zu erklären, dass viele sie verstehen. Wir brauchen dennoch den Freimut, über das zu sprechen, was uns am Herzen liegt. Ich erlebe zum Beispiel gerade, dass manche Menschen mich mutig finden, weil ich zu bestimmten Themen klar Position bezogen habe. Aber, mein Gott: Ich bin halt überzeugt davon.
Sie sprachen sich gegen die Priesterweihe für Frauen oder gegen die Abschaffung des Zölibats aus. Deswegen sieht Sie mancher konservative Katholik bereits als „neuen“ Meisner. Joachim Kardinal Meisner war die katholisch-konservative Führungsfigur der letzten Jahrzehnte in Deutschland und ist wegen seiner Äußerungen höchst umstritten.
Oster: Ich will nicht in eine Schublade gesteckt werden. Vielleicht kann ich das mit offener Kommunikation vermeiden. Vielleicht lässt es sich aber auch einfach nicht verhindern. Dann ist es eben so. Aber seltsam ist es schon, wenn man geläufige, katholische Positionen vertritt, dann gleich ein Etikett verpasst zu bekommen.
In den vergangenen Jahren hat sich die Lagerbildung innerhalb der katholischen Kirche verschärft: Konservative stehen unversöhnlich gegen Liberale und umgekehrt.
Oster: Ich würde das nicht so pauschal sagen. Aber tatsächlich finden wir manchmal einen eher traditionalistischen Katholizismus, in dem schnell jemand, der sich etwa im Zentralkomitee der Katholiken engagiert, als Feindbild gilt. Und umgekehrt gibt es das auch. Wenn einer etwa zum „Meisner-Lager“ gehört, dann kann er in manchen Kreisen sagen, was er will, er würde nicht mehr gehört. Und das, denke ich, darf nicht sein: Auf allen Seiten sind es doch Menschen, die ernsthaft Gott suchen, die etwas bewegen wollen. Wir müssen uns gegenseitig in unserer Gottsuche und Gläubigkeit ernst nehmen.
Auch in der Deutschen Bischofskonferenz gibt es diese Lager.
Oster: Ich habe den Eindruck, dass sich die Bischöfe gegenseitig wirklich respektieren. Eines der Kennzeichen christlichen Glaubens ist aber auch Einheit in der Verschiedenheit.
Haben die Bischöfe eine gemeinsame Linie, wie sie der tiefen Vertrauenskrise begegnen wollen, in der sich die katholische Kirche durch den Missbrauchsskandal oder den Fall Tebartz-van Elst befindet?
Oster: Vielleicht fehlt durch diese Verunsicherung eine klare Linie, wie und wohin wir gehen wollen, aber ich denke, die Krise ist auch Chance: Aus einem umgepflügten Acker kann auch Neues wachsen, eine neue Vision, der Same kann sogar tiefer in den Boden hineinfallen.
Der frühere Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst musste unter anderem wegen der Kostenexplosion beim Bau des neuen Bischofssitzes sein Amt abgeben. Was hat die katholische Kirche daraus gelernt?
Oster: Es gibt in der Deutschen Bischofskonferenz den Willen zu einer Transparenzoffensive. Auch ich werde im Herbst die Finanzen meines Bistums offenlegen. Wir haben aus meiner Sicht nichts zu verbergen. Wir gehen verantwortungsvoll mit dem Geld der Kirchensteuerzahler um und wollen den Menschen dienen.
Könnte es eine Neiddebatte auslösen, wenn öffentlich wird, über welche Vermögenswerte die Bistümer verfügen? Das Bistum Limburg kommt auf eine Bilanzsumme von 909 Millionen Euro.
Oster: Das kann sein. Und hier haben die Medien durchaus eine heilsame Funktion für uns, wenn sie uns herausfordern und fragen: Was macht ihr eigentlich mit dem Geld? Wenn wir das nicht vernünftig erklären können, haben wir tatsächlich ein Problem.
Um Tebartz-van Elst ist es etwas ruhiger geworden.
Oster: Ich kenne ihn nicht, deswegen will ich kein Urteil über ihn abgeben. Die Frage ist aber schon: Warum knallte es so?
Warum?
Oster: Das liegt unter anderem am bischöflichen Amt selbst. Bischöfe wissen sich zuerst von Christus berufen und damit in gewisser Hinsicht auch von ihm legitimiert, freilich nicht allein. Die Kirche als Ganzes wirkt hier mit. Aber wo gibt’s denn sonst noch so was? Das muss doch anstößig sein für eine demokratische Gesellschaft! Freilich: Dass ein Bischof seine Berufung zuerst von Gott herleitet, heißt noch keineswegs, dass er schon ein Heiliger wäre.
Wegen Limburg, aber auch dank Papst Franziskus wird diskutiert, wie reich oder arm die Kirche sein sollte.
Oster: Die Debatte halte ich ebenfalls für heilsam. Aber natürlich: Jeder Mensch ist anfällig für Versuchungen. Ich freu mich, wenn ich ein tolles Handy hab. Oder meine Hauptversuchung war es immer, Bücher zu besitzen. Ich glaube aber nicht, dass ich grundsätzlich gefährdet bin, in ein Leben des Reichtums zu verfallen. Ich bin Ordensmann: Ich habe auch einmal ein Gelübde der Armut abgelegt.
Auch Papst Franziskus ist Ordensmann und steht für eine „arme Kirche für die Armen“. Im krassen Gegensatz zu Tebartz-van Elst wird er gefeiert. Wann kippt die Stimmung?
Oster: Ich fürchte, die Bischofssynode zur Familienpastoral im Oktober könnte so ein Einschnitt sein. Viele Menschen erwarten sich hiervon entscheidende Reformen. Aber die Kirche wird nicht die Schritte gehen können, die die Mehrheit der Menschen erwartet – Stichwort: wiederverheiratete Geschiedene. Das wird theologisch und pastoral so nicht gehen, und das wird viele enttäuschen.
Wie könnte denn eine Lösung aussehen im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen, die ja vom Empfang der Kommunion ausgeschlossen sind?
Oster: Wir brauchen einen langen Atem. Ich glaube nicht, dass wir eine generelle und schnelle Lösung finden werden. Wir werden uns stattdessen immer wieder die Einzelfälle anschauen müssen.
Zahlreiche Katholiken hadern gerade deshalb mit der Kirche, weil sie immer wieder gesagt bekommen: Es gibt keine schnellen Antworten. Da ist es doch kein Wunder, dass sie ungeduldig werden ...
Oster: Im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen zeigt sich vielleicht auch pastorale Überforderung: Haben wir die Möglichkeit, Menschen, die in einer solchen Situation leben, ernsthaft auch persönlich und geistlich so zu begleiten, dass sie sich trotzdem zur Kirche zugehörig fühlen? Das ist eine entscheidende Frage. Doch unter anderem von den Medien wird ein gelingender Umgang mit diesen Menschen vor allem auf das Thema Kommunionempfang reduziert. Das passt nicht.
Gilt das aus Ihrer Sicht ähnlich für die Diskussion um den Zölibat, also das Enthaltsamkeitsgebot für katholische Geistliche? Papst Franziskus soll kürzlich in einem Interview gesagt haben, für die Zölibatsfrage gebe es „Lösungen, und ich werde sie finden“.
Oster: Wenn der Papst äußert, der Zölibat sei kein Dogma, dann wird das sofort hochgejubelt. Natürlich ist der Zölibat kein Dogma, das ist keine Neuigkeit. Der Papst könnte morgen sagen: Es ist an der Zeit, dass wir den Zölibat für die Diözesanpriester freigeben. Aus meiner Sicht würde damit aber sehr wahrscheinlich ein bedeutendes, von Gott geschenktes Charisma weitgehend verschwinden oder auf Klöster beschränkt bleiben. Aber durch dieses Charisma lebt ein Priester ein Zeugnis, das da inhaltlich sagt: „Gott alleine genügt“. Und wo so ein Zeugnis gelingt, dort kann ein Priester gerade deshalb in großer innerer Freiheit für die Menschen da sein.
Könnten katholische Priester Eheleuten nicht kompetenter zur Seite stehen, wenn sie Ehe-Erfahrungen gemacht hätten oder selbst sogar in einer Ehe leben würden?
Oster: Wenn jemand bei einem Priester Rat sucht, dann will er doch hoffentlich, dass der Priester ihm zeigt, wie Gott in sein Leben kommt – und nicht etwa, wie er im Detail das Ehe- und Sexualleben mit seinem Partner gestalten kann. Für so etwas kann er zum Eheberater gehen. Ein Priester soll helfen, dass Menschen gottfähiger werden – und dadurch dann natürlich auch lernen, ihr Beziehungsleben miteinander zu bereichern und zu vertiefen.
Ein Teil Ihrer Popularität rührt gewiss daher, dass Sie, bevor Sie Priester wurden, ein „normales“ Leben geführt haben – zu dem eine Freundin gehörte.
Oster: Mir sagen manchmal Leute: Du kommst aus dem Leben. Aber ich kenne auch jemanden, der mit zwölf Jahren wusste, dass er Priester werden will und mit 18 diesen Weg konsequent einschlug. Zu ihm kommen so viele Brautpaare, um sich beraten zu lassen – weil er herzlich, gläubig und integer ist. Das spüren die Leute. Um ein guter Priester zu sein, ist es notwendig, dass man sein Leben mit Gott glaubwürdig lebt.
Sie sprechen recht offen über Persönliches. Äußern Sie sich so offen auch zu politischen Themen?
Oster: Ich bin da sehr vorsichtig mit meinen Urteilen, denn die Lage ist meist überaus komplex.
Zur aktuellen Sterbehilfedebatte werden Sie nicht schweigen: Nikolaus Schneider, der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, hat sie angestoßen. Er sagte, er würde aus Liebe notfalls seine krebskranke Frau in die Schweiz begleiten, wenn diese dort aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen wolle.
Oster: Ich will natürlich nicht über Nikolaus Schneider richten. Aber ich stelle mir die Frage: Ist der Glaube der Kirche nur abstrakte Lehre oder erfüllt er wirklich mein Leben – und zwar auch und gerade dann, wenn es schwer wird?