Die Beschlagnahme von Daten eines Forennutzers in unserer Redaktion Ende Januar war rechtswidrig. Das hat das Landgericht Augsburg entschieden. Die Richter bestätigten, dass die Beschwerde gegen die Polizeiaktion in unserem Hause richtig war. Gut so. Die Begründung der Richter allerdings verwundert. Sie verkennt, dass journalistische Arbeit heute ganz anders funktioniert als noch vor zehn oder zwanzig Jahren.
War die Zeitung früher oft das einzige Medium vor Ort, befinden sich Redakteure heute in einem munteren Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Leser. Gerade junge Menschen informieren sich zunehmend in sozialen Netzwerken, Nachrichten eilen in rasender Geschwindigkeit über Facebook und Twitter. Internetgiganten wie Facebook und Google entscheiden durch Algorithmen, wer welche Meldung überhaupt noch zu Gesicht bekommt. Blogger berichten öffentlich aus ihrem Lebensumfeld. Oft sind sie Experten auf ihrem Gebiet, die ihr Wissen mit anderen teilen. Und hunderttausende Menschen nehmen Nachrichten, Berichte und Kommentare von Redakteuren nicht einfach so hin. Sie kommentieren sie, entwickeln daraus – gerade in Onlineforen – spannende Debatten, ergänzen sie mit wichtigen Informationen.
Nicht selten gewinnen Redakteure daraus Informationen und Ansätze für weitere Recherchen: Aus dem einstigen Prinzip Sender-Empfänger ist ein Miteinander von professionellen Journalisten und mündigen Lesern geworden. Wir praktizieren dies wie viele andere moderne Redaktionen jeden Tag.
Wenn Leser zu Informanten werden wollen, müssen sie Redaktionen vertrauen können, dass ihre Daten vertraulich behandelt werden. Genau das sieht auch das Bundesverfassungsgericht so. In ihrem Cicero-Urteil 2007 bauten die Richter deshalb sehr hohe Hürden für Durchsuchungen in Redaktionen auf. Solche Polizeiaktionen hätten eine einschüchternde Wirkung, urteilten die Verfassungsrichter. Deshalb dürften Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlüsse gegen Redaktionen nur in ganz gravierenden Fällen angeordnet werden.
Das, immerhin, sieht auch das Landgericht so. Ein Politiker wie Ordnungsreferent Volker Ullrich muss ein dickeres Fell haben als eine Privatperson. Daher hat er in einem Internetforum auch eine „formell herabwürdigende“ Bewertung seiner Arbeit hinzunehmen, wenn sie im Zusammenhang mit einer öffentlichen Diskussion stattfindet. Selbst wenn Ullrich sich dann beleidigt fühlt, muss die Redaktion als Forenbetreiberin den Namen des Kritikers nicht herausgeben. Eine Beschlagnahme von dessen Daten darf es ebenfalls nicht geben. Volker Ullrich auf dem Weg nach Berlin
Dem Argument, dass Forennutzer vielen Redaktionen heute auch als Informanten dienen und ihre Daten deshalb vom Redaktionsgeheimnis besonders geschützt sind, wollte das Augsburger Landgericht aber leider nicht folgen. Und das ist fatal. Denn es geht um die Presse- und die Meinungsfreiheit. Und dazu gehört auch der Schutz von Informanten. Mit seinem Beschluss lässt das Landgericht weiter den Weg offen, mit einem Durchsuchungsbeschluss an Redaktionstüren zu klopfen, um an die Klardaten von Nutzern zu kommen – wenn man nur einen ausreichend „wichtigen“ Grund nennt.
Wer das Internetforum einer Tageszeitung auswählt, um darin zu schreiben, macht das ganz bewusst – weil er aktiv Anteil an der Berichterstattung nimmt, weil er Informationen hat, weil er mit der Redaktion in Kontakt treten will. So funktioniert moderner Journalismus. Das muss auch eine moderne Justiz anerkennen. Diese Chance haben die Richter verpasst. Schade.