Christian Wulff hatte mit seiner Erklärung vor Weihnachten zur Kredit-Affäre sicherlich gehofft die Wogen glätten zu können. Vorübergehend sah es auch danach aus, dass die Rechnung aufgehen könnte. Doch mit neuen Details zu Wulffs Kreditaffäre gerät der Bundespräsident unter massiven Druck. Informationen, wonach Wulff die Berichterstattung der "Bild"-Zeitung über sein umstrittenes Darlehen zu verhindern versucht hat, geben dem Fall eine neue Dimension.
"Von Krieg führen" sei die Rede gewesen
Am 12. Dezember, so bestätigt am Montagnachmittag die "Bild" entsprechende Berichte, hat Wulff, noch auf Reisen in der Golfregion, bei Chefredakteur Kai Diekmann angerufen. Der war außer Landes, die Mailbox hat das Gespräch aufgezeichnet. Mehrere Minuten soll der Monolog gedauert haben, sehr nachdrücklich und empört sei der Bundespräsident gewesen. Von "Krieg führen" sei die Rede gewesen, und davon, dass der "Rubikon überschritten" sei. Gemeint ist damit eigentlich, dass es keinen Weg zurück mehr gibt, wie für Julius Cäsar vor gut 2000 Jahren auf dem Weg zur Herrschaft in Rom.
Chronologie der Affäre Wulff
25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.
18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.
12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.
13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.
14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.
15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.
19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.
20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.
22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.
2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.
4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.
19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.
16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.
17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.
18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.
29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.
9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.
9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.
9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.
12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.
14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.
9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.
19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.
27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)
Dabei war die Geschichte mit dem Anruf und der Mailbox unter Berliner Journalisten im Groben längst bekannt, zumindest als Gerücht. Von einem erbosten Anruf Wulffs bei Diekmann war seit zwei Wochen die Rede gewesen, den Text auf der Mailbox kannten die meisten aber nicht. Nun also - der brüchige Weihnachtsfrieden in der Causa Wulff schleppte sich ins neue Jahr - wird die erfolglose Einflussnahme des Bundespräsidenten beim Chefredakteur der größten deutschen Boulevardzeitung publik. Die Affäre nimmt wieder Fahrt auf.
Anruf bei Diekmann
Kurze Rückblende: Es war Montag, der vorletzte Tag der Präsidenten- Reise in die Golfregion. In einer Diskussion mit Studentinnen in Abu Dhabi verkürzte Wulff die übliche Fragerunde mit dem Verweis auf ein anstehendes wichtiges Telefonat. Am Abend beriet sich Wulff mit engsten Vertrauten in der Residenz des deutschen Botschafters in Kuwait. Damals wusste kaum jemand, worum es ging. In diesen Stunden, so erscheint es heute, könnte Wulff bei Diekmann angerufen haben.
Die Bundespräsidenten der BRD
Theodor Heuss (FDP): 1949 - 1959 Er war der erste Bundespräsident der BRD. "Papa Heuss", wie ihn der Volksmund liebevoll nannte, hat das Ansehen Deutschlands im Ausland maßgeblich verbessert. Der einstige FDP-Vorsitzende konnte viele seiner demokratischen Ideale im Grundgesetz verankern.
Heinrich Lübke (CDU): 1959 - 1969 Seine Nominierung beruhte darauf, dass sich Konrad Adenauer, der eigentlich für das Amt vorgesehen war, zurückgezogen hatte. Die Presse hat ihn vielfach wegen seiner rhetorischen Ausrutscher verspottet. Er hat das Amt vorzeitig niedergelegt, als seine angebliche Nazi-Vergangenheit publik wurde.
Gustav Heinemann (SPD): 1969 - 1974 Er verstand sich selbst als "Bürgerpräsident" und gab sich volksnah. Ursprünglich gehörte er der CDU an. Heinemann verließ die Christdemokraten, weil sich die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nicht mit seinen moralischen Überzeugungen verinbaren ließ.
Walter Scheel (FDP): 1974 - 1979 Der ehemalige Außenminister blieb nur für eine Amtszeit Bundespräsident. Im Rahmen einer Fernsehshow gab er, bevor er sein Amt antrat, eine eigene Interpretation des Volksliedes "Hoch auf dem gelben Wagen" zum Besten. Seine politischen Ambitionen vereitelte der damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Karl Carstens (CDU): 1979 – 1984 Charakteristisch für den Konservativen aus Norddeutschland war seine ausgeprägte Wanderleidenschaft. Seine Mitgliedschaft bei der NSDAP während der Nazi-Herrschaft hat ihm heftige Kritik eingetragen.
Richard von Weizsäcker (CDU): 1984 - 1994 Der ehemalige Bürgermeister von Berlin hat vor allem durch seine Reden Akzente gesetzt. Er machte aus dem 8. Mai, dem "Tag der Niederlage", kurzerhand den "Tag der Befreiung". Als "Gewissen der Nation" erinnerte er an die Schuld des deutschen Volkes und kritisierte scharf den Parteienstaat.
Roman Herzog (CDU): 1994 - 1999 Herzog war vor seiner Amtzeit Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Mit seiner berühmten Berliner "Ruck-Rede" versuchte er 1997, das Volk aus seiner Passivität zu befreien. Herzog hat sich sehr für den interkulturellen Dialog eingesetzt.
Johannes Rau (SPD): 1999 - 2004 Er bemühte sich um die Integration ausländischer Mitbürger und setzte auf das Motto "Versöhnen statt spalten". Seine Bibelfestigkeit trug ihm den Spitznamen "Bruder Johannes" ein. Vor dem israelischen Parlament bat er um Verzeihung für den Holocaust.
Horst Köhler (CDU): 2004 - 2010 Er war der erste Bundespräsident, der nicht zum politischen Establishment zählte. Köhler kritisierte die internationalen Finanzmärkte und äußerte sich vielfach zu gesellschaftspolitischen Themen. Als er öffentlich eine Notwendigkeit militärischer Einsätze in besonderen Fällen betonte, wurde er heftig kritisiert und trat anschließend von seinem Amt zurück.
Christian Wulff (CDU): 2010 - 2012 Als er sein Amt als Nachfolger von Horts Köhler antrat, war er mit 51 Jahren der jüngste Bundespräsident in der Geschichte der BRD. Doch dann begann das Schlamassel. Von der Inanspruchnahme eines günstigen Privatkredits über kostenlose Urlaube bei Unternehmern bis zur staatlichen Mitfinanzierung einer umstrittenen Lobby-Veranstaltung: Christian Wulff sah sich über Monate hinweg mit vielen Vorwürfen konfrontiert. Die Staatsanwaltschaft Hannover beantragte am 16. Februar 2012 beim Bundestag die Aufhebung der Immunität Wulffs, um strafrechtliche Ermittlungen einleiten zu können. Einen Tag später erklärte Wulff seinen Rücktritt.
Joachim Gauck (Parteilos): 2012-2017 Joachim Gauck wurde 1940 in Rostock geboren. Nach dem Abitur studierte er Theologie. Von 1965 bis 1990 stand er im Dienst der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und arbeitete viele Jahre als Pastor. Am 18. März 2012 wählte die Bundesversammlung Joachim Gauck zum elften Präsidenten der Bundesrepublik Deutschland.
Am Dienstag, "Bild" hatte inzwischen über Wulffs Privatkredit von 500 000 Euro berichtet und den Vorwurf der Täuschung des niedersächsischen Parlaments formuliert, traf sich der Bundespräsident in Kuwait mit Journalisten und machte sich für eine freie Presse stark. Da hatte die Affäre in Deutschland schon ihren Lauf genommen. Wulffs Intervention beim "Bild"-Chef - und später auch bei Springer-Chef Mathias Döpfner - war erfolglos geblieben.
Einflußnahme an der Tagesordnung
Gerade Kenner der Szene in Niedersachsen erinnern heute aber auch daran, dass direkte Einflussnahme auf Medien des Landes - durch Wulff und andere - durchaus an der Tagesordnung war. So soll Wulff schon in seiner Zeit als Oppositionsführer in Hannover und später als Ministerpräsident, sehr genau über die ihn betreffende Berichterstattung gewacht haben. Bei unliebsamen Artikeln beschwerte er sich schon mal telefonisch. Aber was in Hannover üblich und erfolgreich war, funktioniert in Berlin nicht zwangsläufig.
Mit der Intervention bei Diekmann hat Wulff jedenfalls nun auch die Journalistenverbände gegen sich aufgebracht. "Prominente müssen sich kritische Berichterstattung als Teil der Meinungsfreiheit gefallen lassen", mahnt der DJV. Wenig später macht die "Bild" bekannt, der Bundespräsident habe den recherchierenden Journalisten sogar mit strafrechtlichen Konsequenzen gedroht - sich später allerdings "für Ton und Inhalt" seiner Telefonansage entschuldigt.
Dies alles lässt das bedrängte Staatsoberhaupt nicht gut aussehen. Sein Amt reagiert lediglich mit einer knappen Stellungnahme. "Die Presse- und Rundfunkfreiheit ist für den Bundespräsidenten ein hohes Gut." Aber: "Über Vieraugengespräche und Telefonate gibt der Bundespräsident grundsätzlich keine Auskunft." dpa/AZ