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Porträt: Aichacher Politiker Lotter über seine unheilbare Krankheit

Porträt

Aichacher Politiker Lotter über seine unheilbare Krankheit

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    Nach dieser Legislaturperiode soll Schluss sein: Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter auch Aichach will 2013 nicht mehr für den Bundestag kandidieren.
    Nach dieser Legislaturperiode soll Schluss sein: Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter auch Aichach will 2013 nicht mehr für den Bundestag kandidieren. Foto: Büro Dr. Erwin Lotter

    Erwin Lotter erinnert sich noch gut. Er saß bei einer Podiumsdiskussion in Augsburg, als der Husten, der ihn schon länger plagte, immer heftiger wurde. Am Ende der Veranstaltung nahm er deshalb einen der Teilnehmer noch einmal kurz zur Seite, den Ärztefunktionär Andreas Hellmann, ein Lungenfacharzt: „Herr Hellmann, jetzt wende ich mich als Patient an Sie.“

    Erwin Lotter leidet unter unheilbarer Krankheit

    Neben Lotter steht ein unauffälliger schwarzer Rucksack auf dem Boden seines Bundestagsbüros. Mit einem kleinen „Pfft“ pumpt das Gerät darin alle paar Sekunden durch einen dünnen Schlauch Sauerstoff in seine Nase. Der FDP-Abgeordnete aus Aichach, selbst Arzt von Beruf, leidet an idiopathischer Lungenfibrose, einer unheilbaren Krankheit, bei der die Lunge allmählich versteift – und die Geschichte, die er erzählt, handelt nicht nur von seinem ganz persönlichen Schicksal, sondern auch von den Problemen, die Menschen im deutschen Gesundheitswesen haben, denen es ähnlich geht wie Lotter. Menschen, die sich nicht einfach ein Sauerstoffgerät auf den Rücken schnallen können, sondern von ihrer Krankenkasse nur eine stationäre Anlage bezahlt bekommen, die sie ans Haus fesselt.

    Auch bei Lotter hat es seine Zeit gedauert, bis seine Versicherung die Kosten für den 5000 Euro teuren Rucksack übernahm. Eine solche Leistung, argumentierte die private Kasse zunächst, sehe sein Vertrag nicht vor, was insofern bemerkenswert ist, als der Vertrag aus dem Jahr 1977 datiert, als es noch gar keine mobilen Sauerstoffkonzentratoren gab. Nach vielen Telefonaten und Briefen sind die Dinge nun aber nicht nur in Lotters Sinn geregelt. Der Verband der privaten Krankenkassen hat dem 61-Jährigen auch signalisiert, dass die meisten seiner Versicherungen künftig für die Rucksäcke aufkommen werden. Bei den gesetzlichen Kassen ist das nach Auskunft der AOK Bayern bereits gängige Praxis.

    Mobile Sauerstoffkonzentrator ist lebensnotwendiges Hilfsmittel

    Geräte wie seines, sagt Lotter, seien kein Luxus, sondern ein lebensnotwendiges Hilfsmittel, das eine Kasse einem Lungenpatienten nicht aus Kostengründen vorenthalten dürfe. „Dank der Sauerstofftherapie ist meine Lebensqualität enorm gestiegen. Die Zeiten der psychisch wie physisch belastenden Atemnot sind vorbei.“ Seiner Frau, ebenfalls Ärztin, hat er damals gesagt: „Ich habe das Gefühl, es nicht mehr lange zu machen.“

    Am Anfang, als sich die tödliche Krankheit bemerkbar zu machen begann, kam er schon ins Schnaufen, wenn er nur die paar Meter zur Toilette gehen oder im Bundestag länger als zwei, drei Minuten reden musste, so schnell war seine Lunge überfordert und so schwer schüttelte ihn der Husten. „Erst nach mehreren Minuten im Liegen beruhigte sich meine Atmung wieder.“ Heute muss Lotter nur noch darauf achten, immer einen Ersatzakku zur Hand zu haben, denn nach vier bis fünf Stunden macht auch die Maschine mit dem „Pfft“ in seinem Rucksack schlapp.

    An einen vorzeitigen Rückzug aus dem Parlament hat er trotz der niederschmetternden Diagnose im vergangenen Jahr nie gedacht. Zur nächsten Wahl wird er zwar nicht noch einmal antreten. Bis dahin aber, sagt Lotter, genieße er die Zeit, die er in der Politik noch habe.

    Er war der Erste, der Wulff zum Rücktritt aufforderte

    Chronologie der Affäre Wulff

    25. Oktober 2008: Christian Wulff, damals Ministerpräsident von Niedersachsen, bekommt von der Unternehmergattin Edith Geerkens einen Privatkredit über 500.000 Euro zum Kauf eines Hauses.

    18. Februar 2010: Wulff antwortet auf eine mündliche Anfrage im niedersächsischen Landtag, dass es zwischen ihm und dem Unternehmer Egon Geerkens in den vergangenen zehn Jahren keine geschäftlichen Beziehungen gegeben habe.

    12. Dezember 2011: Wulff versucht, Bild-Chefredakteur Kai Diekmann zu erreichen, um einen Bericht zur Finanzierung seines Privathauses zu verhindern oder zu verschieben. Auf der Mailbox droht er "Krieg" mit Springer an, falls die Geschichte erscheint.

    13. Dezember: Die "Bild"-Zeitung berichtet erstmals über Wulffs Hauskauf-Finanzierung.

    14. Dezember 2011: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht Wulff ihr Vertrauen aus.

    15. Dezember 2011: Der Bundespräsident bricht sein Schweigen: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das", heißt es in einer Mitteilung. In der Sache habe er nichts zu verbergen.

    19. Dezember 2011: Wulffs Anwalt legt Unterlagen zum Kredit und eine Liste mit Urlauben vor, die sein Mandant als Regierungschef bei befreundeten Unternehmern verbracht hat. Zudem wird bekannt, dass der Unternehmer Carsten Maschmeyer 2007 im niedersächsischen Landtagswahlkampf eine Anzeigenkampagne für ein Interview-Buch mit Wulff bezahlt hat.

    20. Dezember 2011: Wulffs Anwalt betont, sein Mandant habe von den Zahlungen nichts gewusst.

    22. Dezember: Der Bundespräsident entschuldigt sich öffentlich für die entstandenen Irritationen. Zugleich entlässt er seinen Sprecher Olaf Glaeseker.

    2. Januar 2012: Bei der Staatsanwaltschaft in Hannover gehen elf weitere Strafanzeigen gegen Wulff ein. Die Zahl der Strafanzeigen gegen Wulff liegt nun bei insgesamt 20.

    4. Januar 2012: Wulff gibt ARD und ZDF ein Interview, in dem er den Anruf bei Diekmann als «schweren Fehler» bezeichnet und volle Transparenz bei allen Fragen ankündigt. Am Folgetag veröffentlicht sein Anwalt aber nur eine zusammenfassende Stellungnahme.

    19. Januar 2012: Wegen Korruptionsverdachts lässt die Staatsanwaltschaft Haus und Büros von Wulffs entlassenem Sprecher Olaf Glaeseker durchsuchen. Die Fahnder verschaffen sich auch Zugang zu Räumlichkeiten des Eventmanagers Manfred Schmidt, der zu Wulffs Zeit in Niedersachsen enge Kontakte zur Staatskanzlei in Hannover gehabt haben soll.

    16. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft beantragt, die Immunität des Bundespräsidenten aufzuheben, um gegen ihn ermitteln zu können.

    17. Februar 2012: Christian Wulff tritt zurück.

    18. Februar 2012: Die Staatsanwaltschaft nimmt die Ermittlungen gegen Wulff wegen des Verdachts der Vorteilsnahme, bzw. Vorteilsgewährung auf.

    29. Februar 2012: Das Bundespräsidialamt teilt mit, dass Christian Wulff den Ehrensold bekomme - jährlich rund 200.000 Euro bis an sein Lebensende.

    9. März 2012: Wulff wird mit dem Großen Zapfenstreich der Bundeswehr in Berlin verabschiedet. Die Feier wird von Protest begleitet.

    9. Oktober 2012: Die Flitterwochen des damaligen Ministerpräsidenten Christian Wulff und dessen Frau Bettina im italienischen Haus eines Versicherungsmanagers rechtfertigen keine Ermittlungen wegen Vorteilsnahme im Amt. Das teilt die Staatsanwaltschaft Hannover mit.

    9. April 2013: Wulff lehnt ein Angebot der Staatsanwaltschaft ab, die Korruptionsermittlungen gegen Zahlung von 20 000 Euro einzustellen.

    12. April 2013: Die Staatsanwaltschaft Hannover erhebt gegen Wulff Anklage. Auch der Filmmanager David Groenewold wird angeklagt.

    14. November 2013: Der Prozess gegen Wulff wegen Vorteilsnahme beginnt. Es geht um rund 700 Euro, die Groenewold für Wulff gezahlt haben soll - angeblich, damit dieser sich im Gegenzug für ein Filmprojekt Groenewolds engagiert.

    9. Dezember: Der Prozess gegen Wulffs ehemaligen Pressesprecher, Olaf Glaeseker, beginnt ebenfalls in Hannover. Glaeseker geht auf Distanz zu seinem ehemaligen Chef.

    19. Dezember: Der Richter Frank Rosenow regt an, den Wulff-Prozess im Januar einzustellen. Der Grund: Mangelnde strafrechtliche Relevanz der Vorwürfe. Wulff selbst ist aber gegen die Einstellung des Verfahrens.

    27. Februar 2014: Christian Wulff wird in seinem Korruptionsprozess freigesprochen und damit vom Vorwurf der Vorteilsannahme entlastet. (dpa)

    Der Seiteneinsteiger, der 2008 für den heutigen bayerischen Wirtschaftsminister Martin Zeil in den Bundestag nachgerückt ist, war einer der Abgeordneten, die schon früh gegen die Praxisgebühr gekämpft haben, und der Erste, der den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zum Rücktritt aufgefordert hat.

     Anders als viele Kollegen, die aus schweren Krankheiten Geheimnisse machen, geht er mit seinem Schicksal ähnlich offen um wie der Kollege Wolfgang Bosbach von der CDU, der sogar in Talkshows von seinem Leben als Krebspatient erzählt. Auch seinen Humor hat Lotter noch nicht verloren. Seine Ziele in der Politik, schmunzelte er vor kurzem in einem Interview, seien „nicht so kurzatmig wie ich“. Für das Gespräch mit der Augsburger Allgemeinen hat er sogar eine kleine Zusammenfassung seiner Krankheitsgeschichte geschrieben. Überschrift: „Mein Leben ohne Luft“.

    Gleich muss er weiter, in die Haushaltsdebatte. Neben ihm, im Regal, lädt sich gerade der zweite Akku neu auf.

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