Es war Sommer, irgendwann Anfang der 80er Jahre. Soweit ich mich erinnere: einer der heißeren. Man war jung, noch keine 18, noch ohne Führerschein. Die Träume waren groß, die Haare lang, das Einkommen klein. Es musste in den Ferienwochen mit Akkordarbeit in einer mittelständischen Elektronikfirma verdient werden.
Von der Welt wollte ich als Postpubertierender trotzdem etwas sehen. Mein Dorf hatte, abgesehen von einer Brauerei, nicht viel zu bieten. Also nichts wie weg. Wie, das war schnell klar – mit Interrail. Und: allein. Das Ticket kostete, glaube ich, 360 Mark. Dafür konnte man in ganz Westeuropa kostenlos herumreisen. Nur in dem Land, in dem die Karte gekauft wurde, musste der halbe Fahrpreis entrichtet werden.
Das Problem war nur: Wie konnte ich diesen kecken Plan meinen Eltern beibringen? Für 17-Jährige ist das heutzutage kein Problem. Bei mir war es das schon. Meine Mutter malte mit bleichem Gesicht sämtliche Schreckensszenarien an die Wand. „Bub, willst du wirklich? Du kannst ausgeraubt werden, verschleppt, getötet“ – Phantasien von Müttern können dunkel sein.
Letztendlich gab mein Vater den Ausschlag. Er traute seinem Sohn das Abenteuer zu. Da Planung meine Sache nie war, hatte ich nur eine grobe Vorstellung der Reiseroute. Schulfreunde wollten Treffpunkte irgendwo in Europa vereinbaren. Ich schüttelte den Kopf, wollte spontan meinen eigenen Weg gehen.
Es konnte losgehen. Ich denke, es war ein Sonntagabend. Noch einmal der Mutter versichert, dass man auf sich aufpassen und regelmäßig daheim anrufen würde. Das bläute sie mir ein, weil ich damals meistens dann kein Kleingeld hatte, wenn eine Telefonzelle in der Nähe war. Handys gab es zu dieser Zeit nicht. Im Rucksack nur ein Handtuch, Waschzeug, Zigaretten, Unterwäsche und einige T-Shirts. So fuhren meine Gitarre und ich zum Münchner Hauptbahnhof. Spätabends ging der Nachtzug nach Rom.
Rom deshalb, weil von München aus der Weg nach Süden am schnellsten aus Deutschland herausführte. Die anderen größeren Stationen waren Nizza, Paris, Amsterdam, Hamburg. Nach der Rückkehr gab es viele Anekdoten zu erzählen. Zum Beispiel, als ich in Paris zum Blutspenden gehen musste, weil ich höllischen Hunger hatte (zuvor war mir in der Metro der Geldbeutel aus der Hosentasche gezogen worden). Das Rote Kreuz gab Spendern eine warme Mahlzeit plus Getränk aus. Oder in Rom, wo einen Passanten an der Spanischen Treppe mit großen Augen ansahen, weil sie die bayerischen Lieder von Willy Michl nicht verstanden. Einige Tausend Lire sind trotzdem zusammengekommen.
Als ich am Ende, nach gut drei Wochen, wieder daheim war, freute ich mich vor allem auf eins – ein heißes Bad. Ich war stolz und erstmals so etwas wie erwachsen geworden – dank Interrail.