Sie sind da und irgendwie auch nicht. Sie sind unscheinbar, bleiben im Hintergrund. Und doch sind sie unersetzlich – als Leiche, als knutschendes Pärchen in der Disco oder als Oma, die mit ihrem Hund Gassi geht. Komparsen hauchen Filmen und TV-Serien Leben ein. Für manche von ihnen ist der Job Zeitvertreib. Andere wollen sich damit ihr Taschengeld aufpolieren. Und wieder andere erhoffen sich eine große Filmkarriere.
Komparsen-Casting: Jeder kann sich bewerben
Im vierten Stock eines unscheinbaren Gebäudes im Berliner Stadtteil Kreuzberg findet an diesem Nachmittag ein Casting für Komparsen statt. In einer halben Stunde geht es los. Zwei Bewerberinnen warten bereits vor der Tür der Agentur „Wanted“. Michael Jahnke bittet sie herein. In dem langen Flur nehmen die Frauen Platz. Jahnke, 47, geht weiter in sein Büro.
Zusammen mit zwei Kollegen hat er die Castingagentur 1997 gegründet. Seitdem sei die Kartei der Komparsen, die sie an Film-, Fernseh- oder auch Werbeproduktionen vermitteln, „immer im Fluss“, sagt er. 40 000 aktive Komparsen sind im Schnitt bei „Wanted“ gemeldet. Schüler, Studenten, Hausfrauen, Rentner, Arbeiter, Akademiker. „Wir haben ein Spiegelbild der Gesellschaft in unserer Kartei“, sagt Jahnke. Da ist etwa der Zahnarzt, der sich daran erinnert, früher so viel Spaß beim Theaterspielen in der Schule gehabt zu haben. Da ist der Filialleiter einer großen Bank, der in seinem Urlaub unter Leute kommen will. Und da ist der Student, der sich etwas dazuverdienen mag.
Als Komparse für mehrere Sekunden im Film
Dora Reichardt, 67, ist Komparsin, weil es ihr einfach Spaß macht. Die Rentnerin ist heute als Dritte an der Reihe. Mittlerweile stehen die Menschen bis hinaus in den Hausgang. Große, kleine, alte, junge, dicke, dünne. Dora Reichardt muss sich nicht mehr bewerben, sie will lediglich neue Bilder für ihre Bewerbungsunterlagen machen lassen. Am Empfangsschalter hat sie sich bereits angemeldet. Jetzt sitzt sie auf einem der Plastikstühle im engen Flur. Aus der Tür vor ihr dringen immer wieder helle Lichtblitze durch die Scheibe. Während sie wartet, erzählt sie von ihrer letzten Komparsenrolle. „Ich musste vier Stunden lang tanzen. Nicht Standard, sondern so ...“ Sie bewegt ihre Schultern vor und zurück und lacht. Immer wieder wurde die Szene wiederholt, die in einem Film über eine Ärztin – sie kann sich an den Titel gerade nicht erinnern – nur ganz kurz dauert. Wie lange genau, weiß Dora Reichardt nicht. Sie hat den Film aufgenommen, angeschaut hat sie ihn noch nicht. „Dazu hat mir bisher die Zeit gefehlt.“ Die Tür geht auf. „Nummer drei“, ruft eine junge Frau mit langen braunen Haaren. Reichardt steht auf und verschwindet hinter der Tür. Es blitzt.
Komparsen mit Haustier für "unser Charly" gesucht
Kurz danach ist ein Mann Mitte zwanzig an der Reihe. „Schau einmal ernst. Jetzt ein kleines Lächeln. Gut, schau böse. Und jetzt ein volles Lachen“, gibt ihm die Fotografin Anweisungen. Eine Ganzkörperaufnahme noch und schon ist das Shooting fertig. Ein ausgefüllter Fragebogen mit der Nummer des Bewerbers landet auf einem Stapel. Haarfarbe, Größe, Konfektionsgröße – all das ist für die Produktionsfirmen wichtig. Und die vorhandenen Requisiten. „Wenn die Leute eine besondere Garderobe oder etwas anderes anbieten können, macht das die Vermittlung einfacher“, sagt Jahnke. Für die ZDF-Serie „Unser Charly“ etwa suchte man Komparsen mit Haustieren. „Von meterlangen Schlangen, Hamstern bis zum Aquarium – die Leute haben sich immer gefreut, wenn sie ein Tier mitbringen durften.“
Im Flur ist es stickig. Die Bewerber stehen dicht an dicht. Die Ersten sind schon wieder draußen im sommerlichen Berlin. Sie bekommen in den nächsten Tagen Bescheid, ob sie in die Kartei aufgenommen werden. Und wenn sie Glück haben, sind sie schon bald bei einem Dreh dabei. „Wanted“ vermittelt zum Beispiel an die Serien „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, kurz GZSZ (RTL), und „In aller Freundschaft“ (ARD). Bisherige Filmproduktionen, mit denen die Agentur zusammengearbeitet hat, waren etwa „Der Vorleser“ oder „Die Päpstin“. Am Film „Der Baader Meinhof Komplex“ wirkten sogar mehr als 8000 Komparsen mit.
Der ideale Nebenjob: Komparse im Fernsehen
Elina Penner, 26, steht ganz hinten in der Reihe. Ihr Freund hat schon öfter bei GZSZ mitgespielt. Weil die Studentin Zeit hat, will sie es jetzt auch als Komparsin probieren. „Da kann ich in den Wartezeiten etwas für die Uni lesen und muss mich nicht als Kellnerin mit nervigen Kunden ’rumschlagen“, sagt sie. Drei Plätze vor ihr steht Dwayne Cole, 17. „Ich habe auf dem Wochenmarkt etwas verkauft, als mich ein älteres Paar angesprochen hat. Die beiden meinten, dass das was für mich wäre“, sagt er. Warum, weiß der Auszubildende nicht. „Weil er hübsch ist“, sagt die Frau hinter ihm. Es ist seine Mutter. Und noch ein Familienmitglied ist dabei: Denise Cole, Dwaynes 18-jährige Schwester. „Ich hoffe, dass ich Aufträge bekomme“, sagt sie. Schließlich könne man Geld verdienen und zugleich hinter die Kulissen des Filmbusiness schauen. Am liebsten wäre ihr ein amerikanischer Film.
Ausgefüllte Fragebögen von 95 Bewerbern stapeln sich am Ende des vierstündigen Castingmarathons – „ein guter Wert“, meint Jahnke. Und das, obwohl die Sonne scheint. Schauspielerisches Talent brauche ein Komparse nicht. Aber Geduld. „Wir sagen unseren Komparsen immer, dass sie sich den ganzen Tag Zeit nehmen sollen“, sagt Jahnke.
Christian Ball, 47, weiß, warum. Für einen Krimi hatte sich das Filmteam trübes Wetter erhofft. Bei dem Dreh auf dem Gendarmenmarkt in Berlin aber strahlte die Sonne. Sobald sich auch nur ein kleines Wölkchen am Himmel abzeichnete, hieß es für Christian Ball und die anderen Komparsen „Kamera läuft“. Zwischendurch standen sie herum und warteten, sagt er.
So entwickelte sich schon die eine oder andere Liebesgeschichte – hinter der Kamera, erzählt Jahnke. Selbst „beim schlimmsten Killerdreh“ hätte sich schon ein Paar gefunden. Die können sich jetzt als Komparsenpaar buchen lassen.