Mit dem Mauerfall 1989 sind nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland Sprachgewohnheiten aus Ost und West aufeinander geprallt. Im Osten benutzte Wörter verbreiteten sich im Westen und umgekehrt. Einige Wörter verschwanden aus dem Alltag. Zumindest was die Sprache angeht, lässt sich heute feststellen: Die sprachliche Wiedervereinigung ist seit mehr als zehn Jahren abgeschlossen. Das heißt: Wörter haben heute in Ost und West eine identische Bedeutung. Das sagt der Sprachforscher Norbert Dittmar, emeritierter Professor der Freien Universität Berlin.
„Westdeutsch“als Zweitsprache ?
Dass dies so kam, sei vor allem den Ostdeutschen zu verdanken, erklärt sein Forscherkollege Manfred Hellmann. Seiner Ansicht nach haben diese eine enorme Anpassungsleistung erbracht. Hellmann befasste sich von 1964 bis 2001 für das Institut für Deutsche Sprache mit Redegewohnheiten im Osten. Viele DDR-Bürger mussten „Westdeutsch“ wie eine Zweitsprache lernen, sagt er. Selbst, wenn sie viele Begriffe aus dem Westfernsehen kannten. Es hieß jetzt Personalakte statt Kaderakte und Team statt Kollektiv. Auch gab es Wörter, die gleich aussahen, aber eine andere Bedeutung hatten – wie Freiheit. Und während der Westdeutsche locker „ich“ sagte, sprach der Ostdeutsche lieber von „man“ oder „wir“ – eine Folge von unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, die 40 Jahre lang getrennt waren.
Weihnachtsengel und Jahresendflügelfigur
Die Unterschiede kamen nicht von ungefähr. Spätestens seit dem Ringen um internationale Anerkennung in den 70er Jahren wollte sich die DDR auch sprachlich vom Westen abgrenzen. Die Verlautbarungssprache der Staatspartei SED hatte dabei mit der Alltagssprache wenig zu tun. Wörter wie Nietenhose für die begehrte Jeans aus dem Westen konnten sich nie durchsetzen. Und dass jemand in der DDR Jahresendflügelfigur zum Weihnachtsengel gesagt habe, sei eine Legende, sind sich Sprachforscher einig. Der Begriff war dennoch gebräuchlich – als Verpackungsaufdruck im Handel. Bald nach dem Mauerfall verschwanden dann fast alle Wörter, die an das DDR-System gebunden waren – weil die Institutionen auch verschwanden.
Das gemeinsame Spracherbe
Neu hinzu kam dafür in beiden deutschen Hälften ein „Wendewortschatz“ als Reaktion auf die politischen Ereignisse: Botschaftsflüchtling, Übersiedlerflut oder Wendehals. Auch diese Wörter verschwanden schnell wieder. Sprachforscher haben 1989 allerdings nicht damit gerechnet, dass auch Teile des Wortschatzes aus der DDR-Alltagssprache verloren gehen würden – wenn es dafür im Westen andere Begriffe gab: Supermarkt statt Kaufhalle etwa. Diese Wörter verschwanden wohl, weil sich Ostdeutsche nicht als „Ossis“ outen wollten.
Nur eine Handvoll spezifisch ostdeutscher Wörter fand Eingang in die westdeutsche Alltagssprache. Bis heute gehören abnicken und angedacht dazu. Dafür eint Ost und West bis heute auch ein gemeinsames Wörter-Erbe aus der Zeit um und kurz nach 1989 – das Wort Mauerfall gehört dazu.