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Stuttgart 21: Wegen Wasserwerfer-Einsatz angeklagte Polizisten weisen Vorwürfe zurück

Stuttgart 21

Wegen Wasserwerfer-Einsatz angeklagte Polizisten weisen Vorwürfe zurück

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    Mehrere Menschen wurden 2010 bei Protesten gegen Stuttgart 21 verletzt. Zwei Polizisten haben Vorwürfe zurück gewiesen.
    Mehrere Menschen wurden 2010 bei Protesten gegen Stuttgart 21 verletzt. Zwei Polizisten haben Vorwürfe zurück gewiesen. Foto: Bernd Weißbrod (dpa)

    Die beiden Polizisten stehen seit Dienstag vor Gericht. Sie wiesen den Vorwurf der Körperverletzung im Amt zu Beginn vor dem Landgericht Stuttgart zurück. In einer Erklärung, die ihre Verteidiger verlasen, bedauerten sie zugleich die Verletzungen.

    Chronologie: Großprojekt Stuttgart 21

    November 1995: Bahn, Bund, Land und Stadt unterzeichnen eine Rahmenvereinbarung, in der auch die Finanzierung des auf fünf Milliarden Mark (rund 2,5 Milliarden Euro) veranschlagten Projekts festgelegt wird.

    November 1997: Das Düsseldorfer Architektenbüro von Christoph Ingenhoven erhält den Zuschlag für den Umbau in einen unterirdischen Durchgangsbahnhof mit großen Lichtaugen.

    Oktober 2001: Das Planfeststellungsverfahren beginnt.

    Juli 2004: Eine Wirtschaftlichkeitsberechnung der Bahn gibt die neuen Kosten von Stuttgart 21 mit 2,8 Milliarden Euro an.

    April 2006: Das oberste Verwaltungsgericht Baden-Württembergs weist drei Klagen gegen den geplanten Umbau des Hauptbahnhofs ab.

    20. Dezember 2007: Der Gemeinderat der Landeshauptstadt lehnt einen Bürgerentscheid über das Milliardenprojekt mit großer Mehrheit ab. Rund 67.000 Bürger, dreimal mehr als notwendig, hatten dafür votiert.

    2008: Die Landesregierung erwartet Verteuerung auf 3,076 Milliarden Euro - der Bundesrechnungshof kommt auf mehr als fünf Milliarden Euro.

    2. April 2009: Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD), Ministerpräsident Günther Oettinger (CDU) und Bahn-Vorstand Stefan Garber unterzeichnen die Finanzierungsvereinbarung.

    2. Februar 2010: Die Bauarbeiten beginnen.

    27. Juli 2010: Bahnchef Grube gibt für die Schnellbahntrasse nach Ulm eine Kostensteigerung um 865 Millionen Euro auf 2,9 Milliarden Euro bekannt.

    11. August 2010: Das Umweltbundesamt sieht für Stuttgart 21 und die neue Schnellbahntrasse eine weitere Kostenexplosion auf bis zu elf Milliarden Euro.

    25. August 2010: «Baggerbiss» am Nordflügel des Hauptbahnhofs.

    September 2010: Die oppositionelle SPD, die wie die schwarz-gelbe Regierung für das Vorhaben ist, will die Bürger entscheiden lassen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt die Landtagswahl zur Abstimmung über das Bahnprojekt. Der Konflikt eskaliert. Bei der Räumung des Schlossgartens werden weit mehr als 100 Demonstranten verletzt, einige davon schwer. Auch Dutzende von Polizisten erleiden Verletzungen. Kurz nach Mitternacht werden die ersten Bäume gefällt.

    06. Oktober 2010: Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) schlägt den früheren CDU-Generalsekretär Heiner Geißler als Schlichter vor.

    09. Oktober 2010: Der Protest wächst weiter: Rund 65.000 Menschen gehen nach Schätzungen der Polizei gegen das Bahnprojekt auf die Straße. Die Veranstalter sprechen von 90.000 bis 100.000 Teilnehmern.

    22. Oktober - 27. November 2010: Acht Runden öffentlicher Schlichtung.

    30. November 2010: Geißler spricht sich in seinem Schlichterspruch für den Weiterbau des Projekts aus, verlangt aber Nachbesserungen. So schlägt er einen Stresstest vor, der zeigen soll, ob der geplante Tiefbahnhof wie behauptet 30 Prozent leistungsfähiger ist als der Kopfbahnhof. Die Ergebnisse werden im Sommer 2011 erwartet.

    10. Januar 2011 : Die während der Schlichtung unterbrochenen Bauarbeiten werden fortgesetzt - begleitet von Protesten.

    27. März 2011: Bei der Landtagswahl siegen Grüne und SPD.

    29. März 2011: Zwei Tage nach dem Regierungswechsel verkündet die Bahn einen Bau- und Vergabestopp bis zur Regierungsbildung im Mai.

    27. April 2011: Grüne und SPD präsentieren ihren Koalitionsvertrag. Die beiden Parteien einigen sich, über die Zukunft von Stuttgart 21 per Volksabstimmung entscheiden zu lassen. Im Juni soll außerdem ein Stresstest zeigen, ob der Bahnhof teuer nachgerüstet werden muss.

    12. Mai 2011: Winfried Kretschmann wird nach dem Wahlsieg erster grüner Ministerpräsident der deutschen Geschichte.

    3. Juni 2011: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann fordert in einem Gespräch mit Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer einen längeren Bau- und Vergabestopp. Ramsauer lehnt dies ab.

    14. Juni 2011: Die Deutsche Bahn nimmt die nach dem Regierungswechsel unterbrochenen Bauarbeiten wieder auf. Erneut kommt es zu kleineren Demonstrationen und Blockaden.

    9. Juli 2011: Erneut kommt es zu größeren Demonstrationen. Tausende Menschen fordern einen «Baustopp für immer».

    21. Juli 2011: Der geplante Bahnhof besteht den von einer Schweizer Firma durchgeführten Stresstest.

    29. Juli 2011: Das Ergebnis des Stresstests wird offiziell präsentiert. Auch das Aktionsbündnis gegen das Bahnhofsprojekt nimmt an dem Termin teil, nachdem zunächst ein Boykott erwägt worden war.

    27. November 2011: Eine Mehrheit hat sich für den Tiefbahnhof Stuttgart 21 entschieden. Rund 7,6 Millionen Stimmberechtigte waren aufgerufen, über das S21-Kündigungsgesetz abzustimmen. 58,9 Prozent stimmten gegen den Ausstieg des Landes aus der Projektfinanzierung, 41,1 Prozent stimmten für den Ausstieg.

    23. März 2012: Die Bahn gibt bekannt, dass der Bahnhof voraussichtlich erst mit einem Jahr Verzögerung im Jahr 2020 in Betrieb geht - und sieht die Bausumme nach wichtigen Vergaben bei 4,3 Milliarden Euro.

    3. Dezember 2012: Aus Kreisen des Bahn-Aufsichtsrats heißt es, Stuttgart 21 könne rund eine Milliarde Euro teurer werden. Summe damit etwa: 5,5 Milliarden Euro.

    6. Dezember 2012: Noch einmal 500 Millionen Euro mehr. Ein Vertreter des Bahn-Konzerns sagt dem Hessischen Rundfunk: "Insgesamt läuft es auf Kosten von sechs Milliarden hinaus."

    12. Dezember 2012: Nun zwei Milliarden Euro mehr? Unter Berufung auf Regierungskreise zitiert die "Stuttgarter Zeitung" Studien, wonach die Mehrkosten mindestens bei 1,3 Milliarden Euro, schlimmstenfalls bei 2 Milliarden Euro liegen.

    Am 30. September 2010 war die Polizei unter anderem mit Wasserwerfern gegen Stuttgart-21-Gegner vorgegangen, um ein Areal im Schlossgarten nahe dem Hauptbahnhof für Arbeiten an dem Projekt zu räumen und abzusperren. Dabei wurden mehrere Menschen zum Teil schwer verletzt. Die Bilder der eingesetzten Wasserwerfer und der schwer verletzten Demonstranten gingen um die Welt.

    Stuttgart 21-Gegner erlitten schwere Augenverletzungen

    Den beiden Polizisten (41 und 48 Jahre) wird vorgeworfen, als Einsatzabschnittsleiter ihre Sorgfaltspflicht verletzt zu haben. Laut Anklage ließe die Führungsspitze der Polizei zwar grundsätzlich den Einsatz von Wasserwerfern zu, allerdings sollte es bei Wasserregen bleiben. Durch Wasserstöße erlitten aber mehrere Menschen unter anderem schwere Augenverletzungen.

    Nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft sollen die Angeklagten die Beschränkung auf Wasserregen nicht weitergegeben haben. Außerdem sollen sie nicht dafür gesorgt haben, dass Wasserstöße nur außerhalb der Kopfhöhe von Demonstranten abgegeben wurden.

    Die Verteidiger der beiden Beamten wiesen die Anklagevorwürfe in einer gemeinsamen Erklärung zurück. Ihre Mandanten hätten "ihre dienstlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt und zu keinem Zeitpunkt des Einsatzes eine vorschriftswidrige Vorgehensweise der Wasserwerfer wahrgenommen", erklärten die Anwälte. Während der Räumung des Schlossgartens seien ihnen keine Verletzungen bekannt geworden.

    Einsatz bei Stuttgart 21-Demonstration wurde wie geplant durchgeführt

    Zudem verwies die Verteidigung auf die Gesamtverantwortung des Polizeipräsidiums Stuttgart. Der Einsatz bei der Demonstration von Stuttgart 21-Gegnern sei "geplant, vorbereitet und geführt" worden. Zugleich erklärten die Anwälte, dass das Gerichtsverfahren aus ihrer Sicht nicht der Ort sei, "den Polizeieinsatz in allen seinen Facetten aufzuarbeiten".

    Der 66-jährige Rentner Dietrich Wagner trägt nach dem Wasserwerfer-Einsatz Schäden davon.
    Der 66-jährige Rentner Dietrich Wagner trägt nach dem Wasserwerfer-Einsatz Schäden davon. Foto: Marijan Murat dpa

    Fünf bei dem Einsatz verletzte Demonstranten treten in dem Prozess als Nebenkläger auf.  Einer von ihnen ist der Rentner Dietrich Wagner, der nahezu komplett erblindet ist. Ein Foto, das ihn mit blutenden Augen zeigt, wurde zum traurigen Symbol des Einsatzes. Mehrere Nebenkläger werteten die Aussagen der Beamten als unglaubwürdig.

    Vor dem Landgericht wird nun ein langwieriges Verfahren erwartet. Bereits jetzt sind Termine bis kurz vor Weihnachten festgelegt. Es wird auch spekuliert, dass der frühere baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) als Zeuge aussagen muss.

    Im Jahr 2010 war es in Stuttgart immer wieder zu Massenprotesten gegen den geplanten Tiefbahnhof gekommen. Mittlerweile sind die Proteste gegen Stuttgart 21 deutlich abgeflaut.

    Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg unter Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne), die nach der Landtagswahl im März 2011 das vorherige schwarz-gelbe Regierungsbündnis unter Mappus abgelöst hatte, brachte eine Volksabstimmung über das Bahnprojekt auf den Weg. Dabei sprach sich im November 2011 eine deutliche Mehrheit der Wähler für Stuttgart 21 aus.  afp/AZ

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