Bereits kurz nach dem Verschwinden von Peggy Knobloch geriet er in das Visier der Ermittler: Holger E. Die Spur wurde aber erst Jahre später bei der Wiederaufnahme des Falles verfolgt. Weil ihm keine Tatbeteiligung nachzuweisen war, stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen im Fall Peggy gegen ihn ein. Seit heute steht Holger E. wegen eines anderen Falles vor Gericht. Der heute 31-Jährige soll als 17-Jähriger seine Nichte missbraucht haben. Holger E. sitzt bereits in Haft, weil er seine eigene Tochter missbraucht haben soll.
Im Prozess am Dienstag wird es zwar nicht um den Fall Peggy gehen. Brisant ist er aber trotzdem: Denn die Nichte war mit der vor 14 Jahren verschwundenen Peggy aus Lichtenberg befreundet. Auch Holger und Peggy kannten sich. Über die Rolle von Holger E. im Fall Peggy sprachen wir mit Christoph Lemmer, der zusammen mit Ina Jung das Buch "Der Fall Peggy" geschrieben hat.
Sie haben bereits 2013 in Ihrem Buch geäußert, Holger E. sei für Sie sehr verdächtig. Hat sich bei Ihnen dieser Verdacht mittlerweile verhärtet oder haben Sie ihn aufgegeben, weil in diesem Zusammenhang Holger E. nichts nachgewiesen werden konnte?
Lemmer: Im Fall Peggy war es die plausibelste Spur für mich. Das zeigt auch unter anderem der Prozess, der am Dienstag beginnt, da es viele Parallelen zum Fall Peggy gibt. Außerdem gibt es viele Indizien. Zum Beispiel, dass Holger E. in Vernehmungen bezüglich seines Alibis gelogen hat. Er hatte behauptet, zur Tatzeit in der Berufsschule gewesen zu sein, was nicht stimmte. Zudem behauptete er, er sei das letzte Mal im Sommer 2000 in Lichtenberg zu Besuch gewesen. Seine Oma aber plauderte später aus, dass er im Januar 2001 noch dort gewesen war. Im Laufe des Verfahrens musste er immer mehr einräumen. Auch, dass es Küsse zwischen ihm und Peggy gegeben hatte und sie einmal auf seinen Bauch gesprungen war. Zuvor hatte er sämtliche Zärtlichkeiten zwischen ihm und dem Mädchen abgestritten. Und in der Zeit, in der sich Peggys Zustand verschlechterte, war Holger E. immer öfter in ihrer Nähe gewesen.
Holger E. stand 2013 im Zuge der Wiederaufnahme des Falles Peggy im Visier der Ermittlungen. Ihm konnte aber nichts bewiesen werden. Ist Ihrer Meinung nach in dem Verfahren etwas schief gelaufen?
Lemmer: Man hat sich mit dieser Spur in dieser Konsequenz viel zu spät befasst. Das Umfeld von Holger E. wurde einfach zehn Jahre zu spät untersucht. Die Ermittler hatten 2001 schon eine Spur zu ihm, aber die wurde einfach viel zu schnell aufgegeben. Zehn Jahre später ist es wieder nicht zu einem Ergebnis gekommen. Vermutlich bleibt der Fall Peggy für immer ungeklärt.
Gibt es für Sie denn noch eine andere Spur, einen anderen Verdächtigen?
Lemmer: Ich wüsste keine andere Spur. Zumindest keine, die es trägt. Es gab immer wieder Gerüchte in diesem Fall. Aber beim näheren Hinschauen haben die sich alle als Seifenblase herausgestellt. Manche sprechen davon, Peggy sei nach Tschechien entführt worden. Auch das konnte man nicht nachprüfen. Nach so langer Zeit spricht auch nicht viel dafür, dass Peggy noch lebt. Manche Seite brachte auch Ulvi K. wieder ins Spiel. Aber vermutlich nur, um Holger E. zu entlasten.
---Trennung _Was deutet auf Holger E. als Täter hin?_ Trennung---
Könnte es denn Holger E. gewesen sein?
Lemmer: Das ist jetzt sehr spekulativ. Aber Holger E. ist in schwierigen Verhältnissen aufgewachsen, in einer Umgebung, wo etliche Kinder missbraucht worden sind. Auch in seiner Jugendzeit hat er sich in einem Milieu aufgehalten, wo häufiger solche Dinge vorgekommen sind. Peggy und Holger kannten sich. Da wäre es plausibel, dass Peggy in diesen Strudel reingeraten sein könnte. Schließlich ist es statistisch erwiesen, dass solche Dinge meist im näheren Familienumfeld passieren.
Hätte Holger E. denn ein Motiv gehabt? Glauben Sie, dass er Peggy möglicherweise getötet haben könnte, um einen sexuellen Missbrauch zu vertuschen?
Lemmer: Ich habe da etwas ganz anderes im Kopf, aber darüber möchte ich nicht reden. Nur so viel: Manchmal ist es schwer, zu unterscheiden, wer der Täter, wer das Opfer und wer möglicherweise beides ist.
Haben Sie heute ein Bild davon, was wirklich mit Peggy passiert sein könnte?
Lemmer: Ich glaube, viel wird sich in dem Fall nicht mehr bewegen können. Außer jemand redet. Aber das halte ich für unwahrscheinlich, weil sich die Person damit möglicherweise selbst belasten würde.
Könnte der Prozess um Holger E. nicht möglicherweise auch weitere Hinweise im Fall Peggy geben?
Lemmer: Ich glaube nicht. Er wird ja unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Das geht wahrscheinlich auch schnell über die Bühne, Möglicherweise an einem Prozesstag. Holger E. ist in dem Fall geständig. Und er weiß sicher auch dass er nicht viel machen braucht. Er muss nur weiter bei seinem Geständnis bleiben, dann werden seine gerichtlichen Termine damit auch beendet sein.
Kann man aus dem Fall Peggy etwas lernen?
Lemmer: Was ich aus dem Fall Peggy für die weitere Diskussion herausziehen würde, ist, dass man sich vor Augen hält, was alles schief gelaufen ist. Man hat sich auf eine falsche Spur eingelassen. Und das mit fatalen Folgen. Die Ermittler wurden immer zielstrebiger, Ulvi K. zu überführen, den sie in Verdacht hatten. Sie haben die Alarmzeichen nicht gesehen, haben alle anderen Spuren fallen lassen. Hätten Sie die Zeit genutzt und wären auch der Spur zu Holger E. frühzeitig nachgegangen, hätten Sie vielleicht noch etwas erreichen können.
Wann haben Sie von Holger E. das erste Mal gehört?
Lemmer: Das war 2012, kurz bevor er in U-Haft genommen wurde. Es war der Hammer, als ich und meine Co-Autorin über ihn in den Akten zum Fall Peggy gelesen haben - dass man so einer dermaßen konkreten Spur nicht weiter gefolgt ist. Obwohl viele Polizisten sie gerne nachverfolgt hätten. Aber man hat einfach die Kapazitäten eingestellt. Mit fatalen Folgen - auch für das Opfer, um das es beim Prozess am Dienstag geht.
Inwiefern?
Lemmer: Das Opfer hatte damals schon von dem Missbrauch durch Holger E. erzählt. Aber ihr hat niemand geglaubt. Erst als die Diskussion wieder aufkam, als Holger E. wegen des Missbrauchs an seiner Tochter festgenommen worden ist, meldete sie sich noch einmal zu Wort. Und diesmal glaubte man ihr.
Welche Spuren deuteten denn noch auf Holger E. hin? Was haben Sie in den Akten gelesen?
Lemmer: Unter anderem ziemlich verstörende Aussagen. Der Stiefbruder von Holger E. soll zum Beispiel gesagt haben: "Wenn ich die Leiche von Peggy versteckt hätte, dann würde sie nie jemand finden." Darauf habe ich ihn auch angesprochen. Aber es war nichts aus ihm herauszubekommen, er sagte, er habe sich in der Vernehmung provoziert gefühlt.
Was für Aussagen gab es noch?
Lemmer: Ein Freund von Holger E. erzählte, dass dieser vorhatte, am Tag der Tat mit einem abgemeldeten Auto eine Spritztour nach Lichtenberg zu machen. Es gibt aber eben nichts Handfestes gegen Holger E., nichts mit dem Status eines Indizes.
Im Rahmen der Recherchen für Ihr Buch hatten Sie auch mit Peggys Mutter gesprochen. Haben Sie heute noch Kontakt zu ihr?
Lemmer: Ich habe schon länger nicht mehr mit ihr gesprochen. Das letzte Mal, als ich sie anrief, wollte sie nicht mit mir sprechen. Ich glaube, Sie will den Fall hinter sich lassen. Ihr Leben weiterführen.