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Terror: Warten auf die gute alte Freundin: Die "Landshut" soll endlich heimkehren

Terror

Warten auf die gute alte Freundin: Die "Landshut" soll endlich heimkehren

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    Die frühere Lufthansa-Maschine "Landshut" steht flugunfähig auf dem Flughafen in Fortaleza, Brasilien.
    Die frühere Lufthansa-Maschine "Landshut" steht flugunfähig auf dem Flughafen in Fortaleza, Brasilien. Foto: Paulo Wagner, dpa

    Der Tag, an dem sich Gabriele von Lutzau ein zweites Mal aus der „Landshut“ befreit, beginnt mit schwülwarmen 30 Grad. Es ist die unerträgliche Hitze von Brasilien, die sie an damals erinnert. An das Drama, das sich hier an Bord abgespielt hat. An die fünf Tage in der Gewalt der Terroristen. Und an Mogadischu. Jetzt, in Fortaleza und fast 40 Jahre später, betritt von Lutzau die Maschine zum ersten Mal wieder. Und sie fühlt sich fast erdrückt.

    Die 62-Jährige wird schlagartig zurückkatapultiert in jene Oktobertage 1977. Die stickige Luft im Flugzeuginneren lastet schwer auf ihren Lungen, instinktiv bewegt sie sich auf den Notausgang zu. Als sich kurz darauf die Luke öffnet, klettert sie ohne Mühe auf die Tragfläche, lehnt sich an die Maschine und streicht über die Außenhaut. Der Ausstieg aus dem Flugzeug ist ein euphorischer Moment, sagt sie. „Fast, als hätte ich meine Befreiung ein zweites Mal erlebt.“ Und doch ist es ein Augenblick, in dem sie sich in die vielleicht schwierigste Situation ihres Lebens zurückfühlt.

    Tagelang hatten palästinensische Entführer die "Landshut" in ihrer Gewalt

    Nach fast 40 Jahren hat Gabriele von Lutzau die "Landshut" wiedergesehen.
    Nach fast 40 Jahren hat Gabriele von Lutzau die "Landshut" wiedergesehen. Foto: Felicitas von Lutzau

    Auf genau diesem Flügel rutschte sie am 18. Oktober 1977 als Chefstewardess Gabriele Dillmann in Mogadischu in die Freiheit. Tagelang hatten palästinensische Entführer die „Landshut“ zuvor in ihrer Gewalt. Das Leben von Dillmann und 86 weiteren Geiseln hing von ihrer Willkür ab. Nachdem die Terroristen den Lufthansa-Flug LH 181 von Mallorca nach Frankfurt gekapert hatten, irrten sie durch Europa und Afrika. Bis die Spezialeinheit GSG 9 sie in Somalia überwältigte.

    Gabriele Dillmann arbeitete danach keinen Tag länger als Flugbegleiterin. Die Stewardess mit den blonden Locken, von Boulevardzeitungen aufgrund ihrer Courage als „Engel von Mogadischu“ gefeiert, sagte sich von ihrer Rolle als Opfer mehr und mehr los. Sie wollte vor allem Ehefrau, Mutter und Künstlerin sein. Nach dem 30. Jahrestag der Entführung, nach all den Anfragen und Interviews, zog die inzwischen verheiratete Gabriele von Lutzau einen Schlussstrich: „Meine Bürgerpflicht als Zeitzeugin hatte ich getan. Ich wollte keine Einladungen zu Talkshows mehr.“

    Nun will von Lutzau, dass das Flugzeug endlich nach Deutschland zurückkehrt

    Heute, weitere zehn Jahre später, hat sie ihre Meinung geändert: „Ich bin jetzt deutlich älter, wiege mehr und bin etwas geschrumpft. Aber: Ich habe akzeptiert, dass ich Teil der Geschichte bin.“ Vor ein paar Monaten dann kam der Anruf aus dem Auswärtigen Amt. Und damit die besondere Mission, die sie gern angenommen hat. Von Lutzau will, dass die „Landshut“ nach Deutschland zurückkehrt. Jenes Flugzeug, in dem sie ihre schlimmsten Tage erlebt hat. Und das viele Bundesbürger an die furchtbaren Ereignisse des Deutschen Herbstes erinnert.

    Rational betrachtet ist die Maschine ein Wrack, seit 2008 flugunfähig, der Verschrottung geweiht, wie die anderen Modelle hier in Fortaleza, im äußersten Nordosten Brasiliens. Auf dem Flugzeugrücken wuchert Moos, die Reifen sind platt, die Sitze ausgebaut, einige Fenster zugeklebt. Es ist ein trauriger Anblick, den Jürgen Vietor zu sehen bekommt, als er gemeinsam mit von Lutzau auf dem Flugzeug-Friedhof steht. Vietor, damals Co-Pilot, musste die „Landshut“ nach Mogadischu steuern, nachdem die Terroristen Kapitän Jürgen Schumann getötet hatten.

    Der 74-Jährige hat abgeschlossen mit dem, was damals passiert ist – auch, wenn es nicht immer einfach war. 2008 etwa, als er, verbittert darüber, dass der RAF-Terrorist Christian Klar vorzeitig aus der Haft entlassen wurde, sein Bundesverdienstkreuz zurückgab. Doch Vietor nennt sich selbst einen „großen Verdränger“. Sechs Wochen nach der Entführung saß er wieder im Cockpit. Er leitete den ersten Flug der „Landshut“ nach dem Drama, flog die Maschine auch in den Jahren danach regelmäßig.

    Die Maschine ist ein einziger Schrotthaufen

    Und doch erschrickt Vietor, wenn er heute sieht, was von der Maschine übrig ist. „Sie ist ein absoluter Schrotthaufen!“, sagt er. „Die Fenster sind kaputt, jahrelang hat es hineingeregnet und von innen wurde die ,Landshut‘ komplett ausgeschlachtet – ein katastrophaler Zustand.“ Bis 1985 war die Boeing 737 noch im regulären Liniendienst der Lufthansa, dann wechselte sie mehrmals die Eigentümer. Ihre letzten Flüge absolvierte sie 2008 als Frachtmaschine unter brasilianischer Flagge. Seither rottet sie auf dem „Cemitério de Aviões“, wie die Brasilianer den Flugzeug-Friedhof nennen, vor sich hin.

    Jahrelang hat sich darüber in Deutschland kaum jemand Gedanken gemacht. Doch nun, da sich die Befreiung der „Landshut“ bald zum 40. Mal jährt, soll sie heimkehren. Außenminister Sigmar Gabriel nennt sie „eine lebendige Zeugin eines wichtigen Moments der Geschichte der jungen Bundesrepublik“. Gabriele von Lutzau sagt: „Die ,Landshut‘ ist ein Symbol für die Nicht-Erpressbarkeit des deutschen Staates. Sie ist ein Symbol dafür, sich dem Terrorismus nicht kampflos zu ergeben. Und gerade heute ist sie wichtiger denn je.“

    Mit dem Wrack lässt sich noch Geld verdienen

    Jürgen Vietor (Bildmitte) und die am Bein verletzte Stewardess Gabi Dillmann verlassen am 18. Oktober 1977 als erste die in Frankfurt gelandete Lufthansa-Maschine "Köln".
    Jürgen Vietor (Bildmitte) und die am Bein verletzte Stewardess Gabi Dillmann verlassen am 18. Oktober 1977 als erste die in Frankfurt gelandete Lufthansa-Maschine "Köln". Foto: Heinz Wieseler, dpa

    Das Auswärtige Amt bemüht sich seit Wochen darum, das Flugzeug zurückzuholen, hinein ins Geschichtsbewusstsein der Deutschen. Wo die „Landshut“ einen Platz als Erinnerungsstück finden soll, wird hinter den Kulissen diskutiert. Ein Vergabeverfahren steht noch aus. Aber schon jetzt haben mehrere Städte Interesse bekundet, unter anderem Sinsheim und Flensburg.

    Der Historiker und Autor Martin Rupps hat bereits vor fünf Jahren einen Versuch gewagt, die „Landshut“ zurückzuholen. Er sagt: „Es ist gar nicht so einfach, die Besitzverhältnisse zu klären.“ Die brasilianische Gesellschaft, für die sie zuletzt im Einsatz war, ging 2008 pleite. Danach wanderte die Boeing mit fünf anderen Maschinen in den Besitz des Flughafens und damit des brasilianischen Staates. Rupps sagt: „Als die Deutschen Interesse an der ,Landshut‘ zeigten, merkten die Brasilianer, dass man mit ihr Geld verdienen kann. Deshalb hat der Staat sie dem Flughafen wieder übereignet.“

    Nun müssen Diplomaten verhandeln

    Im Grunde, sagt der Historiker, müsste Brasilien Deutschland das Wrack schenken, allein wegen der engen diplomatischen Beziehungen. Hinzu kommt, dass der Flughafen von Fortaleza seit diesem Jahr von der Gesellschaft Fraport betrieben wird. „Wer startet oder landet, rollt unmittelbar an dem Flugzeugfriedhof vorbei“, sagt er. „Das ist nicht ansehnlich.“ Über kurz oder lang werde Fraport die „Landshut“ entsorgen, fürchtet er: „Wenn die Bundesregierung sie nicht erwirbt, wird sie verschrottet!“

    Das Auswärtige Amt steht in Verhandlungen mit den alten und neuen Besitzern der Maschine. Wie es heißt, wurden Diplomaten eingeschaltet, die sich mit brasilianischem Konkursrecht auskennen. Zu den Fortschritten äußert man sich in Berlin auch auf Anfrage nicht. Schon jetzt aber ist klar: Die Rückführung der fluguntauglichen Maschine dürfte Millionen verschlingen. Wer die übernehmen soll, ist unklar – ebenso die Frage, wie der Transport ablaufen soll. Denkbar wäre, einzelne Teile abzubauen und zu verschiffen oder in ein Transportflugzeug zu laden. Gabriele von Lutzau dürfte als eine der Ersten erfahren, sobald es konkrete Pläne für eine Rückführung gibt. Und wenn es so weit ist, will sie dabei sein. Aus Verbundenheit mit der „Landshut“. „Sie hat durchgehalten, als sie eigentlich nicht mehr fliegen konnte.“

    Als Jürgen Vietor 1977 im jemenitischen Aden auf Sand und Geröll landete, ließ er die Feuerlöscher in den Triebwerken ab, wie es bei Notlandungen üblich ist. „Wir wussten ja nicht, dass wir noch weiterfliegen.“ Beim anschließenden Flug nach Mogadischu hätte keiner mehr an Bord eine Chance gehabt, ein Feuer zu löschen. „Wir wären abgestürzt wie der ,Stern von Afrika‘“, sagt der 74-Jährige und es klingt nach einem Scherz. Gabriele von Lutzau verbindet seither eine tiefe Dankbarkeit mit der Maschine. Eine Solidarität mit einem Flugzeug, das nicht weiter verrotten soll. Falls die „Landshut“ heimkehrt, will von Lutzau sie auf dem Weg begleiten. Oder sie bei ihrer Landung an einem deutschen Hafen begrüßen. „Spätestens da werde ich sie wiedersehen“, sagt sie. „Als gute alte Freundin!“

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