„Wer bin ich – und wenn ja, wie viele?“ Der Titel von Richard David Prechts Buch war so gewitzt und so treffend für ein Dilemma unserer Zeit, dass diese Einführung in die Philosophie bis heute auf den Bestsellerlisten steht.
Denn in ihm scheint auf, was der Soziologe Niklas Luhmann so beschrieb: In einer Gesellschaft, die angesichts immer höherer Komplexität längst in Teilbereiche zerfallen ist, in der zum Beispiel Wirtschaft, Politik, Kultur wie Welten ohne gemeinsamen Rahmen nebeneinander existieren – in einer solchen Gesellschaft löst sich auch der Einzelne in seine vielen funktionalen Rollen auf: als Kollege, als Kunde, als Vater, Kirchgänger, Stammtischbruder . . .
Das ist Georg Schmid
Georg Schmid ist ein CSU-Politiker aus Donauwörth. Er war zuletzt Fraktionsvorsitzender der CSU im Bayerischen Landtag.
Georg Schmid ist katholisch, verheiratet und hat zwei Kinder.
Geboren wurde er am 20. April 1953 in Donauwörth.
Das Abitur machte er 1972 in Donauwörth. Danach studierte er Rechtswissenschaften.
1979 ging er als Jurist zum Landratsamt Dillingen.
1982 wurde er Vorsitzender der Jungen Union in Donauwörth.
1987 wurde Schmid Vorsitzender der CSU Donauwörth und 1989 Vorsitzender des CSU-Kreisverbandes Donau-Ries.
1990 wurde der Unions-Politiker er in den Bayerischen Landtag gewählt.
1999 wurde Schmid zum Staatssekretär im Bayerischen Sozialministerium berufen.
Im Jahr 2003 wechselte er als Staatssekretär ins Bayerische Innenministerium.
2007 wurde er CSU-Fraktionsvorsitzender im Bayerischen Landtag.
Am 25. April 2013 trat Schmid vom Amt des Fraktionsvorsitzenden zurück, nachdem er wegen der Beschäftigung seiner Ehefrau auf Kosten der Steuerzahler unter Druck geraten war.
Im März 2015 stand Schmid wegen der Verwandtenaffäre vor dem Augsburger Amtsgericht.
Am 18. März 2015 verurteilte ihn das Gericht zu einem Jahr und vier Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung wegen Sozialbetrugs und Steuerhinterziehung. Er hatte seine Ehefrau fast 22 Jahre lang als Scheinselbstständige in seinem Donauwörther Abgeordnetenbüro beschäftigt.
Sind es nicht solche Spaltungen und deren Folgen, vor denen wir aktuell staunend stehen? Der seriös wirtschaftende Vereinspräsident und Wurstfabrikant, der sozial engagierte und moralisch argumentierende Bürger, der nahbare Jedermann, der Vertraute der Mächtigen in Wirtschaft und Politik, der Spielsüchtige, der Steuerflüchtige. Wer ist Uli Hoeneß – und wenn ja, wie viele? Wer ist Georg Schmid? Aus den Teilen der Persönlichkeit wird kein Ganzes mehr.
Der Schritt vom Konkreten in das Allgemeine
Dass gerade in diese Tage der öffentlichen Identitätskrisen das Jubiläum des Philosophen Søren Kierkegaard fällt, ist ein Geschenk. Denn der am 5. Mai 1813 geborene Däne hat sich prägend für alles nachfolgende Denken mit der Persönlichkeit auseinandergesetzt. Und er hat es nicht durch das Errichten theoretischer Gebäude getan, die mit ihren moralischen Eindeutigkeiten so untauglich erscheinen für das Einordnen einer offenkundig uneindeutigen, komplexen Wirklichkeit. Die großen Systeme – wie zu seiner Zeit das dominante Hegel’sche – waren für Kierkegaard zu abstrakt, zu leblos. Ihm ging es gerade um das gleichzeitig Konkrete und Vielgestaltige: das Leben des Einzelnen.
Aber wie soll das Einzelne zu behandeln sein, wo es doch in der Philosophie wesentlich um das Allgemeine zu gehen hat? Und wie das sogenannte Induktionsproblem meiden, das besagt: Auch aus vielen Beobachtungen lässt sich noch keine Gesetzmäßigkeit ableiten? Kierkegaard löste es durch die Beschränkung: Er schrieb zunächst ausschließlich über sich selbst – und vollzog gerade dadurch den Schritt vom Konkreten ins Allgemeine. Denn für den Menschen verschmilzt beides im Ich-Sein: Seine Einzigartigkeit und die Einzigartigkeit seines Blicks auf die Welt sind das, was den Menschen mit allen Menschen eint. Und damit auch deren Probleme.
Identitätsfragen aufarbeiten
Kierkegaard also arbeitete seine Identitätsfragen auf – nicht streng wissenschaftlich, sondern erzählerisch, literarisch, sodass sein philosophisches Denken eben auch der Allgemeinheit zugänglich ist.
Die Rollenbrüche, die er erlebte: Vom eisern sittenstrengen Vater wird der begabteste der Söhne zum Theologiestudium nach Kopenhagen geschickt – weil, wie sich später herausstellt, der Herr Papa dadurch die eigenen Verfehlungen auszumerzen versuchte: ein im Ärger über schlecht laufende Geschäfte ausgestoßenes Verfluchen Gottes, eine Affäre mit der Magd.
Der junge Søren aber lebt in der Freiheit das Leben eines Dandys – bis der Vater stirbt. Dann tritt er das moralische Erbe doch an, schließt sein Studium ab, verlobt sich, steht vor Beginn eines bürgerlichen Lebens – bis er alles in Zweifel zieht, sich die neue Rolle nicht mehr zutraut, die Hochzeit absagt, in die Isolation flieht, zu schreiben beginnt. Es wird das zentrale Werk des nur zehn Jahre währenden (er stirbt bereits mit 41), aber umfangreichen Schaffens: „Entweder – Oder“.
Der Mensch lebt in Rollen
Kierkegaards Gedanken: Solange der Mensch nach Prägung und Neigung handelt, lebt er in Rollen. Daraus kann er Genuss ziehen, darin kann er sich zufrieden, wenig leidend einrichten. Er wird allerdings vor der eigentlichen Frage nur flüchten: „. . . was es heißt, Mensch zu sein, und zwar nicht, was es heißt überhaupt, Mensch zu sein, sondern, was es heißt, dass du und ich und er und sie, dass wir jeder für sich Mensch sind.“ Und angesichts dieser offenen Frage steht der Mensch vor dem Abgrund, dem Rätsel seiner Existenz.
Es ist dieser Abgrund, an dem sich später Heidegger, Camus und Sartre abarbeiten sollten. Kierkegaard löst ihn durch eine Hinwendung zum eigentlichen Ich. Angesichts des Nichts nämlich beginnt das, was Kierkegaard als Selbstverwirklichung beschreibt: „. . . sich selbst zu verlieren, um sich selbst zu finden.“ Erst mit der Entscheidung, sich dem Abgrund auszusetzen, entsteht das tatsächliche Ich – und erhält einen Maßstab für ein gelingendes Leben: „Jeden Tag zu leben, als wäre es der letzte und zugleich der erste in einem langen Leben.“ Denn ein solches Leben widerspricht allen Selbsttäuschungen, führt zur Auflösung aller zurechtgelegten Selbst- und Weltbilder – und führt wohin?
„Nur die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für dich“
Für Kierkegaard, den Theologen und selbst ernannten „Spion Gottes“, führt es auch in eine Gegnerschaft zur Amtskirche. Deren System widerspreche dem wahren Christsein, das erwachse nur aus jenem Ich. Aus dessen in aller Aufrichtigkeit unlösbaren existenziellen Verzweiflung heraus nämlich resultiere die Notwendigkeit, die Existenz Gottes zu postulieren.
Für Uli Hoeneß, für „du und ich und er und sie“: Wir können uns im Rollenspiel der Selbsttäuschungen einrichten – das birgt womöglich die Gefahr von Widersprüchen und kleineren Abgründen. Oder wir befreien uns durch das Erwählen des eigentlichen Ich – und stehen damit vor dem eigentlichen Abgrund unser Existenz. Im ersten Fall haben wir Annehmlichkeit, zu gewinnen, im zweiten Fall ein eigenes Leben.
Auch inmitten der Komplexität des 21. Jahrhunderts gibt es demnach eine Selbstverwirklichung, die mit der modischen Vermarktung des Begriffs gerade nichts gemein hat. Der Schlusssatz von „Entweder – Oder“ lautet: „Nur die Wahrheit, die erbaut, ist Wahrheit für dich.“ Es ist eine Glücksverheißung durch Erweckung – aber nur für den, der sich selbst erwählt.