Ob in der Pause, nach der Schule oder abends auf der Couch - ein süßer Snack hier und da ist bei Kindern selbstverständlich beliebt. Und dass Kinder mit einem solchen Alltag schnell dick werden können, ist nicht verwunderlich. Doch selbst Kinder, die von ihren Eltern zum Sport animiert und gesund bekocht werden, sind Risikofaktoren für Übergewicht ausgesetzt, die außerhalb der Familie liegen. Das wollen Forscher nun in der Langzeitstudie "I.Family-Studie" herausgefunden haben.
Übergewicht: Deutschland im europäischen Mittelfeld
"Allein die Appelle ans gesunde Verhalten und ans gesunde Essen, die bringen es nicht", sagt Wolfgang Ahrens. Der Gesundheitsforscher hat die I.Family-Studie mit rund 10.000 Kindern zwischen 7 und 17 Jahren in acht europäischen Ländern koordiniert. Er ist sich sicher, dass auch die Politik zur Verantwortung gezogen werden muss, wenn es um die Gesundheit der Kinder geht. Am neunten Februar soll die Studie in Brüssel vorgestellt werden.
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) fand zwar heraus, dass der Anteil übergewichtiger Kinder im Einschulungsalter gesunken sei. Aber noch immer sind zu viele Kinder in Deutschland zu dick, je nach Bundesland zwischen 8,2 und 12 Prozent, so die DGE. Die aktuelle Studie über Kinder in Bremen kommt sogar auf einen Anteil von 16,5 Prozent. Gleichzeitig räumen die Wissenschaftler ein, dies sei kein repräsentatives Ergebnis. Betrachtet man die Situation in Europa, belegt Deutschland mehreren Studien zufolge einen Platz im Mittelfeld. Generell gilt: Je weiter man sich in Europa Richtung Süden bewegt, desto mehr dicke Kinder gibt es.
Kinder aus schwachem sozialen Umfeld besonders gefährdet
Der I.Family-Studie zufolge sind vor allem Kinder aus einem sozial schwachen Umfeld dem Risiko eines Übergewichts ausgesetzt - und zwar über alle Ländergrenzen hinweg. Während der Langzeitstudie fanden die Forscher heraus: Zunächst schlanke Kinder von Eltern mit niedrigem oder mittlerem Bildungsstand waren nach sechs Jahren doppelt so häufig übergewichtig wie solche, die in Familien mit höherem Bildungsniveau lebten.
Kinder sind Werbung schutzlos ausgeliefert
"Es bleibt dabei, dass insbesondere Bildung ein dominanter Einflussfaktor ist", sagt Ahrens. Weniger gebildete Eltern legten in der Regel weniger Wert auf gesunde Ernährung, stellten seltener Regeln für Süßigkeiten und Sport auf. Und: Sie seien weniger kritisch gegenüber TV-Werbung. "Deren Kinder sind Einflüssen der Werbung schutzlos ausgeliefert", sagt Ahrens. Daher seine Forderung: Eine stärkere Reglementierung von speziell auf Kinder zugeschnittener Werbung. Die bislang freiwilligen Selbstverpflichtungen für verantwortungsvollere Werbung seitens der Industrie wirkten nicht. Diese Kritik teilt auch die Verbraucherorganisation Foodwatch, die sich unter anderem auch im Kampf gegen Übergewicht engagiert.
Das Essverhalten von Kindern werde durch die Werbung stark beeinflusst, wie die Forscher in ihrer Studie belegen. Demnach trinken Kinder häufiger Softdrinks und süßen oder fetten Lebensmitteln, wenn sie zuvor Werbung angeschaut haben - und zwar auch dann, wenn ihre Eltern das eigentlich verbieten. Weiterhin heißt es, die Kinder essen sogar Snacks, die sie eigentlich nicht mögen - nur weil sie Werbung dafür gesehen haben.
Auch in Schulen muss gegen Übergewicht gekämpft werden
Ahrens sieht zudem die Politik in der Verantwortung, für gesundes Essen in Schulen zu sorgen. Stattdessen werde zu viel Wert darauf gelegt, dass die Schulverpflegung preiswert sei, moniert Helmut Heseker, Ernährungswissenschaftler an der Universität Paderborn. So werde der Caterer mit dem günstigsten Angebot ausgewählt, statt der mit dem gesündesten. Auch die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung festgelegten Qualitätsstandards würden oft nicht eingehalten. "Da ist noch viel Sensibilisierung nötig, bei der Politik, bei Eltern und Schulträgern", sagt Heseker.
Nicht zuletzt müsse die Politik außerdem für mehr Bewegung sorgen, so Ahrens. Stadtplaner müssten dafür Sorge tragen, dass es auch in Städten genügend Fläche zum Spielen und Toben gibt. "Wir konnten zeigen, dass Kinder, die in einer Umwelt wohnen, die viele Grünflächen bietet und gut mit Radwegen strukturiert ist, sich tatsächlich mehr bewegen."
Was die Bewegung angehe, lägen Deutschlands Kinder im oberen Mittelfeld. Verhältnismäßig viele Kinder fahren mit dem Rad zur Schule oder gehen zu Fuß, statt sich fahren zu lassen, wie es in anderen Ländern oft der Fall ist. Laut der Studie schafft es aktuell nicht einmal ein Dritter der europäischen Kinder, sich eine Stunde am Tag zu bewegen, so wie es die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rät.
Selbstverständlich haben Eltern nach wie vor einen großen Einfluss auf die Lebensweise ihres Kindes. Indem sie Süßigkeiten aufstellen oder sich mit ihnen gemeinsam sportlich betätigen, prägen sie das langfristige Verhalten des Kindes. "Aber bereits in der Schulzeit verlieren die Eltern stark an Einfluss", sagt Ernährungsforscher Heseker. Und Ahrens bekräftigt: "Wenn wir die Familien nicht unterstützen, indem wir die äußeren Bedingungen verändern, dann greifen wir zu kurz. Letztlich lassen wir die Familien dann allein." AZ/dpa