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Polizistenmord Augsburg: Prozess wird strengstens bewacht - Selbst gebastelte Messer in Zelle entdeckt

Polizistenmord Augsburg

Prozess wird strengstens bewacht - Selbst gebastelte Messer in Zelle entdeckt

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    Am kommenden Donnerstag beginnt der Prozess gegen die mutmaßlichen Polizistenmörder von Augsburg.
    Am kommenden Donnerstag beginnt der Prozess gegen die mutmaßlichen Polizistenmörder von Augsburg. Foto: Karl-Josef Hildenbrand

    Wir schreiben den 31. Mai 1974. Am frühen Freitagmorgen machen sich drei junge Männer auf den Weg ins Augsburger Stadtzentrum. Zuvor haben sie sich Teile zum Bau eines Schneidbrenners zusammengestohlen. Nun überklettern sie eine Mauer und machen sich daran, eine Metalltür zu öffnen. Sie wollen in das Waffengeschäft Günther einbrechen. Das Vorhaben scheitert. Die Polizei erwischt einen der Männer. Er packt aus, alle drei werden verurteilt.

    Polizistenmord Augsburg: Die tödlichen Schüsse fielen nachts gegen drei

    Diese Episode ist längst vergessen, die Tat ist wegen der geringen Bedeutung aus dem Bundeszentralregister gestrichen. Aber wahrscheinlich ist sie wichtig, um alles Weitere zu verstehen. Denn zwei dieser Männer werden ein knappes Jahr später unter dem Verdacht verhaftet, sie hätten einen Augsburger Polizeibeamten erschossen. Einer der beiden, Rudi R., wird 1976 wegen Mordes am Polizisten Bernd-Dieter Kraus verurteilt. Er ist 21.

    Nun ist derselbe Rudi R. zusammen mit seinem Bruder Raimund, der bei dem gescheiterten Einbruchsversuch 1974 ebenfalls dabei war, wieder angeklagt, einen Augsburger Polizeibeamten erschossen zu haben. 28. Oktober 2011: Um 2.50 Uhr wollen Mathias Vieth, 41, und eine Kollegin am Augsburger Kuhsee zwei Männer kontrollieren – Rudi R. und Raimund M. Beide flüchten; sie sollen in jener Nacht einen Raubüberfall geplant haben.

    Nach einer Verfolgungsjagd über das Stauwehr Hochablass schießen die Brüder laut Anklage auf die Beamten. Vieth wird tödlich getroffen, seine Kollegin leicht verletzt.

    Prozess um Polizistenmord: Sicherheitsvorkehrungen selten so streng

    Ab kommenden Donnerstag müssen sich die Männer vor dem Augsburger Schwurgericht verantworten. Die Sicherheitsvorkehrungen waren selten so streng wie bei diesem gigantischen Prozess. Das Sicherheitspersonal soll ständig ausgetauscht werden. Zuschauer will man auf dem Weg in den Gerichtssaal 101 zweimal einer peniblen Kontrolle unterziehen. Die Brüder werden an Händen und Füßen gefesselt in den Saal gebracht. Die Justizvollzugsanstalt Straubing hat angeordnet, dass Raimund M. in Anstaltskleidung in den Gerichtssaal gebracht wird. Die Verteidiger haben dagegen Beschwerde eingelegt. Sicher sind auch Sondereinsatzkräfte in Zivil im Gerichtsgebäude.

    Die Justiz hat allen Grund zur Vorsicht. Denn wenn die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft zutreffen, dann hat sie es mit zwei der gefährlichsten Verbrecher zu tun, die Bayerns Nachkriegsgeschichte hervorgebracht hat. Es ist kein Fall bekannt, in dem ein Mann in Deutschland gleich zwei Polizisten erschossen hat. Zudem werden den beiden fünf brutale Raubüberfälle zur Last gelegt.

    Mutmaßliche Polizistenmörder wollten gewaltsam aus Gefängnis ausbrechen

    Und als ob diese Vorwürfe nicht schwer genug wiegen würden, haben Recherchen unserer Zeitung jetzt ergeben, dass sich die beiden möglicherweise gewaltsam aus dem Gefängnis befreien wollten. Aussagen mehrerer Mithäftlinge scheinen das zu belegen. Raimund M., 59, soll hinter Gittern geäußert haben, dass er flüchten und seinen Bruder dann freipressen wolle.

    Bei beiden mutmaßlichen Polizistenmördern wurden in der Haft Rasierklingen gefunden. Gefängnisinsassen dürfen Einmalrasierer verwenden, die nach Gebrauch wieder eingesammelt werden. Raimund M., der nach der Hochzeit 1975 den Namen seiner Frau angenommen hat, hatte in der Justizvollzugsanstalt Augsburg bereits ein provisorisches Messer gebastelt. Zu diesem Zweck hat er eine Klinge aus einem Einmalrasierer gelöst, den Kopf des Rasierers entfernt und die Klinge vertikal in den Stiel eingefügt. Mit Feuer verschweißte er das Ganze zu einer gefährlichen Waffe. Auch bei seinem Bruder Rudi R., 57, wurden im Gefängnis München-Stadelheim Rasierklingen gefunden. Wozu?

    Sollte ein Augsburger Richter entführt werden?

    Weitere Aufsehen erregende Hinweise haben die Ermittler vom Mithäftling Martin D. (Name geändert). Er wandte sich im Frühsommer 2012 an die Augsburger Kripo. D. saß im selben Trakt des Augsburger Gefängnisses wie Raimund M. Die beiden plauderten öfter miteinander. Und sie redeten auch, so stellte es Martin D. dar, über den Polizistenmord. Raimund M. habe Pläne für eine Geiselnahme offengelegt.

    Demnach wollte er flüchten und eine Entführung organisieren, um sich und seinen ebenfalls des Polizistenmordes verdächtigen Bruder Rudi R. freizupressen. Er habe ohnehin nichts mehr zu verlieren, hat M. angeblich gesagt. Er habe sich dabei von Methoden der RAF-Terroristen inspirieren lassen, sagte der Kronzeuge. Das Opfer der Geiselnahme sollte der Augsburger Richter Karl-Heinz Haeusler sein.

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    Im Oktober 2011 wurde der Augsburger Polizeibeamte Mathias Vieth im Dienst erschossen. Die beiden Täter werden später verurteilt.

    Dass sich Häftlinge mit Geschichten über Mitinsassen profilieren wollen, ist Alltag in deutschen Gefängnissen. Meist pokern die Gefangenen auf eine bevorzugte Behandlung hinter Gittern und auf ein milderes Urteil. Ist das in diesem Fall auch so? M.s Verteidiger Werner Ruisinger ist dieser Meinung: „Wir gehen davon aus, dass es sich bei dem Zeugen um einen Trittbrettfahrer handelt, der sich durch seine Aussagen Vorteile erhoffte.“ Der Mann sei „zigfach vorbestraft“, unter anderem wegen Falschaussage.

    Die Ermittler bewerteten D.s Angaben anders. Sie hielten ihn für glaubwürdig und nahmen seine Hinweise ernst. D. berichtete von Begebenheiten aus dem persönlichen Umfeld des Richters, die er nicht wissen konnte – außer von einem, der Haeusler kennt. Und D. fertigte nach jedem Gespräch mit M. ein minuziöses Protokoll an.

    Ermittler rieten Richter ab, mit Fahrrad zur Arbeit zu fahren

    Ein Ermittlungsverfahren gegen Raimund M. wegen „versuchter Verabredung zu einem Verbrechen“ ist mittlerweile eingestellt worden. Die Brüder wurden aber auf Anordnung einer Ermittlungsrichterin im Juli 2012 rasch in andere Gefängnisse verlegt. Raimund M. kam von Augsburg nach Straubing, Rudi R. von München-Stadelheim nach Landshut. Beide sitzen dort in strenger Einzelhaft.

    Von Besuchern werden sie durch eine Scheibe getrennt. Eine Beschwerde Rudi R.s gegen die verschärften Haftbedingungen wies das Oberlandesgericht (OLG) München zurück. Die Brüder hätten sogar Briefkontakt von Knast zu Knast aufgenommen, ist dem OLG-Beschluss zu entnehmen. Zudem schrieben die Münchner Richter, die Maßnahmen dienten der „Abwehr einer realen Fluchtgefahr“. Auch auf die Beteiligung R.s an einer „Knast-Revolte“ im August 1990 in Straubing wird Bezug genommen.

    Gleichzeitig mit der Verlegung der Gefangenen begannen Sicherheitsmaßnahmen für Richter Karl-Heinz Haeusler, 64. Sein Haus wurde technisch gesichert. Die Kosten übernahm das bayerische Justizministerium. „Das hat mich positiv berührt, dass die Sicherheit der Justizbediensteten nicht nur ein Schlagwort ist, sondern dass das Ministerium einen großen Teil der Maßnahmen bezahlt“, sagt Haeusler.

    Die Ermittler rieten dem Richter dringend, nicht mehr mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren. Haeusler lehnte das ab: „Ich brauche die Bewegung. Außerdem will ich mir nicht von Kriminellen mein Leben diktieren lassen.“ Er fährt weiter mit dem Rad.

    Wer sich schon einmal in einem Menschen geirrt hat, weiß, wie weh das tun kann. Wenn nun ein Richter sich in einem Menschen täuscht, schmerzt das besonders, weil ein Richter sich quasi von Berufs wegen für einen guten Menschenkenner hält. Richter Haeusler hat sich in Raimund M. gründlich getäuscht. Mitte der 90er Jahre war er Präsident des TC Friedberg, einer der größten Tennisclubs in Schwaben. Der Verein hatte große Schwierigkeiten, einen zuverlässigen Platzwart zu finden. Haeusler stellte einen Mann ein, der wegen Rückenproblemen seinen Job im Augsburger Schlachthof nicht mehr ausüben konnte und der – verheiratet mit der Leiterin des Standesamtes in Friedberg – ein bürgerliches Leben zu führen schien: Raimund M.

    Die gemeinsame Zeit in einem Tennisverein

    Haeusler wusste zwar, dass dessen Bruder fast 20 Jahre wegen Polizistenmordes im Gefängnis gesessen hatte, und er sah es auch äußerst ungern, wenn Rudi R. sich nach der Haft ab und zu im Vereinsheim blicken ließ, von Sippenhaft hält der Jurist aber nichts. Und er sagt noch heute – wenngleich mit bitterem Unterton: „Er war der beste Platzwart, den der Verein je hatte.“

    Die Aufgabe als Pressesprecher des Landgerichts hat Karl-Heinz Haeusler für dieses Verfahren selbstverständlich an einen Kollegen abgegeben. Er würde keine objektive, rein sachliche Bewertung abgeben können. Das ist der eine Grund. Der andere: Haeusler geht im Herbst in Ruhestand.

    Er war aber nicht der Einzige, den Raimund M. getäuscht hat. Der ältere Bruder hat nach Ansicht der Ermittler ein Doppelleben geführt: tagsüber hinter einer bürgerlichen Fassade, nachts als Verbrecher mit seinem Bruder auf Beutezügen.

    Manche im Tennisverein können sich bis heute keinen Reim auf das Ganze machen. Schließlich leidet Raimund M. auch unter der Parkinson-Krankheit. Das war im Club nicht zu übersehen. Oftmals zittern seine Hände stark. Und dieser Mann soll also nachts in einer halsbrecherischen Fahrt auf einem Motorrad vor der Polizei geflüchtet und dann einen Polizisten erschossen haben?

    Die Ermittler der Sonderkommission „Spickel“ haben sich auch gefragt, ob die Familie etwas gewusst hat. M.s Tochter wurde im Juni 2012 wegen Verstößen gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz, Geldwäsche, Hehlerei und Diebstahl zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Im Keller ihrer Wohnung in Kissing standen in Kisten Kalaschnikow-Gewehre, Pistolen und Handgranaten. Außerdem lagerten dort 38 000 Euro Bargeld. Ihr Vater hatte das alles dort deponiert.

    Strafbefehl gegen eine Ehefrau

    Und auch Raimund M.s Ehefrau ist ins Visier der Justiz geraten. Erst vor wenigen Wochen hat die Staatsanwaltschaft einen Strafbefehl wegen Hehlerei und Geldwäsche beantragt. Den Ermittlern waren bei einer Razzia in ihrer Wohnung 2350 Euro in bar in die Hände gefallen. Sie sind überzeugt, dass dieses Geld aus einem der Raubüberfälle ihres Mannes stammt und glauben nicht, dass die Ehefrau nichts vom plötzlichen Reichtum ihres Mannes mitbekam. Die 58-Jährige hat gegen den Strafbefehl Einspruch eingelegt.

    Beide Angeklagten schweigen bislang. Ein Geständnis käme einer Sensation gleich. Im Prozess sollen Raimund M. und Rudi R. anhand zahlreicher Indizien überführt werden. So wurde am Tatort auf einem Handschuh eine DNA-Spur von Raimund M. gesichert. Bei den Brüdern wurden Teile der Tatwaffen gefunden, zudem eine Tasche mit Blutspuren von Mathias Vieth. Es existieren Telefonüberwachungsdaten. Auch zum Polizistenmord von 1975 gibt es etliche Parallelen.

    Von einer geplanten Geiselnahme steht in der Anklage nichts. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Plan noch im Vorbereitungsstadium stecken geblieben ist – auch weil das Brüderpaar in andere Gefängnisse verlegt wurde. Martin D. wird dennoch als Zeuge auftreten. Neben der geplanten Entführung soll ihm Raimund M. anvertraut haben, dass sein Bruder angeblich noch eine Salve aus einem der Kalaschnikow-Schnellfeuergewehre abgefeuert habe, als der Polizeibeamte Vieth bereits verletzt am Boden lag. Auch diese Aussage D.s halten die Ermittler für glaubwürdig. Sie deckt sich exakt mit ihren Erkenntnissen und dem Trefferbild am Tatort.

    Im Falle einer Verurteilung ist die Sicherungsverwahrung für Rudi R. wohl unvermeidlich. Beide haben nichts mehr zu verlieren. Falls alle Stricke reißen, soll Raimund M. gesagt haben, würden sich seine „rumänischen Kontakte“ vor oder während des Prozesses um eine Befreiung kümmern. Die Justiz hat allen Grund zur Vorsicht.

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