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Konzert: "Rolling Stones" in München: Tollkühnes Tänzchen mit dem Tod

Konzert

"Rolling Stones" in München: Tollkühnes Tänzchen mit dem Tod

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    Die "Rolling Stones" zeigten in München viel Spielfreude.
    Die "Rolling Stones" zeigten in München viel Spielfreude. Foto: Marcus Merk

    Was soll man schon heute noch über die Rolling Stones sagen!

    Dieser etwas verlegene Satz stammt nicht aus dem Jahr 2017, er stammt nicht einmal aus diesem Jahrhundert, er stammt exakt aus dem Jahr 1973 – abgedruckt in der nicht unmaßgeblichen Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu Beginn einer Konzertkritik, die zwei Absätze später befand: „Wenn er [Mick Jagger] in irgendein Nirwana entschwebte, wäre die Pop-Musik nicht ärmer.“

    Rolling Stones: Vier Fossilien als Triebtäter

    Jagger und seine Spießgesellen mochten aber noch nicht entschweben – was sie in die Lage versetzte, 1976 wieder durch Deutschland zu touren, worauf ihnen besagte FAZ attestierte: „Die Rolling Stones besitzen die Anziehungskraft von Fossilien.“ Seitdem sind gut 41 Jahre vergangen, mancher Musikkritiker hat seinen Dienst quittiert, und am Dienstagabend spielten diese Fossilien, diese Versteinerungen, im quasi ausverkauften Münchner Olympiastadion noch einmal zum Tanz auf. Mensch, was können doch Zeugnisse aus dem geologischen Zeitalter vor dem Holozän noch rocken! Es war eine Wucht.

    „Please allow me to introduce myself“: Mit diesen scheinheiligen Worten von Luzifer Jagger brach der Abend wie ein Hurikan herein, und Keith Richards setzte auf der Lead-Gitarre den ersten Blitzschlag und den ersten Schmerzstrahl wie ein Signum für insgesamt 140 Minuten schneidenden, harten, energetischen Rock. Wäre man gezwungen, diesen Münchner Auftritt unter zwölf Stationen der Europa-Tour „No Filter“ in einem Satz zusammen zu fassen, so müsste dieser die Diagnosen Hochdruck, Hitzigkeit, Fieber, Kärnerarbeit unter Aufputschverdacht enthalten. Das aber ist exakt das, was diese einst so rebellische Musik in ihrem ästhetischen Kern ausmacht. Und das konnten die vier Stones im Gesamtalter von 293 Jahren und einem gemeinsamen Dienstalter von 207 Jahren noch einmal musikalisch glaubhaft heraufbeschwören: historische Musik in – genuin – historischer Aufführungspraxis. Mehr und Besseres kann nicht erwartet werden.

    Tolle Akkustik im Münchner Olympiastadion

    Gewiss, manchen der traditionell exaltierten Bewegungen des nach wie vor große Wegstrecken zurücklegenden und dabei großklappig singenden Jaggers sieht man altersspezifische Motorik an. Und – seien wir ehrlich – manche der Video-Sequenzen auf den vier riesigen Displays im Stadion zeigen Ron Wood und Keith Richards – die jeder für sich den Tod weiß Gott oft herausgefordert haben – nachgerade wie Zombies. Aber das ist die Optik. Die Akustik, technisch glasklar übrigens – jedenfalls im Block A 1 –, spricht eine andere, eine hartgestählte vitale Sprache. Und die Stones wären nicht die Stones, wenn sie nicht auch in München einen Kommentar liefern würden zu ihrer eigenen Verwitterung. Gehen wir noch einmal in das Jahr 1973 zurück, als ihr Album „Goats Head Soup“ erschien und dieses mit einer kessen Sohle eröffnet wurde, nämlich mit „Dancing with Mr. D“. Jetzt haben sie diesen Song, ein Totentanz, überraschend noch einmal aufgenommen in ihre Tournee: Mr. D, das ist Mr. Death. Und mit ihm wagten die Vier selbstironisch ein tollkühnes Tänzchen.

    Das war die eine Überraschung in München, die zweite das funkige „Beast of Burdon“, vom Publikum via Internet aus vier Song-Angeboten ausgewählt, die dritte jene zwei überragend stampfenden Blues-Nummern „Just Your Fool“ und Ride ’Em On Down“ und die vierte, auch das ist zu erwähnen, der passsend ausgewählte bluesnahe Supporting Act „Kaleo“ aus Island.

    Der Rest waren die Kracher aus 55 Jahren Bandgeschichte, angefangen vom frühen „Paint It Black“ mit den berühmten „Sitar“-Riffs (1966) über die ekstatischen „Honky Tonk Women“ bis zu „Start me up“ (1981). Und wenn noch ein Grundzug dieses Leistung-gegen-Cash-Ereignisses genannt werden soll: Nicht wenige der Songs endeten insistierend in kreisenden Repetitionen. Manchmal überreizt, öfter rauschhaft mit anarchischen, dreckkontaminierten Einwürfen von Keith Richards.

    Wenn dieser Abend voller Volksfest- und Familienkonzert-Charakter der letzte Auftritt der Rolling Stones an der Isar gewesen sein sollte, dann haben sie sich nicht nur respektabel, dann haben sie sich formidabel bis exzellent und unvergesslich verabschiedet.

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