Startseite
Icon Pfeil nach unten
Panorama
Icon Pfeil nach unten

Goethes Faust: Residenztheater: Wie Martin Kusej Goethes Faust umkrempelt

Goethes Faust

Residenztheater: Wie Martin Kusej Goethes Faust umkrempelt

    • |
    Bibiana Beglau (l) als Mephisto und Werner Wölbern als Faust am Residenztheater in München.
    Bibiana Beglau (l) als Mephisto und Werner Wölbern als Faust am Residenztheater in München. Foto: Thomas Dashuber/Residenztheater München (dpa)

    Ein Schriftstellerleben lang arbeitete Johann Wolfgang von Goethe an seinem „Faust“. Kein anderer Stoff trieb ihn dermaßen um. Erst kurz vor seinem Tod 1832 beendete er den zweiten Teil, legte ihn seinem Nachlass bei – sein Vermächtnis an die Nachwelt. Und tatsächlich begegnet einem gerade in diesem Teil ein visionärer Goethe, der das in den uralten Faust-Stoff hineinschreibt, was Zukunft wird: die Umweltzerstörung durch Ingenieurstechnik, die diabolischen Seiten des Papiergelds und vieles mehr.

    Wie Martin Kusej Goethes Faust umkrempelt

    Gemeinhin wird Goethes Faust als ein Sinnbild des modernen Menschen wahrgenommen, der immer nach vorne strebt und sich nicht lange damit aufhält, wie viel Unglück er am Wegesrand zurücklässt. Goethes Faust ist ein besessener Wissenschaftler, der das Innere der Welt nicht erforschen kann, mit dem Teufel einen Pakt eingeht und fortan mit einem unstillbaren Hunger alles Äußere der Welt verschlingt und doch nie satt wird.

    Mit diesem Großwerk der deutschen Theater-Literatur hat sich nun Martin Kusej, der Intendant des Bayerischen Staatsschauspiels, als Regisseur beschäftigt. Zuallererst ist das eine Auseinandersetzung mit dem Text. Gemeinsam mit seinen Dramaturgen Angela Obst und Albert Ostermaier hat Kusej Goethes „Faust“ umgekrempelt. Der Residenztheater-Faust hat alles schon gesehen, hat die kleine und die große Welt, die ihm Mephisto erst im Verlauf der beiden Teile zeigen wird, längst vor seinem Teufelspakt durchlebt. Das alte Paar Philemon und Baucis, das Faust zum Ende des zweiten Teils umbringen lässt, hat Kusejs Faust schon vor der ersten Begegnung mit Mephisto auf dem Gewissen. Das Ende ist da, bevor alles anfängt, der ganze „Faust“ schwingt mit, auch wenn auf dem Spielplan nur der Tragödie erster Teil angekündigt ist.

    Kusejs Faust-Inszenierung: Schon im Grundaufbau hakt es

    So reizvoll dieses Herangehen klingen mag – ein langes Schriftstellerleben haben Kusej, Obst und Ostermaier in ihre „Faust“-Fassung nicht investiert. Im Grundaufbau hakt es. Warum dieser Faust, der ja alles schon erlebt hat, seine Seele dem Teufel verschreibt, bleibt ein unaufgelöstes Rätsel. Mephisto hat dem Kusej-Faust nichts zu bieten. Andersherum hat der Kusej-Faust seine Seele längst an den Teufel verloren (wenn er je eine besessen hat). Damit verliert der Stoff sowohl in der Tiefe als auch an der Oberfläche seine Grundspannung: Die Verführung durch das Böse findet nicht statt und die beiden Schwungräder des Stücks – Faust und Mephisto – greifen nie ineinander.

    Was das Publikum zu sehen bekommt, ist ein anderes Drama – ein Stück darüber, wie auch die besten theatralischen Mittel noch verpuffen können. Bühnenbildner Aleks-andar Denic hat aus dem gewaltigen dunklen Raum einen nachtschwarzen zweistöckigen Quader der Unorte errichten lassen, Garage, Fabrik-Loft und Bordell, Hinterhof-Getto, Industriekran und Penthouse in einem. Drei Stunden lang öffnet das spärliche Licht immer neue Ansichten, drei Stunden lang bewegen sich Faust und Mephisto durch diese trostlose Abgrundwelt: nirgendwo Hoffnung, nirgendwo Glück, nirgendwo auch nur ein Hauch von Ausweg – dadurch aber auch nirgendwo Spannung.

    Mit Knall- und Schock-Effekten wartet der Abend auf: Pistolenschüsse, Explosionen, Feuerbälle. Mafiosi richten ein Massaker an einer Partygesellschaft an, ein kleines Kind lässt sich von Faust und Mephisto einen Sprengstoff-Gürtel umlegen und Gretchen liegt vollgesudelt im Babyblut, akustisch unterstrichen von Bert Wredes Industrie- und Untergangs-Klanglandschaften. Die Welt liegt in diesen unheimlichen und brutalen Bildern immer schon in Trümmern und deshalb gibt es auf der Bühne auch niemanden, der auch nur einen Anflug von Erschrecken darüber zeigt – nirgendwo Spannung.

    Residenztheater: Werner Wölbern als Faust, Andrea Wenzl als Gretchen

    Die Besetzung des Abends liest sich hervorragend: Werner Wölbern als Faust, Andrea Wenzl als Gretchen und die Intensivschauspielerin Bibiana Beglau als Mephisto. Bessere Schauspieler kann sich ein Regisseur kaum wünschen. Und ja: Ihrem Publikum zeigen sie an dem Abend schon, warum sie so geschätzt werden. Wölberns Faust vibriert als ein Gierschlund des Kicks, er tanzt, boxt, mordet sich durchs Leben. Der Teufel, den er zuerst als Spiegelbild erblickt, den trägt er im Leib. Ein Energiebündel, das schon; aber eben auch ein Faust, mit dem man als Zuschauer nichts zu schaffen hat, der einem nichts sagt, außer, dass die Welt verderbt ist.

    Deshalb kann ihm Mephisto auch nichts beibringen. Also windet und biegt sich Bibiana Beglau als gefallener Engel um den Faust, mal anbiedernd und devot, mal zynisch und komisch. Weil sie Mephisto nie zu Untaten verführen muss, bleibt Zeit, Faust schöne Augen zu machen. Große Schauspielkunst, nur verfängt sie nicht weiter, weil dieser vibrierende Faust und dieser bezirzende, teils auch gelangweilte Mephisto im Grund nichts miteinander zu schaffen haben.

    Goethes Faust hätte an diesem Abend Gretchen heißen müssen

    Bleibt das Gretchen, Fausts erstes Opfer, dem Andrea Wenzl einen natürlich-rauen Ton gibt. Im kurzen Rock, im ärmellosen Top steckt ein schüchternes, verletzliches Wesen, das sich zögernd auf Faust einlässt. Ihr grausames Schicksal rührt an, sie ist ein Mensch, umgeben von lauter Albtraum-Gestalten. Gretchen hätte an diesem Theaterabend das Drama heißen müssen, dort hat es der Regisseur Martin Kusej im Faust-Stoff immerhin noch gefunden. In ihr schimmert der Traum von einem anderen Leben auf, also eine Grundspannung.

    Das ist ein Lichtblick, jedoch keine Rettung. Die großen Theatergeschütze verfehlen viel zu oft ihr Ziel. Die Explosionen mögen in den Ohren noch nachhallen, innen drin aber haben sie nichts bewegt. Das Herz bleibt kühl, kalt und unbewegt, wenn dieser gewaltsam modernisierte Faust die Welt verschlingt und dabei doch verhungert. Er ist kein Mensch, auch keine Provokation, lediglich ein Fantasiegebilde frei nach Goethe, ein Schwankender, aber leider mit viel zu wenig Gestalt.

    Weitere Termine am 8. und 22. Juni sowie am 6., 10., 26., 28. und 29. Juli

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden