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Filmfestival Toronto: "Phoenix": Keiner erzählt so wie Christian Petzold

Filmfestival Toronto

"Phoenix": Keiner erzählt so wie Christian Petzold

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    Nina Hoss als Nelly Lenz in einer Szene des Films "Phoenix".
    Nina Hoss als Nelly Lenz in einer Szene des Films "Phoenix". Foto: Christian Schulz/Piffl Medien GmbH (dpa)

    Auch wenn immer wieder einmal Kritik am deutschen Film geäußert wird, es gibt ihn, er lebt und er bringt genauso wie in den Jahrzehnten zuvor Meisterwerke hervor. Deutschland ist mehr als nur Krimi- und Komödienland. Dafür stehen nicht bloß die Altvorderen wie Edgar Reitz, Volker Schlöndorff, Wim Wenders oder Dominik Graf, der mit seinem Schiller-Drama „Die geliebten Schwestern“ gerade ins Rennen für den Auslands-Oscar geschickt wurde. Für Qualität bürgt auch eine jüngere Generation mit Filmern wie Tom Tykwer, Hans-Christian Schmid oder Fatih Akin, der gerade mit „The Cut“ im Wettbewerb von Venedig vertreten ist. Einer, der an die Tradition des Autorenkinos wie kein anderer anknüpft, ist der Filmemacher Christian Petzold, der soeben seinen neuen Film „Phoenix“ auf dem Filmfestival in Toronto präsentiert hat. Phoenix – Trailer 1

    Wieder, wie schon so oft, hat Petzold einen hervorragenden Film vorgelegt. Ein Meisterwerk, wie in deutschen Voraufführungen bereits zu sehen war. In „Phoenix“ erzählt der 53-jährige Regisseur eine Geschichte, die kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs spielt. Eine Auschwitz-Überlebende steht im Mittelpunkt: Die jüdische Musikerin will ihren Mann im zerbombten Berlin wiederfinden.

    "Phoenix": Eine Mischung aus Auschwitz und Hitchcock, das geht nicht

    Der Stoff, so erzählt es Petzold im Gespräch, reifte seit den 80er Jahren in ihm. Sein vor wenigen Wochen gestorbener Co-Autor Harun Farocki hatte ihn auf die Geschichte „Der Asche entstiegen“ des französischen Autors Hubert Montheilet aufmerksam gemacht. Schon bei der ersten Lektüre dachte Petzold sich, dass das ein toller Filmstoff sei, einer jedoch, der in Deutschland schnell falsch ankommen könnte, denn: „Eine Mischung aus Auschwitz und Hitchcocks ,Vertigo‘ kann man nicht erzählen.“ Als Petzold viel später in seinem Film „Barbara“ (2012) Nina Hoss und Roland Zehrfeld als Filmpaar zusammenbrachte, dachte er sich: „Sie könnten den Film tragen.“

    Zu Petzolds Größe als Filmemacher gehört die Sicherheit, solch einen Stoff zu gestalten. Eben nicht mit Bildern aus den Konzentrationslagern. Als er bei den Dreharbeiten mit den Todesmärschen einsetzen wollte, bemerkte er sofort: der falsche Weg. „Schon während des Drehens wusste ich, dass ich das alles wegschmeiße.“ Sein Produzent sei hinterher ohnmächtig geworden, weil die gefilmten Szenen viel gekostet hätten.

    Nina Hoss und ein Duo tragen "Phoenix"

    Getragen wird „Phoenix“ von dem starken Schauspieler-Trio Nina Hoss, Roland Zehrfeld und Nina Kunzendorf. Vor allem Hoss und Zehrfeld als durch das Konzentrationslager getrenntes Liebespaar, das sich nicht wiedererkennt, brillieren in dem Film. Alle Hoffnung und aller Schmerz, den die Liebe bereiten kann, sind bei ihnen oft nur Sekunden voneinander entfernt.

    Für Petzold gehören zum Filmemachen aber viel mehr als Schauspieler und Kamera. Film ist für ihn eine kollektive Kunst. „Die meisten von außen sehen immer nur die Darsteller und nicht die vielen kleinen anderen Entscheidungen.“ In „Phoenix“ haben er und sein Team zum Beispiel eine Beleuchtung ausgewählt, die immer zwei Lichtpunkte in die Augen setzt, damit sie Tiefe wie einst im Film noir bekommen. „Dort lügen immer alle“, sagt Petzold, „aber in den Augen ist die Sehnsucht nach Wahrheit drin“. Für den Regisseur steht fest, dass das Kunstwerk Film durch die Beteiligung vieler Akteure eine andere Dimension bekommt. „,Phoenix‘ erzählt die Geschichte genau so, wie ich sie geplant habe, gleichzeitig aber komplett anders, als ich mir das vorgestellt habe.“ Auch bei „Barbara“, seinem DDR-Liebes-Drama, sei ihm das so gegangen.

    Christian Petzold: Ein Mann für alle Fälle

    Was Petzold als Filmemacher auszeichnet, sind nicht nur starke Drehbücher und handwerkliches Know-how, auch Lebensklugheit gehört dazu. Auf die Ideen für seine letzten beiden Filme stieß er schon als 20-Jähriger – hier die Hermann-Broch-Novelle „Barbara“, dort Hubert Montheilets „Phoenix“-Vorlage. Aber ihm war damals klar, dass er die Stoffe noch nicht erzählen konnte. „Man muss schon ein bisschen Ahnung vom Leben haben, bevor man Filme macht.“

    Kaum einer schafft es wie Petzold, die Stoffe so zu kombinieren. Hier menschliche Tragödien, Liebes- und Familiengeschichten, dort zeitgeschichtliche Hintergründe. In „Die innere Sicherheit“ (2000) hat er die RAF zum Thema genommen, aber eben nicht als Action-Streifen wie in Uli Edels „Baader-Meinhof-Komplex“, sondern als Familientragödie. Ein abgetauchtes Terroristenpaar, das längst ausgestiegen ist, versucht, die Tochter zu erziehen, ihr Bildung beizubringen.

    In „Yella“ (2007) hält Petzold fest, wie heutzutage um Risikokapital gefeilscht wird. Und gleichzeitig kombiniert er dies mit Elementen aus dem Horror-Genre. „Barbara“ wiederum erzählt die Geschichte einer beginnenden Liebe in der niedergehenden DDR. Die Titelheldin hat schon den Ausreiseantrag gestellt, als sich ihr das verhasste Land in einem viel milderen Licht zeigt. Versteht sich, dass Petzold dabei nie in Ostalgie-Kitsch abdriftet.

    Drei Beispiele, die für alle acht bisherigen Kinofilme Petzolds stehen. In sechs von ihnen hat er mit Nina Hoss zusammengearbeitet. Als seine „Muse“ bezeichnet er sie, aber als eine, die sich auch entzieht, sich wehrt und dem Regisseur zeigt, wer er ist. „Sie ist eine richtig erwachsene Schauspielerin, auf eine ganz tolle Art und Weise erwachsen.“ Das sagt der Schöpfer eines Kinos, das selbst auf unverwechselbare Weise erwachsen ist.

    Starttermin „Phoenix“ kommt am 25. September in die deutschen Kinos.

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