"Was ihn umtrieb, war die Frage nach Gott, die die tiefe Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines ganzen Weges gewesen ist", sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Freitag in Erfurt laut Redemanuskript. Hinter all seinem theologischen Suchen habe die Frage gestanden, wie er einen "gnädigen Gott" bekomme.
"Dass diese Frage die bewegende Kraft seines ganzen Weges war, trifft mich immer neu", betonte der Papst. Diese brennende Frage Martin Luthers müsse "wieder neu und gewiss in neuer Form auch unsere Frage werden".
Die Gemeinsamkeiten dürfen nicht verloren gehen
Das Notwendigste für die Ökumene sei zunächst, "dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unvermerkt verlieren, die uns überhaupt zu Christen machen". Es sei der Fehler des konfessionellen Zeitalters gewesen, dass weithin nur das Trennende gesehen worden sei.
Zugeständnissen an den Zeitgeist erteilte Benedikt XVI. eine Absage. Natürlich müsse der Glaube heute neu gedacht und gelebt werden. "Aber nicht Verdünnung des Glaubens hilft, sondern nur ihn ganz zu leben in unserem Heute. Dies ist eine zentrale ökumenische Aufgabe."
Papst beklagt Vormarsch unabhängiger christlicher Gruppierungen
Den weltweiten Vormarsch von Pfingstkirchen und unabhängigen charismatischen Gruppen beklagte der Papst. "Vor einer neuen Form von Christentum, die mit einer ungeheuren und in ihren Formen manchmal beängstigenden missionarischen Dynamik sich ausbreitet, stehen die klassischen Konfessionskirchen oft ratlos da."
Katholiken und Protestanten seien gemeinsam herausgefordert durch diese neuen kirchlichen Gruppierungen, betonte der Papst: "Es ist ein Christentum mit geringer institutioneller Dichte, mit wenig rationalem und mit noch weniger dogmatischem Gepäck, auch mit geringer Stabilität." Die Auseinandersetzung mit diesem "weltweiten Phänomen" stelle die etablierten Kirchen vor die Frage, was das bleibend Gültige im Glauben sei.
Die Pfingstkirchen, die evangelikalen und charismatischen Gemeinschaften sowie die sogenannten Unabhängigen Kirchen sind in den vergangenen Jahren besonders in der südlichen Hemisphäre stark gewachsen. Kennzeichnend für sie sind Wunderprediger, emotional aufgeheizte Massengottesdienste und der Glaube, dass Reichtum den Segen Gottes anzeigt.
Kleines Kirchenlexikon
Apostolische Reise: Die "Dienstreisen" des Papstes außerhalb Italiens werden als Apostolische Reisen bezeichnet. Bei offiziellen Reisen innerhalb Italiens spricht der Vatikan von Pastoralbesuchen. Der Deutschlandbesuch ist die 21. Auslandsreise Benedikts XVI.
Eucharistiefeier: Höhepunkt einer Eucharistiefeier (von griech. eucharistía = Danksagung) ist die Wandlung von Brot und Wein zu Leib und Blut Christi. Da die Protestanten diese Glaubensüberzeugung nicht teilen, untersagt ihnen die katholische Kirche die Teilnahme an der Heiligen Kommunion, bei der gewandelte Leib Christi meist in Form einer Hostie ausgegeben wird. Papst Benedikt XVI. plant auf seiner Reise öffentliche Eucharistiefeiern in Berlin (Olympiastadion), Erfurt (Domplatz) und Freiburg (Flughafengelände).
Ökumene: Der Begriff Ökumene stammt aus dem Griechischen (oikouméne = das Bewohnte, die bewohnte Erde) und wird in erster Linie für das Ringen um die Einheit der Christen verwendet. Die moderne ökumenische Bewegung entstand an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Papst Benedikt XVI. trifft sich auf seiner Deutschlandreise im evangelischen Augustinerkloster Erfurt mit Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland zu einem Gespräch und einem ökumenischen Gottesdienst. In Freiburg steht ein Treffen mit Vertretern der orthodoxen Kirche auf dem Programm.
Orthodoxe Kirche: Die orthodoxen Kirchen (von altgriech. orthós = richtig, geradlinig und dóxa = Verehrung, Glaube) haben ihre Wurzeln im östlichen Mittelmeerraum und in Süd- und Osteuropa. Mit der römisch-katholischen Kirche besteht eine weitgehende Übereinstimmung in Glaubensfragen. Derzeit gibt es weltweit rund 300.000 Millionen Orthodoxe, in Deutschland rund 1,5 Millionen. Der Papst trifft in Freiburg Vertreter der orthodoxen Kirchen in Deutschland.
Angelusgebet: "Der Engel des Herrn" (Angelus) ist ein katholisches Gebet, das morgens, mittags und abends gesprochen wird. Der Papst will auf seiner Deutschland-Reise am Samstagnachmittag im Freiburger Münster ein Angelus-Gebet halten.
Vesper: Die Vesper (von lat. vespera = Abend) ist der abendliche Teil des Stundengebetes der katholischen Kirche und wird in der Regel gegen 18.00 Uhr gebetet. Wichtige Elemente sind die alttestamentarischen Psalmen sowie Gesänge und Lesungen aus dem Neuen Testament. Bei einer Marianischen Vesper, wie sie im Marien-Wallfahrtsort Etzelsbach in Thüringen gefeiert wird, schließt das Gebet mit einem Mariengesang ab.
Vigil: Die Vigil (von lat. vigilia = Nachtwache) ist ein Teil des katholischen Stundengebets und bezeichnet eine Gebetszeit in der Nacht oder am frühen Morgen. Papst Benedikt XVI. feiert auf seiner Deutschlandreise eine Vigil mit Jugendlichen auf dem Messegelände in Freiburg. Auf den Weltjugendtagen hat der Papst in den vergangenen Jahren regelmäßig die Vigil mit Jugendlichen gebetet, zuletzt am 20. August in Madrid.
Die Apostolische Nuntiatur: Nuntius ist lateinisch und bedeutet Botschafter. Der Apostolische Nuntius ist der Botschafter des Papstes im jeweiligen Land, in Deutschland ist seit 2007 Nuntius Erzbischof Jean-Claude Périsset. Der Standort ist in Neukölln, Lilienthalstraße, neben St. Johannes-Basilika und Hasenheide.
Benedikt XVI. war am Donnerstag zu einer viertägigen Deutschlandreise in Berlin eingetroffen, wo er unter anderem eine Rede vor dem Bundestag hielt und einen Großgottesdienst im Olympiastadion feierte. Am Freitag reiste er nach Thüringen weiter. Dort sind am Nachmittag ein ökumenischer Gottesdienst in Erfurt und ein Mariengottesdienst an der Wallfahrtsstätte Etzelsbach mit rund 50.000 Gläubigen geplant. Für Samstagfrüh steht eine Messe auf dem Erfurter Domplatz auf dem Programm. Danach will der Papst nach Freiburg weiterreisen. (Papstprogramm Freitag) AFP/dpa/dapd/AZ