Lassen ihn jetzt sogar die Gläubigen im Stich? Es wird Frühling in Rom, der Petersplatz liegt noch etwas kühl da, die Sonne kann sich nicht recht entscheiden, in welches Licht sie den Vatikan an diesem Mittwochvormittag im März rücken will. Glanz oder doch gräuliche Töne? Wilhelm und Marion Fertig aus Hünfeld bei Fulda lehnen am Barockbrunnen von Carlo Fontana und blicken auf den weißen Punkt namens Papst Franziskus unter der Fassade des Petersdoms. Von dort muss die Sicht zwar besser, aber auch nicht gerade erbaulich sein.
Euphorie für Papst Franziskus lässt nach
Der Platz ist bei dieser Generalaudienz nicht einmal zur Hälfte gefüllt. Gejubelt wird auch nicht mehr so laut wie noch vor Monaten. Am 13. März vor zwei Jahren wählten die Kardinäle den Argentinier Jorge Mario Bergoglio zum 266. Nachfolger Petri, der die Welt sogleich mit seinen Gesten beeindruckte. Aber jetzt wirkt es schon manchmal so, als habe der Herbst seines Pontifikats begonnen. „Die Euphorie hat sich gelegt“, sagt Wilhelm Fertig und bekreuzigt sich, als der Papst den Segen spendet. „Man dachte, er räumt die Kurie auf“, sagt der Tourist aus Deutschland. „Aber nix, man hört gar nichts.“ Aus seiner Sicht ist es etwas zu ruhig geworden um diesen Papst, auf dem so viele Hoffnungen ruhten. Zwei Jahre Papst Franziskus: Der Jubel lässt nach - und das ist gut
Papst Franziskus kritisiert die Kurie
Dass es wirklich ruhig geworden ist um Franziskus, kann man nicht unbedingt behaupten. Vielmehr rumpelt es in der katholischen Kirche deutlich vernehmbar. Denn einige Parameter, die früher zwar für viel Kritik, aber doch auch für Verlässlichkeit sorgten, sind ins Wanken gekommen. Die Sexualmoral zum Beispiel. Franziskus spricht anders als seine Vorgänger, er wählt einfache, manchmal missverständliche Bilder. Seine Botschaft ist die, dass gerade Sünder, Ausgeschlossene und Benachteiligte die Gnade Gottes erlangen. Und er lässt keine Gelegenheit aus, seine eigenen Leute aus der Kurie zu kritisieren. Franziskus hat andere Schwerpunkte als seine geschliffen formulierenden Vorgänger gewählt, aber es wirkt so, als stelle er das ganze Gebäude auf den Kopf.
„Papa piacione“, nennen sie ihn im Vatikan. Das bedeutet so viel wie gefallsüchtiger Papst. Denn der Applaus von Atheisten, Kirchenkritikern und vom angeblich rechten Weg abgekommenen Schäflein ist ihm sicher. Der katholischen Welt oder zumindest wesentlichen Teilen von ihr, muss das verdächtig sein.
Franziskus
Franziskus hat die Kirche zwei Jahre nach Amtsantritt innerlich gespalten. Schon immer gab es unterschiedliche Lager und Meinungen, auch heftig ausgetragene Grabenkämpfe. „So schlimm war es noch nie“, sagt ein Prälat, der den Vatikan seit Jahren aus dessen Innerem verfolgt. Bei den Freunden des Papstes hält die Hoffnung an, dass 50 Jahre nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, das die Öffnung der Kirche zum Programm gemacht hatte, endlich eine den Menschen zugewandte Kirche entstehen kann. Seine Gegner fürchten hingegen um die Grundfesten des Glaubens. Die Kirche, so sagen sie, darf ihre Prinzipien nicht verraten, wenn sie Bestand haben will. Es ist eine Frage des Prinzips, die derzeit in Rom ausgefochten wird.
Der Vatikan ist in zwei Lager gespalten
Auf der einen Seite der Papst, mit einem kleinen Kreis ausgesuchter Leute um sich herum, die im vatikanischen Gästehaus Santa Marta ein und aus gehen: Don Fabián Pedacchio, sein Privatsekretär, der zusammen mit dem brasilianischen Bischof Ilson de Jesus Montanari die Strippen in der wichtigen Bischofskongregation zieht. Antonio Spadaro, italienischer Jesuit und Direktor der Zeitschrift Civiltà Cattolica. Kardinal Óscar Rodríguez Maradiaga aus Honduras, Koordinator des vom Papst eingesetzten, neunköpfigen Kronrats der Kardinäle, zu dem auch der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx gehört. Über Maradiaga wird im Vatikan gelästert, dass er seine Pastoralbesuche im Hubschrauber absolviere. Eine umstrittene Schlüsselfigur ist auch Kardinal Lorenzo Baldisseri, der die Bischofssynoden für Franziskus koordiniert. Denn die Bischöfe sollen die vom Papst gewünschte programmatische Wende bringen. Das ist aber schwieriger als gedacht.
Papst Franziskus schafft sich Feinde unter den Kardinälen
Denn Franziskus hat sich mächtige Feinde geschaffen, er hat sie sich beinahe selbst herangezogen. Zu denken ist etwa an den US-Kardinal Raymond Leo Burke, der offenen Widerstand gegen den Papst angekündigt hat, sollte Franziskus die katholische Lehre über die Unauflöslichkeit der Ehe verändern. Burke wurde zwar von Franziskus zum Kardinalspatron des Malteserordens degradiert, hat aber in konservativen Kreisen so etwas wie Märtyrerfunktion und auch deshalb nicht wenige Freunde im Vatikan. Kardinal Robert Sarah aus Guinea, der der Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung vorsteht, kündigte an, dass die Kirche Afrikas „sich felsenfest jeder Rebellion gegen die Lehre Christi entgegenstellen“ werde. Und dann wäre da noch George Pell, den der Papst wegen seiner Vergangenheit als Footballspieler scherzhaft „Ranger“ nennt. Der groß gewachsene australische Kardinal, ein Mann des ultrakonservativen Lagers, ist das eigentliche Enigma des Pontifikats.
Agenda des Papstes scheint planlos
Das ist Papst Franziskus
Franziskus, mit bürgerlichem Namen Jorge Mario Bergoglio, wurde am 17. Dezember 1936 als Sohn italienischer Einwanderer in Argentinien geboren.
Sein Vater war Bahnangestellter in der argentinischen Hauptstadt. Dort ging er auf eine technische Schule, die er als Chemie-Techniker absolvierte.
Mit 21 Jahren ging Bergoglio ins Priester-Seminar.
Nach seiner Priesterweihe 1969 folgte Bergoglio Theologiestudien und wurde 1973-1979 zum Provinzial des Jesuitenordens berufen.
Der Jesuit übernahm 1998 die Erzdiözese von Buenos Aires und wurde 2001 zum Kardinal berufen.
2001 wurde Jorge Mario Bergoglio zum Kardinal berufen.
In den letzten Jahren kollidierte Bergoglio mehrfach mit den Regierungen von Néstor und Cristina Kirchner. Er kritisierte Korruption und Armut, außerdem wandte er sich gegen die Legalisierung der Homo-Ehe in Argentinien.
Bergoglio wurde in der Vergangenheit der "Kardinal der Armen" genannt.
Mit 76 Jahren und seiner etwas gebrechlichen Gesundheit ging Jorge Mario Bergoglio in die neue Papstwahl eher als Außenseiter unter den Favoriten.
Im fünften Wahlgang wurde Bergoglio dann zum neuen Papst gewählt.
Bergoglio nennt sich als Papst Franziskus.
Franziskus ist der erste Südamerikaner an der Spitze der katholischen Kirche.
Mit dem Namen erinnert der Argentinier an Franz von Assisi (um 1181-1226), einen der meistverehrten Heiligen überhaupt.
Bereits in den ersten Monaten nach seiner Wahl zeigt sich Franziskus als Reformer. Er will nach eigener Aussage eine Kirche, in der auch die Armen, Schwachen und Unterdrückten Platz haben.
Pell steht theologisch für die Kirche der nicht verhandelbaren Prinzipien, also genau für das, was der auf Barmherzigkeit fixierte Franziskus abschaffen will. Aber Pell wurde vom Papst zum Chef des neu geschaffenen Wirtschaftssekretariats berufen, um die Vatikanfinanzen in Ordnung zu bringen. Statt Ordnung zu schaffen, wurde das Chaos noch größer. Es gab keine Statuten für das neue Sekretariat. Pell riss Kompetenzen an sich, die eigentlich dem Kardinalstaatssekretariat zustehen, machte Fonds in Höhe von knapp 1,4 Milliarden Euro öffentlich, die keine illegalen, schwarzen Kassen, sondern geheime Reserven darstellten. Als plötzlich interne Dokumente an die Presse gelangten, schien ein altes Laster im Vatikan wieder auf: die Streitsucht aus der Endzeit Benedikt XVI. Schließlich schritt Franziskus ein und beschnitt Pells Macht. Was blieb, war der Eindruck großer Planlosigkeit.
„Er hat einen Plan, aber keine Systematik“, sagt ein hochrangiger Kurienmann über Franziskus. Die Agenda des Papstes richte sich nach dem Prinzip: „Wer am lautesten brüllt, der setzt sich durch.“ Die Kurienreform, die die Kardinäle vor dem Konklave 2013 vehement gefordert hatten, ist zwei Jahre später immer noch Stückwerk.
Franziskus als menschennaher Papst
Der Papst hat sein Amt verändert. Er gibt den redseligen, menschennahen Gemeindepfarrer. Dass seine Worte von den Katholiken, die sich nicht wie „Karnickel“ fortpflanzen sollten, der Ausdruck vom Faustschlag gegen den, der seine Mutter beleidige oder von der Kinderzüchtigung „mit Würde“ für Irritationen sorgen, weiß Franziskus möglicherweise gar nicht. Er wies die Kurie an, ihn nicht mit Kleinigkeiten zu behelligen. Franziskus wolle mit dem Kopf durch die Wand, behaupten einige.
„Die einfachen Leute verstehen ihn“, meint sein Freund, der Jesuitenpater Diego Fares. Die Kurie, der päpstliche Verwaltungsapparat, versteht ihn nicht. Das heißt, sie versteht seine Worte, teilt seine Meinung aber nicht. Wie auch, wenn der Chef wie in seiner Weihnachtsansprache den Mitarbeitern öffentlich eine Fratze vorhält. „Spirituelles Alzheimer“ und „existenzielle Schizophrenie“ warf er ihnen vor. Der Riss zwischen dem Papst und seinen Truppen wurde größer. Dabei will der Jesuit Franziskus nach dem Prinzip des heiligen Ignatius von Loyola eigentlich das Gegenteil erreichen: Läuterung durch Selbsterkenntnis. „Franziskus wählt harte Worte, er sagt die Dinge, wie sie sind, ohne Anästhesie“, sagt Pater Fares.
Kardinäle fordern Klarheit
Wohin will der Papst die Kirche führen? Wofür steht er genau? Das ist derzeit die Quizfrage in Rom. Eine Antwort muss Franziskus bald selbst geben, nach der ordentlichen Synode im Oktober. Dann kommen die Bischöfe im Vatikan zusammen, um über die Familienseelsorge zu beraten. Am Ende wird sich alles wieder um die Frage drehen, ob wiederverheiratete Geschiedene zu den Sakramenten zugelassen werden. Der Papst spricht dazu nach der Synode ein Machtwort, von dem sich viele Klarheit erhoffen.
Vielleicht hat Franziskus sein Ziel aber schon längst erreicht. Und zwar mit wesentlichem Zutun des Münchner Kardinals Reinhard Marx. Der, ein kritischer Verbündeter des Papstes, sagte jüngst: „Wir sind keine Filiale von Rom.“ Die Synode könne den deutschen Bischöfen nicht vorschreiben, wie sie ihre Seelsorge zu gestalten hätten. Noch vor kurzem wäre er deswegen von der Glaubenskongregation zurückgepfiffen worden. Von Franziskus hörte man nur beredtes Schweigen. Die Abnabelung von der römischen Übermutter scheint in vollem Gange. Mit offenem Ausgang für den Papst und die katholische Kirche.