Cro, Marteria und Casper. Sie werden in der Hip-Hop-Szene als Wunderkinder bezeichnet. Künstler, die es vor allem durch das Internet geschafft haben ganz schnell sehr berühmt zu werden. Sie haben sich losgesagt vom Gangsta-Rap der Nuller-Jahre, rappen über Partys, verlorene Lieben. Das ganz normale Leben eben. Popkultur oder Musik nach dem Motto "here today, gone tomorrow"? Wir haben zwei Experten zum Thema befragt. Stephan Szillus ist Chefredakteur der Juice. Das deutsche Hip Hop-Magazin gibt es seit 1997. Ralf Niemczyk ist Redakteur beim Rolling Stone. Die Zeitschrift wurde 1967 in San Francisco gegründet.
Was ist typisch für den deutschen Hip-Hop heute?
Niemczyk: Früher war schwarze, amerikanische Musik die Grundlage des Hip-Hop. Heute ist der Hip-Hop immer weißer geworden.Er kommt ohne das amerikanische "Kasperletheater" mit Einschussloch und dergleichen aus. Die Künstler haben erkannt, dass auch die Inszenierung und die Bühnenshow wichtig geworden sind. Hip-Hop ist geprägt von der Generation "Alles-Auf-Einmal-Machen". Insgesamt wird viel gesampelt. Zugegebenermaßen recht clever.
Wie läßt sich der Imagewandel vom Gangsta-Rap zu dem heutigen "freundlichen" Hip-Hop erklären?
Niemczyk: Die Leute, die früher Gangsta-Rap gemacht haben, werden älter. Heute hat Sido ein Haus. Auch eine Bewegung, wie Aggro-Berlin ist endlich. Die Musik wird einfach nicht mehr so gemocht.
Szillus: Es gibt eben neue Protagonisten, neue Images, neue Sichtweisen, neue musikalische Einflüße. Aber auch ganz viel Toleranz zwischen den beiden Lagern. Es gibt auch weiterhin Gangsta-Rap- Hip-Hop war nie vielfältiger als heute.
Was ist der Unterschied zwischen Künstlern wie Fanta Vier und den neuen Hip-Hop-Wundern?
Szillus: Ich kann das nicht miteinander vergleichen. Die neuen Künstler haben alle ganz unterschiedliche Stilrichtungen. Nachfolger der Fantas können vielleicht K.I.Z. sein oder Die Orsons. Allerdings mit mehr Kante.
Niemczyk: Die Fantas waren die Wegbereiter. Damals musste man sich fragen: Dürfen die das? Dürfen weiße Schwaben schwarz rappen? Die heutigen Künstler müssen dieses Tabus nicht mehr brechen.
Wie groß ist das Erbe von Samy Deluxe oder den Beginnern?
Niemczyk: Ich bin mir nicht sicher, ob sich Cro überhaupt an die Beginner erinnert. Die heutigen Künstler sind verwirrt, kopflos. Hip-Hop ist eine Musikrichtung, die kann nicht altern. Vielleicht hat ein Künstler heute zwei nette Jahre, was ja auch nicht schlecht ist. Die Künstler werden entweder erschossen oder zum Produzenten. Außer Max Herre vielleicht. Der hat seinen Weg gefunden, auch wenn ich ihn eher als Soul-Hippie oder Esoterik-Sänger bezeichnen würde.
Szillus: Das Erbe ist sehr groß. Samy Deluxe ist letztes Jahr mit seinem Album "SchwarzWeiss" auf Platz eins der deutschen Album Charts gestiegen. Und auch die Beginner haben für Anfang 2013 ein neues Album angekündigt. Max Herre hat für mich bewiesen, dass Hip-Hop keine Altergrenze kennt. Er hat kurz vor seinem 40. Geburtstag noch mal ein grandioses Comeback hingelegt.
Wie kann man sich den Aufstieg von Cro erklären?
Szillus: Cro macht extrem hittige, eingängige Musik mit melodischen Hooks und simplen, aber effektiven Texten. Zudem bringt seine Musik ein Lebensgefühl auf den Punkt, das von der aktuellen Generation der 14 bis 19-Jährigen komplett verstanden wird.
Ist der freie Download, mit Hilfe dessen sich auch Cro vermarktete, typisch für den deutschen Hip-Hop?
Szillus: Nein vielmehr kann man ihn als charakteristisch für die Musikindustrie als Ganzes bezeichnen. Fans sind eher gewillt den Künstler bei Konzerten zu unterstützen, wenn er ihnen vorher etwas "schenkt". Diese Entwicklung zeigt sich schon seit Jahren.
Niemczyk: Es ist auch eine Möglichkeit für junge Künstler aus der Provinz sich schnell bekannt zu machen. Der Weg vom Macher zum Konsumenten wird immer kürzer und schneller.
Ist der deutsche Hip-Hop nur Mittelschichts-Musik für Hipster und Nerds oder ernst zu nehmende Kunst?
Szillus: Diese Frage ist sehr vorurteilsbehaftet. Deutscher Hip-Hop ist Popkultur und damit genauso viel oder wenig ernst zu nehmen, wie der Rest der sogenannten U-Musik (Urban-Musik, Anm. d. Redaktion). Die Texte von Cro sind einfach und eingängig, dies waren sie zur Hochphase der Beginner ("Bambule") aber auch. Im Rap soll ein komplexer Sachverhalt in einfachen Worten ausgedrückt werden, die jeder versteht, egal welchen Bildungshintergrund er hat. In der aktuellen Generation ist ein besonderer Hang zum Eskapismus und Hedonismus zu beobachten, der sich eben auch in den Texten wiederspiegelt.
Niemczyk: Ich glaube im Rap ist es nicht erstrebenswert ernst genommen zu werden. Die Musiker machen Musik nach dem Prinzip "here today, gone tomorrow". Sie sind eben nicht vergleichbar mit einem Bob Dylan. Der erreichte im Alter eine poetische Radikalität. Hip-Hoper sind einfach deutsche Kids, die älter geworden sind. Sie neigen im Alter dazu zu verspießen. Popmusik ist nur dann gut, wenn sie gefährlich ist. So wie die Beatles zu ihren Anfängen. Die Jugend von heute dagegen, hat keine existenziellen Sorgen. Sie ist harmlos und trotzdem verwirrt.
Wer sind die Newcomer der Szene?
Szillus: Gerard halte ich momentan für den besten und vielversprechendsten Newcomer. Rockstah und Olson haben ebenfalls einen interessanten Soundentwurf. Künstler der "härteren" Gangart sind Megaloh, RAF 3.0 oder Mo Trip. Sie spielen auch eine große Rolle.