Die Fotos aus dem Seminar zeigen den Protagonisten wie immer in bestechender Form. Anthrazitfarbenes Sakko, dunkelblaue Krawatte, weißes Hemd. Das Gesicht gebräunt, die halblangen Haare locker nach hinten gekämmt. „Das Symbol einer der größten Katastrophen unserer jüngeren Geschichte steht am Rednerpult“, kommentierte der Corriere della Sera den Auftritt des sonderbaren Dozenten an der römischen Sapienza-Universität. Sein Name: Francesco Schettino, Unglücks-Kapitän der Costa Concordia.
Francesco Schettino muss sich vor Gericht verantworten
Während das Kreuzfahrtschiff im Hafen von Genua abgewrackt wird, macht sein ehemaliger Kapitän erneut von sich Reden. Schettino steht wegen des Unglücks, bei dem im Januar 2012 insgesamt 32 Menschen starben, unter anderem wegen mehrfacher fahrlässiger Tötung vor Gericht. Für den Kriminologie-Professor Vincenzo Mastronardi war das aber offenbar kein Hindernis, den Angeklagten als Gastredner für ein von ihm geleitetes Universitäts-Seminar einzuladen. „Vom Tatort zum Profiling“ nannte der 69-jährige Kriminologie-Professor die Veranstaltung. Schettino habe Anfang Juli eine zweistündige „Lectio Magistralis“ gehalten, schrieb die Zeitung La Nazione vor ein paar Tagen. Thema: „Panik-Management“.
Schettino schilderte seine Sicht der Dinge im Falle der Costa Concordia
Wie sich nun herausgestellt hat, hielt der öffentlich als „Kapitän Feigling“ abgestempelte Schettino einen nicht ganz zehn Minuten dauernden Kurzvortrag. Der Ex-Kommandant referierte im Seminar seine Sicht der Dinge zum Unglück der Costa Concordia. Zuvor hatte ein Ingenieur den Master-Studenten den Hergang der Katastrophe vor der Insel Giglio mit Hilfe eines 3-D-Films erläutert.
Warum der in Grosseto angeklagte Kapitän in einem Universitäts-Seminar vor 80 Teilnehmern seinen Standpunkt vertreten muss, ist damit dennoch nicht geklärt. Die Staatsanwaltschaft interessiert sich nun auch für die Lektion, will den Professor vernehmen und Aufzeichnungen der Veranstaltung hören.
Professor Mastronardi behauptet, Schettinos Anwälte hätten auf eine Teilnahme ihres Mandanten wert gelegt, er sei diesem Wunsch nachgekommen. Es wirkt so, als sei der Uni-Auftritt Schettinos Teil einer groß angelegten Rehabilitations-Kampagne zugunsten des Kapitäns, die letztendlich auch das Gericht beeindrucken soll. Schettino, so vermitteln seine Anwälte, habe in der Unglücksnacht genau das Richtige getan.
Kapitän Schettino : "Habe das Schiff nicht verlassen"
Chronologie: Die Tragödie der Costa Concordia
Die Havarie des Kreuzfahrtschiffs Costa Concordia - ein Überblick über die wichtigsten Ereignisse:
13. Januar 2012: Die mit 4229 Menschen besetzte «Costa Concordia» rammt nahe der toskanischen Insel Giglio einen Felsen und läuft 50 Meter vor der Küste auf Grund. 32 Menschen sterben.
14. Januar 2012: Kapitän Francesco Schettino wird verhaftet. Ihm und seinem Steuermann werden mehrfache fahrlässige Tötung, Havarie und das vorzeitige Verlassen des Schiffes zur Last gelegt.
15. Januar 2012: Der italienische Eigner des Schiffs, die Gesellschaft Costa Crociere, wirft der Schiffsführung Fehler sowohl bei der Routenführung als auch im Umgang mit dem Unglück vor.
17. Januar 2012: Kapitän Schettino wird an seinem Wohnort Meta di Sorrento südlich von Neapel unter Hausarrest gestellt. Es gibt erste Strafanzeigen gegen die Reederei.
27. Januar 2012: Costa Crociere und ein Zusammenschluss der Passagiere einigen sich auf eine Entschädigung in Höhe von 11.000 Euro sowie eine Erstattung der Unkosten. Die meisten jener Passagiere, die weder verletzt wurden noch Angehörige oder Freunde verloren, nehmen dieses Angebot an.
12. Februar 2012: Es wird damit begonnen, die 2400 Tonnen Treibstoff aus der «Costa Concordia» abzupumpen, um eine Ölpest zu verhindern.
3. März 2012: Vor dem Gericht in Grosseto beginnen die ersten von zahlreichen Anhörungen. Sechs Angestellte von Costa Crociere, unter ihnen Kapitän Schettino, werden angeklagt.
15. Mai 2012: Die Bergung des Wracks wird für Februar 2013 angekündigt, verzögert sich jedoch.
5. Juli 2012: Der Hausarrest gegen Schettino wird aufgehoben, am 11. Juli bittet er im Fernsehen um Entschuldigung. Ende des Monats wird er von seinem Arbeitgeber entlassen, wogegen Schettino klagt.
13. September 2012: Ein Gutachten belegt das Versagen von Costa Crociere im Umgang mit dem Unglück. Die Experten halten der Reederei vor, die Schwere des Unfalls unterschätzt zu haben. Die größte Verantwortung trägt demnach der Kapitän.
10. April 2013: Costa Crociere einigt sich mit der Justiz auf einen Vergleich, wonach die Kreuzfahrtgesellschaft eine Million Euro Strafe zahlen muss und dadurch einem Prozess entgeht.
17. April 2013: Das Gericht in Grosseto lässt 250 Nebenkläger zu, unter ihnen Costa Crociere, die Insel Giglio und der italienische Staat.
14. Mai 2013: Die sechs Angeklagten verlangen, Absprachen über ihr Strafmaß zu treffen. Die Staatsanwaltschaft stimmt bei allen außer Schettino zu.
17. Juli 2013: Beginn des Prozesses gegen Schettino. Ihm drohen bis zu 20 Jahre Haft. Seine Anwälte beantragen erneut eine außergerichtliche Einigung und erklären, Schettino würde sich teilweise schuldig bekennen, wenn das Strafmaß auf drei Jahre und fünf Monate Haft begrenzt werde.
20. Juli 2013: Die fünf Mitangeklagten werden zu Haftstrafen zwischen 18 und 34 Monaten verurteilt.
16. September 2013: Die Aufrichtung der «Costa Concordia» beginnt.
Anstatt die Anker im Meer zu werfen, was noch mehr Opfer verursacht hätte, habe er das sinkende Schiff vor den Hafen von Giglio gesteuert, wo es auf dem Felsen zum Aufliegen kam. Der Kapitän sei nicht in ein Rettungsboot gerutscht, sondern regelrecht gestürzt, während ihm wegen der Neigung des Schiffs Möbel auf den Kopf fielen. Und den Alarm habe er nicht ausgelöst, da sonst die Passagiere in Panik verfallen wären. „Ich habe das Schiff nicht verlassen, sondern bin sofort wieder an Bord gegangen“, zitiert ihn La Repubblica.
Die italienische Öffentlichkeit zeigt sich dennoch empört. Sapienza-Rektor Luigi Frati verurteilte Schettinos Kurzauftritt und leitete disziplinarische Maßnahmen gegen den Professor ein. Bildungsministerin Stefania Giannini gab sich per Twitter „erschüttert“. Der Chef des italienischen Zivilschutzes, Franco Gabrielli, der den Transport der Costa Concordia von Giglio in den Hafen von Genua begleitet hatte, flüchtete sich in Ironie: „Schettino, der über Panik-Management referiert? Das ist so, als ob Dracula eine Lektion über Blutarmut hält.“