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Prozess: Kalinka-Prozess: Bamberski wegen Entführung vor Gericht

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Kalinka-Prozess: Bamberski wegen Entführung vor Gericht

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    André Bamberski verfolgte den früheren Lindauer Arzt Dieter Krombach über mehr als zwei Jahrzehnte. Er wollte, dass der Stiefvater seiner leiblichen Tochter Kalinka für deren Tod zur Verantwortung gezogen wird. Das gelang ihm auch, aber mit illegalen Mitteln.
    André Bamberski verfolgte den früheren Lindauer Arzt Dieter Krombach über mehr als zwei Jahrzehnte. Er wollte, dass der Stiefvater seiner leiblichen Tochter Kalinka für deren Tod zur Verantwortung gezogen wird. Das gelang ihm auch, aber mit illegalen Mitteln. Foto: Yoan Valat, dpa

    Wie der Auftraggeber einer spektakulären Entführung wirkt André Bamberski wahrlich nicht. Der frühere Finanzbuchhalter aus dem südfranzösischen Dorf Pechbusque bei Toulouse tritt als bescheidener und braver, aber aufrechter Mann auf. Er leugnet auch gar nicht, dass er im Oktober 2009 den deutschen Arzt Dieter Krombach vor dessen Haus in Scheidegg bei Lindau am Bodensee von drei dafür angeheuerten Männern verschleppen ließ, die dabei nicht besonders zart mit ihm umgingen.

    Gefesselt und geknebelt legten sie den damals 74-jährigen Krombach in der Nähe eines Gerichtsgebäudes im französischen Mülhausen ab. Bamberski befand sich dort in einem Hotel, 19 000 Euro Bargeld hatte er bei sich.

    Krombach trat seine Strafe nie an

    Die Stadt im Elsass liegt unmittelbar an der deutschen Grenze – aber eben in Frankreich, wo Krombach 1995 in Abwesenheit wegen fahrlässiger Tötung seiner 14-jährigen Stieftochter Kalinka Bamberski zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war. Er trat die Strafe nie an, Deutschland lieferte ihn nicht aus, trotz Bamberskis unzähliger Anträge. Weil er Krombach aber auf der Anklagebank sehen wollte, griff Kalinkas leiblicher Vater schließlich zu seiner umstrittenen Methode.

    „Ich sehe ein, dass es sich juristisch gesprochen um eine Entführung handelt“, sagt André Bamberski heute. „Aber für mich war es  ein Transport.“ Nicht Rache wollte er – sondern Gerechtigkeit. Deutschland warf er vor, Krombach zu schützen.

    Nach dessen Entführung wurde das Verfahren in Frankreich neu aufgerollt, ein Schwurgericht verurteilte ihn 2011 zu 15 Jahren Gefängnis wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Ein Berufungsgericht bestätigte dies 2012. Im April dieses Jahres wies das oberste französische Gericht in Paris auch den letzten Einspruch Krombachs zurück.

    Bamberski muss zum zweiten Mal den Kampf seines Lebens kämpfen

    Bamberski hat damit den Kampf seines Lebens ausgefochten. Doch nun wartet ein weiterer: Der Prozess in Mülhausen gegen ihn und drei Mitangeklagte, die ihm bei der Entführung halfen. Die Staatsanwaltschaft fordert zehn Jahre Haft für Bamberski. Er finde die Anklage sehr hart, sagt der 77-Jährige gegenüber unserer Zeitung. „Ich hoffe, die drei Richter werden die menschlichen Umstände mit berücksichtigen.“

    Ohne seine Aktion wäre Krombach nie gerichtet worden – „deshalb bereue ich nichts, auch wenn ich mich damals nicht auf die komplexen Folgen vorbereitet habe, die es jetzt für mich hat“. Sein Verteidiger plädiert auf Freispruch.

    Im Berufungsprozess gegen Krombach 2012 hatte Bamberski als Nebenkläger auf einen Anwalt verzichtet: Keiner konnte das Dossier, dem er einen großen Teil seines Lebens gewidmet hat, besser kennen als er. Hoch konzentriert in den Akten blätternd verfolgte er das Verfahren und war während seiner eigenen Aussagen kaum zu bremsen.

    Krombach hatte auch seine Ex-Frau betäubt

    Mit diesem kämpferischen Auftreten gab Bamberski einen scharfen Kontrast zu dem sichtlich geschwächten Angeklagten ab, der ihm schräg gegenübersaß. Wurde Krombach als einstiger schneidiger Lebemann und Frauenheld beschrieben, so trat er nun auf einen Stock gestützt auf; wegen seiner gesundheitlichen Probleme musste der Prozess über Monate ausgesetzt werden.

    Mit dünner Stimme beteuerte er seine Unschuld, verstrickte sich aber in Widersprüche und wich der Aufforderung von Kalinkas Mutter aus, endlich die Wahrheit zu sagen. Die beiden sind seit 1984 getrennt, doch glaubte sie lange an einen Unfalltod ihrer Tochter. Die „obsessive“ Wahrheitssuche ihres Ex-Mannes Bamberski lehnte sie ab, bis sie als Nebenklägerin Einsicht in alle Akten erhielt – und entdeckte, dass Krombach auch sie betäubt hatte, um sie im eigenen Haus mit der Nachbarin zu betrügen.

    Kalinka war nicht Opfer eines medizinischen Unfalls

    Auch die Aussagen einiger Frauen, die als Mädchen von dem Arzt missbraucht worden waren, machten Bamberskis Version der Vorgänge vom Sommer 1982 immer glaubwürdiger: dass Kalinka nicht Opfer eines medizinischen Unfalls war, sondern ihres pädophilen Stiefvaters, der einen sexuellen Übergriff vertuschen wollte. Sachverständige fanden heraus, dass sie nachts in ihrem Bett an Erbrochenem erstickt war, entweder wegen einer hohen Dosis Schlafmittel oder einer geringeren Dosis, kombiniert mit einem Schock – wie einer Vergewaltigung.

    Die Todesumstände konnten nicht geklärt werden

    Bis dahin war die 14-jährige Französin ein kerngesunder, fröhlicher Teenager. Gemeinsam mit ihrem jüngeren Bruder Nicolas verbrachte sie die Sommerferien im Haus des neuen Mannes ihrer Mutter, Dieter Krombach. Er war es, der sie eines Morgens tot in ihrem Bett fand und er habe daraufhin panische Wiederbelebungsversuche gestartet – so erklärte er den Ermittlern die vielen Einstiche an Kalinkas Armen.

    Später sagte er, er habe ihr ein Eisenpräparat gespritzt, damit sie besser bräune. Und noch später räumte er ein, ihr in dieser Nacht ein Medikament gegen Einschlafprobleme gegeben zu haben. Die Todesumstände konnten 1982 nicht geklärt werden und die Ermittlungen gegen Krombach wurden 1987 aus Mangel an Beweisen eingestellt.

    Das Mädchen wurde nicht ausreichend obduziert

    Wie nachlässig die Untersuchungen geführt wurden, führt Bamberski detailliert auf einer Internetseite auf: Weder wurde Kalinkas Herzblut auf Gift untersucht noch die Spuren von Blut und einer „weißlichen Flüssigkeit“ in ihrer Unterhose oder dem Grund für eine Verletzung ihrer Scheide nachgegangen.

    Bei der Autopsie war der tote Körper bereits stark verwest, da er tagelang nicht gekühlt worden war. Im Berufungsverfahren warf die französische Staatsanwaltschaft der deutschen Justiz vor, die Akten „auf Grundlage einer verpfuschten Autopsie und verpfuschter Ermittlungen“ geschlossen zu haben.

    Bamberski lies Krombach überwachen

    Weil Bamberski Krombach weiterhin verdächtigte, Kalinka missbraucht und brutal zum Schweigen gebracht zu haben, strengte er ein Verfahren in Frankreich an. Als ihr Leichnam exhumiert wurde, fehlten die Genitalien. Doch auch nach Krombachs Verurteilung 1995 lebte dieser weiter in Süddeutschland. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sprach ihm sogar eine Entschädigung in Höhe von 100 000 Franc (gut 15 000 Euro) zu, weil er sich beim Prozess nicht verteidigen konnte – er war ja nicht da.

    Bamberski aber gab nicht auf. Regelmäßig fuhr er nach Deutschland, um Krombach zu überwachen, oder schickte Privatdetektive dorthin, schrieb an die Justiz und an Politiker und gründete den Verein „Gerechtigkeit für Kalinka“. Mithilfe der Medien brachte er den verworrenen Fall in die Öffentlichkeit: Vor allem in Frankreich ist André Bamberski heute kein unbekannter Name. Noch immer antwortet er auf Anfragen von Journalisten.

    Mehrere Frauen beschuldigten Krombach der Vergewaltigung

    Bestärkt fühlte er sich, als das Landgericht Kempten Krombach 1997 zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe verurteilte, weil er eine 16-jährige Patientin in seiner Praxis betäubt und vergewaltigt hatte. Weitere Frauen meldeten sich, beschuldigten den Kardiologen des Missbrauchs. Weil er gegen das Berufsverbot verstieß, verurteilte ihn das Landgericht Coburg 2007 zu zwei Jahren und vier Monaten Haft, nach knapp einem Jahr kam er wieder frei.

    Derweil rückte die Verjährung der Strafe wegen Kalinkas Tötung näher. „Ich wusste, dass Krombach Ende Oktober umziehen wollte und hatte Angst, dass er definitiv verschwindet. Man musste dringend handeln“, sagt Bamberski. Den Vorwurf der Selbstjustiz weist er zurück: „Es war ja gerade mein Ziel, dass es zu einem fairen Prozess kommt.“

    Krombachs Anwälte wollen vor den Europäischen Gerichtshof ziehen

    Vergeblich argumentierten Krombachs Anwälte, er könne nicht zweimal für dieselbe Tat verurteilt werden: Die deutsche Justiz habe das Verfahren eingestellt, auch wenn der Fall nie von einem deutschen Gericht geprüft wurde. Nun wollen sie noch vor den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg ziehen. Der herzkranke Krombach hat sich immer wieder wegen seiner Haftbedingungen beschwert.

    „Ich verstehe nicht, warum er nicht seine Auslieferung nach Deutschland beantragt“, sagt Bamberski. „Dagegen wäre nichts einzuwenden.“ Er habe Gerechtigkeit für Kalinka gewollt und bekommen. Nun sieht er noch seiner Strafe entgegen. „Ich hoffe, auch sie wird gerecht sein.“

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