Eine Frau ist gerade gestorben, die Familie trauert im Wohnzimmer. Der Pfarrer wird gerufen, bekommt viel zu starken Kaffee angeboten und soll Trost spenden. Da fährt das kleine Enkelkind auf einem Bobbycar durchs Zimmer und singt: „Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei!“
Jürgen Flieges Anhänger bejubeln ihn beim dritten „Wörishofener Herbst“ für genau solche Moderationen. Sie empfinden es als mutig, das Thema Sterben zu Beginn eines dreitägigen Kongresses so zu thematisieren. Für einen Gast ist das Ganze dann wohl doch zu schwermütig. Er bricht zusammen und muss ins Krankenhaus gebracht werden.
Fliege frotzelt: "Viel Esoterik auf der Bühne"
Das Kurhaus ist schon zur Begrüßung voll, der Heimat- und Volkstrachtenverein „Alpenblick“ tritt auf. „Viel Esoterik auf der Bühne“, frotzelt Fliege und bedankt sich bei jeder Tänzerin mit einer Blume, die er kurz vorher aus der Dekoration gezogen hat: „Wenn man Blumen klaut, ist mehr Gefühl drin für die Liebsten. Schon wieder ein Gebot gebrochen!“ Wenn er nächstes Jahr wiederkomme, könnten sie ihm ja die Blumen als Strohblumen zurückschenken, sagt der 64-Jährige – er baut selbstbewusst auf eine Fortsetzung der Veranstaltung. Jürgen Fliege zeigt sich an diesem Wochenende in Bestform, begrüßt die Gäste launig einzeln nach Bundesländern. Als weitest Angereisten auch den Kanadier Dr. Zhi Gang Sha, der Heilung durch Seelenkraft anbietet. Über 1000 Kursteilnehmer hätten seine Heilsitzung bereits gebucht, heißt es.
Nur aus Bad Wörishofen selbst kommen wenige Gäste. In der Kneippstadt im Unterallgäu hat die Veranstaltung des umstrittenen Ruhestandspfarrers von Anfang an hitzige Glaubensdiskussionen ausgelöst. Die jüngsten Negativschlagzeilen rund um das von der rheinischen Landeskirche eingeleitete Disziplinarverfahren gegen Jürgen Fliege verschärfen die Situation zusätzlich.
Obwohl die Fliege Verlags GmbH der Veranstalter des Bad Wörishofener Herbstes ist, fürchtet die Kurstadt um ihren guten Ruf. Schlagzeilen wie „Schamanenland am Fuß der Alpen“ (Focus) oder „Hat Fliege einen an der Klatsche?“ (Bild) lesen Bürgermeister Klaus Holetschek und Kurdirektor Thomas Götz nicht gerne. Auch der Esoterikmarkt im Kurhausfoyer, wo Druidensteine (der Preis wird ausgependelt!) ebenso angeboten werden wie Kraftpakete (Algen) aus Hawaii, missfällt in der Gesundheitsstadt.
„Das Leben ist ein Orkan, der vieles aufwirbelt, um dann wieder Platz zu schaffen für etwas Neues“, so Flieges Kommentar dazu bei der dem Kongress vorausgegangenen Pressekonferenz. Und dieser Satz könnte sich nun bewahrheiten, wenngleich nicht zu Flieges Gunsten. Am Samstag hat parallel zum Fliege-Kongress im Evangelischen Gemeindezentrum die Dekanatssynode Memmingen stattgefunden. Kirchenrat Bernhard Wolf aus Bayreuth, von 1990 bis 2010 Beauftragter der Evangelischen Kirche in Bayern für neue religiöse Strömungen, sprach sicher nicht zufällig zum Thema „Heil und Heilung im Spannungsfeld von Esoterik und Glaube“. Ob er Fliege als gefährlich beurteile, wurde er gefragt. „Sicher nicht, eher als tragische Figur. Seine Eitelkeit und sein Selbstvermarktungsdrang stehen seinen christlichen Absichten im Wege“, urteilte Wolf. Er rief die christlichen Kirchen eindringlich zu einer Wiederentdeckung der therapeutischen Dimension des Glaubens und „der Unterscheidung der Geister“ auf.
Ein Forum gelte es zu schaffen, auf dem hochkarätige Referenten – Ärzte, Therapeuten, Vertreter der Kirchen und auch Heiler – die Möglichkeit bekommen, im Dialog voneinander zu lernen. Und hier kommt wieder Bad Wörishofen als Kongress-Ort ins Gespräch.