Eine Wand voller Zigarettenkippen, etliche davon mit Lippenstiftabdruck - das ist gleich zu Anfang ein skurriler Knaller im "Museum der Unschuld" in Istanbul. Exakt 4213 Stummel stecken da wie Insektenleichen aufgespießt an der Wand. Zu Jahreskolonnen geordnet und mit Bemerkungen versehen, wo und wann sie geraucht worden sind. Wer sie genussvoll inhaliert und wer wiederum sie so akribisch geordnet hat, das erfährt man im Roman "Das Museum der Unschuld" von Orhan Pamuk. Darin erzählt der Literatur-Nobelpreisträger von Kemal, der sich kurz vor einer standesgemäßen Oberschicht-Verlobung in die verarmte Verwandte Füsun verliebt. Als die junge Frau nach besagter Verlobung den Kontakt abbricht, wird Kemals Leidenschaft zur Obsession - wie besessen beginnt er, Alltagsgegenstände zu sammeln, die ihn an die Angebetete erinnern, um ihr wenigstens auf diese Weise nahe zu sein. Schon während Pamuk den Roman schrieb, hatte er die Idee, gleichzeitig ein Museum einzurichten, das seine Geschichte sozusagen visualisiert. Das Geniale daran: Alle Objekte im "Museum der Unschuld" wurden vom Schriftsteller selbst zusammengetragen und tauchen nun wiederum auch im Roman auf: Kleider, Handtaschen, Pumps, Schminkutensilien, Taschentücher, Ohrringe, Eintrittskarten, Streichholzschachteln, Fotos, Gläser und vieles mehr. All das findet sich im Museum in nummerierten Vitrinen wieder, die den entsprechenden Kapiteln im Buch zugeordnet sind. Damit wird diese Sammlung einer erfundenen Liebe zugleich zum raffinierten Spiel zwischen Fiktion und Realität. Zu bestaunen ist das Ganze in einem Stadthaus unweit von Pamuks Wohnsitz im Viertel Beyoglu. Wer den Roman "Das Museum der Unschuld" mitbringt, darf umsonst rein. Und wer das Buch vorher liest, hat auch viel Spaß an dieser nagelneuen Istanbuler Attraktion.
Istanbul: Ganz groß und ganz lebendig
Ein 550 Jahre altes Einkaufszentrum mit 22 Eingangstoren, 64 Straßen und sage und schreibe 4000 Läden - das sind die nüchternen Zahlen zum Großen Basar in Beyazit. Zum Märchen aus 1001 Nacht machen es die Händler, die in jeweils eigenen Gassen Gold- und Silberschmuck, Teppiche, Schuhe, Porzellan, Wasserpfeifen, Messingteller, Lampen, Antiquitäten, Taschen, Tee, Gewürze und Süßigkeiten feilbieten. Die Lastenträger, die mit ihren proppevollen Sackkarren geschickt durchs Gedränge manövrieren. Die Jungs, die Kunden in den Geschäften behände Tee und Mokka servieren. Die Besucher nicht zuletzt, die staunend durch das farbenfrohe Labyrinth ziehen und die bemalten Kuppeln des überdachten Basars bewundern. Durch Istanbuls Epizentrum der Geschäftigkeit wuseln tagtäglich 500 000 Menschen. Doch im Basar finden sich immer wieder auch kleine Oasen des Friedens. Im ruhigen Innenhof einer alten Medrese etwa lassen sich in der schönen Atmosphäre eines osmanischen Teegartens Männlein wie Weiblein - ja, auch Frauen - ihre Wasserpfeifen schmecken. Bei Abdullah, der in seinem badetuchgroßen Laden mit Mühe und Not Platz für zwei Kunden hat, gönne ich mir das wonnige Ritual einer türkischen Rasur mit allem Drum und Dran: Nasenhaare schneiden. Ohrenhaare absengen. Einseifen mit Dachshaarpinsel. Schaben mit jungfräulicher Klinge. Wundenstillung mit Blutstein. Perfekt. Und Tee inklusive.
Istanbul: Ganz alt und ganz unten
Rotes Schummerlicht und dezente Musik - das sind die durchaus reizvollen Begleiterscheinungen für Istanbuls bedeutendste unterirdische Attraktion - die Yerebatan-Zisterne unweit der Hagia Sophia. Gebaut unter Kaiser Justinian im 6. Jahrhundert, fasst der gigantische Speicher 80 000 Kubikmeter Frischwasser, das damals über Aquädukte aus den Bergen kam. Heute umspielt das Lebenselixier noch etwa knietief die acht Meter hohen Säulen, die das Gewölbe stützen und sich samt diesem effektvoll im kristallklaren Bodenspiegel vervielfachen. Und kaum zu glauben: Im geheimnisvollen Halbdunkel dieses "Versunkenen Palastes" fühlen sich sogar Fische pudelwohl. Wo einst James Bond in "Liebesgrüße aus Moskau" noch hindurch rudern musste, wandeln Touristen heute entspannt über Laufstege durch die Spaliere der 336 Säulen, von denen einige auf umgekehrten Medusenhäuptern stehen. Alles in allem und auch dank der stimmungsvollen Atmosphäre ein tolles Erlebnis.
Istanbul: Ganz neu und ganz oben
Dass Hagia Sophia, Blaue Moschee, Topkapi-Palast und Bosporus-Bootstour ganz oben auf der Besuchsliste stehen, versteht sich von selbst und sei nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Was ganz oben im wortwörtlichen Sinn bedeutet, erfährt der Besucher nach rasantem Fahrtstuhlritt auf den höchsten Wolkenkratzer im Land - den Sapphire Tower im feinen Viertel Levent. Mit erdbebensicherem Stahlbetonskelett und transparenter Verschalung ist das 241 Meter hohe himmelblaue Gebäude nicht nur ein stolzes Architekturwunder; es darf getrost auch als weithin sichtbares Symbol für kraftstrotzende Dynamik, wirtschaftliche Potenz und gesellschaftlichen Wandel in der Metropole am Bosporus gelten. Denn sein Erbauer ist kein Großmogul oder Finanzmagnat, sondern ein Einwanderer aus dem tiefsten Anatolien, der es in 25 Jahren aus einem kurdischen Slum in die türkische Oberschicht schaffte. Faszinierend am Sapphire ist aber nicht allein die Höhe, sondern auch die außergewöhnliche Konstruktion. Zwischen der äußeren Glashülle ohne jede Öffnung nach außen und der eigentlichen Fassade mit Fenstern und Balkonen gibt es alle drei Stockwerke einen Garten. Mit Bäumen. Mit Rasen. Mit Blumenbeeten. Und natürlich nicht zu vergessen: Die Aussicht von der Dachterrasse auf die 15-Millionen-Megalopolis ist in alle Richtungen und bei schönstem Abendlicht für Reisende schlichtweg ein Hammer.