Jedes Jahr sterben in Indien 18.000 bis 20.000 Menschen an Tollwut, schätzt die Weltgesundheitsorganisation. Das ist mehr als ein Drittel der weltweiten Todesfälle. Dabei gibt es eine vorbeugende Impfung gegen Tollwut. Doch diese besteht aus mehreren Injektionen an verschiedenen Tagen und muss dann alle zwei bis fünf Jahre aufgefrischt werden. Das sei für viele Menschen zu kompliziert und zu aufwendig, sagen die Ärzte.
28. September: Welt-Tollwuttag
Die Krankenschwester Sunil Yadav hat in ihrer Klinik in der indischen Hauptstadt Neu Delhi schon viel Schmerz gesehen. Und Verzweiflung. Vor allem in den Augen der Eltern, die ihre Kinder zu spät ins Maharishi Valmiki Hospital bringen. Die Kinder wurden von tollwütigen Hunden, Katzen, Affen oder Schakalen gebissen. Die meisten Menschen in Indien wissen nicht, dass Tollwut in fast allen Fällen tödlich ist, sobald das Virus das Gehirn erreicht hat. Der Welt-Tollwuttag am 28. September soll für mehr Aufklärung sorgen.
"Wir bringen jeden, der zu uns kommt, zuerst in den Waschraum", berichtet Schwester Yadav. Dort wird die Wunde mehrere Minuten mit Seife gereinigt, ausgespült und mit Jod behandelt. So könne die Viruslast um bis zu 80 Prozent verringert werden. Im Raum gegenüber liegen zahlreiche Impfstoff-Fläschchen bereit. Dort spritzt sie den Patienten das Tollwut-Immunglobulin um die Wunde und in den Arm. So wird verhindert, dass das Virus von der Wunde ins zentrale Nervensystem wandert und die tödliche Hirnhautentzündung auslöst.
Tollwut: Medikamente häufig zu teuer
"Jeder, der gebissen wird, sollte ein Serum erhalten", meint der Arzt Mukesh Naran, der das Tollwut-Projekt in dem Krankenhaus leitet. Das ist in Indien aber kaum möglich. Allein im Großraum Delhi leben laut UN-Schätzungen 25 Millionen Menschen. Das Maharishi-Valmiki-Hospital ist aber das einzige staatliche Krankenhaus der Stadt, das die benötigten Antikörper vorrätig hat. Das liege am Preis, meint Naran. Eine Flasche mit Serum koste 5.000 Rupien, umgerechnet 64 Euro.
Der Weg zum Krankenhaus ist oft beschwerlich, denn Krankenwagen oder Shuttle aus anderen Hospitälern gibt es nicht. "Die Menschen kommen mit Bussen, Auto-Rikschas, Autos, Fahrrädern oder laufen zu uns", sagt der Arzt. Und das kann dauern, denn das Krankenhaus liegt 35 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt - weit draußen in den Feldern zwischen Wasserbüffeln und Handpumpen. Für viele Menschen gibt es auch kaum eine Alternative, denn die meisten anderen Krankenhäuser werden privat geführt. Dort müssen die Patienten selbst bezahlen.
Tollwut: Gefahr durch Tiere muss eingedämmt werden
"Es wird versucht, die Gefahr durch die Tiere einzudämmen", erklärt Ashwath Narayan, der Geschäftsführer der Tollwut-Stiftung in Asien. Ein Gesetz aus dem Jahr 2001 verbietet das Töten. Deshalb werden die Hunde eingefangen, geimpft, sterilisiert, und wieder freigelassen. Angesichts der riesigen Population hätten die Behörden mit ihren begrenzten Mitteln allerdings kaum eine Chance.
Quasi an jeder Ecke in Indien leben gleich mehrere Straßenhunde; mindestens 25 Millionen sollen es sein. Um in einer der Megastädte gegen Tollwut anzukommen, müsse man 80 Prozent der mehreren Hunderttausend Hunde einfangen und impfen, erklärt Gadey Sampath, Arzt am Institut für Präventionsmedizin in Hyderabad. Diese Prozedur müsse jährlich wiederholt werden, da der Impfschutz nur ein Jahr lang hält. Für ein solches Vorhaben wäre eine landesweite, koordinierte Aktion nötig. "Aber Tollwut wird nicht als Epidemie betrachtet", sagt Sampath.
Panische Angst vor tollwütigen Hunden
Srinagar im Kaschmir-Tal dürfte eine der Städte mit der höchsten Hundepopulation sein. Viele Menschen dort haben panische Angst vor den Hunden. Die Tiere rotten sich oft in Rudeln zusammen, bevölkern Parks und bewachen die Straßen. Mehr als 68.000 Menschen wurden zwischen 2006 und 2013 gebissen. Der 11-jährige Mudasir Ahmad war eines der Opfer: Er wurde von Hunden angefallen, die ihre Zähne fast 125 Mal in ihn schlugen.
Es sei ein Wunder, dass der Junge überlebte, sagt sein Onkel Riyaz Ahmad. "Als wir ihn sahen, lag er in einer Blutlache, und mehr als 20 Hunde bellten um ihn herum". Die Ärzte operierten den Jungen mehrfach, da er auch Löcher in der Luftröhre und Verletzungen am Kopf davontrug. Außerdem gaben sie ihm das Tollwut-Serum. "Wir haben Geld und konnten uns die Behandlung leisten", sagte der Onkel. "Aber was ist mit den Armen, wer hilft denen?" dpa/AZ