Nach dem jahrelangen Missbrauch eines heute Neunjährigen im Raum Freiburg will das Land Baden-Württemberg den Fall untersuchen. Die Rolle von Behörden und Justiz müsse kritisch hinterfragt werden, sagte Sozialminister Manne Lucha (Grüne) am Montag der Deutschen Presse-Agentur. Es sei nicht gelungen, den Jungen zu schützen. Das Kind war nicht dauerhaft aus der Familie genommen werden, obwohl ein vorbestrafter Sexualstraftäter verbotenerweise mit dem Jungen und deren Mutter zusammenwohnte. Dies geschah, weil die Mutter sich nicht an Auflagen hielt und die Behörden ihr vertrauten, dass sie das Kind nicht gefährde.
Das Kind wurde den Ermittlungen zufolge von seiner 47 Jahre alten Mutter und deren 39 Jahre alten Lebensgefährten über das Internet Männern aus dem In- und Ausland gegen Geld für Vergewaltigungen überlassen. Es wurde demnach von mehreren Tätern wiederholt und an mehreren Orten in und um Freiburg missbraucht. Das Jugendamt hatte den Jungen nach "vagen" Hinweisen der Polizei im vergangenen März aus der Familie geholt. Zwei Gerichte hatten danach aber entschieden, dass der Junge - unter Auflagen - zurück in die Familie kommt.
Nach einer Mitteilung des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald vom Montagabend hatte das Jugendamt im März 2017 das damals acht Jahre alte Kind in Obhut genommen. Die Behörde wollte das Kind solange aus seiner Familie nehmen, bis die Erziehungsfähigkeit der Mutter durch ein Sachverständigengutachten festgestellt wird. Das Familiengericht lehnte jedoch eine längere Herausnahme des Kindes aus seiner Familie unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab. Nach dieser müssen vor einer Trennung des Kindes von seiner Familie zunächst andere Maßnahmen ergriffen werden.
Gericht weißt Kritik an Urteilen zurück
Das Familiengericht verhängte aber Auflagen an die Mutter des Kindes. Danach sollte die 47-Jährige dafür sorgen, dass ihr Lebensgefährte die Wohnung nicht mehr betritt und es keine gemeinsamen Freizeitaktivitäten mehr zwischen ihrem Kind und dem 39 Jahre alten Mann gibt - auch nicht in ihrer Anwesenheit oder sonstiger Personen. Dagegen legte die Mutter Beschwerde ein. Das Oberlandesgericht Karlsruhe bestätigte jedoch die Entscheidung des Familiengerichts.
Das Familiengericht traute der Mutter laut dem Landratsamt zu, das Wohl ihres Kindes nicht aus dem Blick zu verlieren und dieses vor Gefahren zu schützen. "Dem Jugendamt war insofern weder vom Familiengericht noch vom Oberlandesgericht eine Kontrolle auferlegt."
Insgesamt sitzen wegen der Vergewaltigungen, die mehr als zwei Jahre gedauert haben sollen, acht Tatverdächtige zwischen 32 und 49 Jahren in Haft. In drohen nun, getrennt voneinander, Gerichtsverfahren.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe wies am Montag Kritik an den Urteilen zurück. In der Mutter des Neunjährigen habe man keine Gefahr gesehen, sagte eine Sprecherin. Die Frau sei zuvor nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen und habe nicht im Verdacht gestanden.
Erster Prozess im Freiburger Fall könnte im Frühjahr beginnen
Ein erster Prozess im Freiburger Fall könnte Justizkreisen zufolge im Frühjahr beginnen. Dem Landgericht Freiburg liege bereits die erste Anklage vor, sagte ein Sprecher.
Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung forderte mit Blick auf den Fall unter anderem Verbesserungen bei den Jugendämtern. Johannes-Wilhelm Rörig sagte am Montag im "Morgenmagazin" von ARD und ZDF: "Jugendämter brauchen mehr Personal, müssen besser hineinschauen können in die Familien." Zudem müssten Familienrichter entlastet und fortgebildet werden.
Auch enge Angehörige des Lebensgefährten der Mutter wollen von dem Martyrium des Jungen nichts mitbekommen haben. Man habe dem Jungen nichts angemerkt, sagten Mutter und Schwester des Mannes in einem am Sonntagabend ausgestrahlten Spiegel TV-Bericht. (dpa)