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Monster-Komplex: Godzilla, Japan und die Fukushima-Katastrophe

Monster-Komplex

Godzilla, Japan und die Fukushima-Katastrophe

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    Godzilla trampelt auf ein japanisches Atomkraftwerk zu. Zuvor kam er aus dem Meer gestiegen und erschütterte mit seinen schweren Schritten das Land. Das Bild aus dem Film „Godzilla – Die Rückkehr des Monsters“ weckt Erinnerungen an die Aufnahmen des AKW Fukushima Daiichi nach der Katastrophe.
    Godzilla trampelt auf ein japanisches Atomkraftwerk zu. Zuvor kam er aus dem Meer gestiegen und erschütterte mit seinen schweren Schritten das Land. Das Bild aus dem Film „Godzilla – Die Rückkehr des Monsters“ weckt Erinnerungen an die Aufnahmen des AKW Fukushima Daiichi nach der Katastrophe. Foto: Cinetext

    2006 geht im Kinofilm „Sinking of Japan“ die ganze Insel im Pazifik unter. 1990 verfilmt Akira Kurosawa in „Fujiyama in Rot“ seine Albträume, in denen Japans Atomkraftwerke nach einem Vulkanausbruch in die Luft gehen. 1954 entsteigt dem Pazifik eines der bekanntesten Monster der Menschheitsgeschichte: Godzilla, geweckt durch eine Atombombe. Erdbeben, Flutwellen, Atomkatastrophen – wer die japanischen Filme der vergangen 60 Jahre sieht, kann sich angesichts des Jahrestages des Fukushima-Unglücks am 11. März nur verwundert die Augen reiben.

    Fast stellt sich die Frage, was zuerst da war: die realen Unglücke oder ihre mediale Verarbeitung, die wiederum Unglücke vorwegnahm. Kopiert hier die Kunst das Leben oder das Leben die Kunst? Am eindrucksvollsten steht für diese Frage das riesenhafte Filmmonster Godzilla, das in den Atompilzen von Hiroshima und Nagasaki geboren zu sein scheint. Den Weg in die Kinos aber fand „Godzilla“ – so auch der Filmtitel – erst 1954. In dem Jahr wurden japanische Seeleute bei einem Atombombentest der Amerikaner verstrahlt. Viele starben. In Japan erkrankten Tausende, da sie verseuchten Thunfisch gegessen hatten.

    Terror der Atombombe war von Anfang an Thema der Godzilla-Filme

    „Das Thema der Godzilla-Filme war von Anfang an der Terror der Atombombe. Die Menschen hatten sie erschaffen und jetzt war es an der Natur, an der Menschheit dafür Rache zu nehmen“, sagte einmal Tomoyuki Tanaka, Produzent der Godzilla-Filmreihe. Die Filme ermöglichten es vielen Japanern, die Niederlage im Zweiten Weltkrieg und die Hunderttausenden Toten wenigstens ein Stück weit verarbeiten zu können. Das bestechende Merkmal Godzillas ist seine Größe, der die Menschen hilflos gegenüberstehen. Und so taucht auch Godzilla im ersten Film von 1954 aus dem Meer auf: Gleich einer Naturgewalt, der Mischung aus Erdbeben, Tsunami und Atombombe, geht er in der Bucht von Tokio an Land. 9,5 Millionen Besucher sahen in Japans Kinos, wie er alles zertrampelt und zerstört, was ihm in den Weg kommt.

    Dabei ist Godzilla, dessen Name sich im Original (Gojira) aus „Wal“ und „Gorilla“ zusammensetzt, für die Japaner nicht böse. Vielmehr betonen die Filme gar menschliches Leid, anstatt nur Zerstörung darzustellen. Der Kulturphilosoph und Hobby-Monsterforscher von der Universität Köln, Matthias Burchardt, sieht das Monster entsprechend jenseits von Gut und Böse. Es ist einfach da. Und am Ende eines Films stirbt Godzilla nicht, wie man bei Produktionen solcher Art aus anderen Ländern erwarten könnte. Vielmehr sehnen sich die Japaner nach einer friedlichen Koexistenz mit der Natur.

    Es scheint so, als wurde Fukushima über Jahrzehnte von der japansichen Filmkultur erahnt

    Chronologie der Katastrophe von Fukushima

    Die Havarie nach dem verheerenden Erdbeben und Tsunami im japanischen Atomkraftwerk Fukushima Daiichi war die schwerste Atomkatastrophe seit dem Tschernobyl-Unglück 1986. Ein Überblick:

    11. März 2011: Ein Erdbeben der Stärke 9,0 erschüttert den Nordosten Japans und löst einen verheerenden Tsunami aus.

    11. März 2011: Auch die Stromversorgung und das Kühlungssystem des an der Küste gelegenen Atomkraftwerks Fukushima Daiichi werden beschädigt. Die Brennstäbe im Inneren der Reaktoren überhitzen und beginnen zu schmelzen.

    12. März: Im Reaktorgebäude Nummer eins kommt es zu einer Wasserstoffexplosion, doch der Reaktor selbst bleibt intakt. Das Kühlwassersystem funktioniert nicht mehr, das Team auf dem Gelände beginnt daraufhin, die Reaktoren mit Meerwasser zu kühlen. Die Regierung erweitert die Evakuierung auf einen Umkreis von 20 Kilometern.

    14./15. März: In den Gebäuden der Reaktoren drei und vier kommt es zu weiteren Explosionen. Die Reaktoren bleiben laut Behörden intakt.

    25. März - 4. April: In vier beschädigten Reaktorgebäuden wird eine große Menge radioaktiv verseuchten Wassers entdeckt. Es behindert die Arbeit zur Kühlung der überhitzten Brennstäbe. Die Behörden beschließen, 11.500 Tonnen radioaktiven Wassers in den Pazifik zu leiten.

    12. April: Japan stuft die Schwere des Atomunglücks hinauf. Es hat nun Höchststufe 7 und wird damit als genauso verheerend eingestuft wie die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl.

    6. Juni: Die Regierung bestätigt, dass es bereits kurz nach Beginn der Katastrophe in drei Reaktoren zu Kernschmelzen gekommen war. Die in den ersten Tagen freigesetzte Radioaktivität sei zudem doppelt so hoch gewesen wie zunächst geschätzt.

    30. August: Ministerpräsident Naoto Kan und sein Kabinett treten zurück. Finanzminister Yoshihiko Noda wird Japans sechster Regierungschef innerhalb von fünf Jahren.

    3. Oktober: Eine Regierungskommission schätzt die Kosten für Stilllegung und Abbau der Atomreaktoren auf umgerechnet 10,6 Milliarden Euro.

    17. und 29. November: Aufgrund radioaktiv verseuchter Stichproben verbietet Japan den Verkauf von Reis aus der Region Fukushima.

    16. Dezember: Die japanische Regierung verkündet, Fukushima Daiichi sei wieder unter Kontrolle, die Reaktoren seien im Zustand der «Kaltabschaltung».

    21. Dezember: Die Betreibergesellschaft Tepco schätzt, dass die Stilllegung der Reaktoren bis zu 40 Jahre dauern wird.

    22. Februar 2012: Um die Kontaminierung des Ozeans vor dem havarierten Atomkraftwerk einzudämmen, kündigt Tepco an, den Meeresboden mit einer 73.000 Quadratmeter großen Betondecke zu versiegeln.

    4. April 2013: Bis zu 120 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser treten aus einem Tank aus und dringen in den Boden ein.

    19. Juni 2013: Im Grundwasser nahe dem havarierten Atomkraftwerk werden hohe radioaktive Werte gemessen. Werte der radioaktiven Substanz Strontium-90 lagen dreißigmal höher als zulässig.

    21. August 2013: Weitere 300 Tonnen radioaktiv verseuchtes Wasser treten in Fukushima aus.

    10. März 2015: An den Folgen der Flucht vor der Strahlung sind mehr als 1200 Menschen gestorben. Das Leben in Behelfsunterkünften hat viele krank gemacht. Andere begingen Selbstmord.

    Ein Volk, das als einziges Atombombenabwürfen ausgesetzt war und seit Jahrtausenden mit Naturkatastrophen leben muss. Der Westen hat nie wirklich die Ruhe und Disziplin der Japaner angesichts großer Unglücke wie der Havarie des AKW Fukushima verstanden. Vielleicht erschließt sich dies eben aus der Tradition und Geschichte des Landes und seiner Kulturprodukte wie den Godzilla-Filmen.

    Sie dienen der Verarbeitung der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, atomarer Bedrohung und Naturkatastrophen. Auch die billige Machart (Godzilla ist ein Mann, der ein Plastikkostüm trägt) passt in die japanische Kultur, sagt J. D. Lees, Herausgeber des Monstermagazins G-Fan: Für Japaner sei es kein Problem, wenn während Theateraufführungen die Bühne umgebaut wird und alle Rollen von Männern gespielt werden. „Das japanische Publikum hat diese Künstlichkeit schon immer akzeptiert.“ So stört sich auch niemand an der fehlenden Kontinuität der einzelnen Filme. Über die Jahrzehnte ändert sich Godzillas Rolle immer wieder: Er verteidigt die Japaner gegen Aliens, die UdSSR und USA. Vom Unkontrollierbaren wird er zur einsetzbaren Waffe. In den 70ern kämpft er gegen ein Smog-Monster und mutiert damit zum Umweltschützer. Die Umweltverschmutzung hatte die A-Bombe als größtmögliche Gefahr abgelöst. In den 80ern schließlich feiert Godzilla sein Comeback als Naturgewalt.

    Godzilla verkörpert die Atombombe und Naturkatastrophen

    Das Monster bleibt also nicht eindimensional. Godzilla und seine Kollegen sind viel mehr als nur Sinnbilder für die Apokalypse. Die Monster sind Stressbewältiger im disziplinierten Japan. J. D. Lees vermutet, dass Japaner Phantasien über ihre Monster ausleben. Das Gegenbild der Monsterbegeisterung in Japan ist wohl die Faszination für Roboter, also die Beherrschung der Affekte.

    Jenseits des Monster-Trashs verarbeitete der 1998 gestorbene Akira Kurosawa, einer der größten Regisseure seiner Zeit, die Angst vor dem nuklearen Super-Gau in seinem Episodenfilm „Träume“. Das Werk basiert auf Träumen des Filmemachers. In einem Teil mit dem Titel „Fujiyama in Rot“ bricht der Fuji aus. Im Hintergrund explodieren sechs Atomkraftwerke. Die Tricksequenzen spielte Godzilla-Regisseur Ishiro Honda ein. Von Panik erfasste Menschen verenden, den Rest verschluckt das Meer – und am Ende bleiben nur eine Frau mit Kind und zwei Männer übrig, die sich alle nicht kennen. Am Rande des Meeres schreit die Frau: „Sie sagten uns, dass die Atomkraftwerke sicher sind. Keine Unfälle, keine Gefahr. Das sagten sie uns. Lügner!“

    Bilder, die denen der Evakuierung der Region Fukushima ähneln. Die Szene spielt in gleißendem Licht. Der Betreiber eines AKW tritt auf, entschuldigt sich und verschwindet im tiefblauen Pazifik. Am Ende versucht der andere Mann verzweifelt, mit einem Hemd die atomar verseuchten, roten Wolken von Frau und Kind zu vertreiben. Vergebens. Alle versinken in Rot.

    Tipp Jörg Buttgereits Buch „Japan – Die Monsterinsel“ ist eine Fundgrube für Godzilla-Fans. Martin Schmitz Verlag, 256 Seiten, 24,50 Euro.

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