Herr Alexander Filipovic, der Ton von Mediennutzern gegenüber Medien scheint rauer zu werden. Denken Sie nur an die scharfe Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern während der Fußball-WM. Der ZDF-Reporterin Katrin Müller-Hohenstein wurde beispielsweise mangelnde Distanz vorgeworfen.
Filipovic: Dass der Ton rauer geworden ist, kann tatsächlich sein. Die digitalen Kommunikationsmöglichkeiten versetzen die Menschen in die Lage, ungehemmt ihre Meinung kundzutun. Auf der anderen Seite gibt es ernst gemeinte und gute Kritik. Auch im Bereich der Medien macht sich zunehmend ein gewisses Kundenverhalten bemerkbar: Manche meinen, sie könnten etwa den ZDF-Moderator Markus Lanz aus dem Programm wählen, weil sie Rundfunkbeitrag zahlen und ihnen sein Interviewstil nicht gefällt.
Welche Bedürfnisse haben Mediennutzer denn?
Filipovic: Sie wollen richtige und wahre Informationen; sie wollen, dass Journalisten gut recherchieren. Gleichermaßen wollen sie auch nichts Langweiliges lesen oder sehen müssen. Die Herausforderung für den Journalismus war es schon immer, beides zusammenzubringen.
Für das Image des ZDF "eine Katastrophe"
Zuletzt musste das ZDF einräumen, in der Ranking-Show „Deutschlands Beste!“ gezielt manipuliert zu haben. Wie stark beschädigt ein derartiger Fall das Image eines Mediums und wie stark beeinflusst er die Ansichten der Menschen über „die“ Medien?
Filipovic: Für einen öffentlich-rechtlichen Sender wie das ZDF ist das eine Katastrophe. Die Zuschauer wissen zwar einigermaßen genau, dass TV-Shows inszeniert sind und nicht alles hundertprozentig der Realität entspricht. Aber dass sie so massiv hinters Licht geführt wurden, wird die Glaubwürdigkeit des Senders stark beschädigen. Die Menschen werden noch vorsichtiger und zurückhaltender Fernsehunterhaltung konsumieren.
Medien wird zunehmend Kampagnen-Journalismus vorgeworfen. Was ist dran an diesem Vorwurf?
Filipovic: Natürlich gibt es Tendenzen, die man als „Rudeljournalismus“ beschreiben kann. Das heißt: Wenn einer etwas entdeckt hat, dann springen alle anderen drauf und es verselbstständigt sich. Unter einer Kampagne verstehe ich jedoch eine gelenkte und strategisch angelegte Aktion, bei der sich mehrere Medien miteinander absprechen. Das sehe ich weder bei Franz-Peter Tebartz-van Elst noch beim zurückgetretenen Bundespräsidenten Christian Wulff.
Nehmen wir die Berichterstattung über den früheren Limburger Bischof Tebartz-van Elst. Kardinal Gerhard Ludwig Müller kommentierte sie mit den Worten: „Da gibt es offenbar Lust auf Menschenjagd.“
Die Vorwürfe gegen Bischof Tebartz-van-Elst
Zu autoritär, zu prunkvoll, falsche Angaben: Wochenlang hatten die Vorwürfe gegen den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst die Schlagzeilen bestimmt. Die zentralen Kritikpunkte:
AMTSFÜHRUNG: Mehrere Priester warfen dem Bischof bereits 2010 einen autoritären Kurs vor. In ihrem Schreiben soll von «klerikalem Dünkel», vom «Abtauchen der Kirchenleute» und von «selbstverliebten Ritualen» die Rede gewesen sein.
Auch Ende August 2013 wendeten sich Gläubige gegen den Führungsstil von Tebartz-van Elst: Frankfurter Katholiken sprachen in einem offenen Protestbrief von einer Vertrauenskrise.
BISCHOFSRESIDENZ: Unter enormen Druck geriet der Bischof wegen seines millionenteuren Amtssitzes.
Im Dezember 2010 waren die Um- und Neubaukosten noch offiziell mit 5,5 Millionen Euro beziffert worden. Mittlerweile geht es um eine Summe von mindestens 31 Millionen Euro - und der Geistliche wird wegen angeblicher Prunksucht angeprangert.
Eine von der Deutschen Bischofskonferenz berufene Kommission begann im Oktober 2013 mit der Untersuchung der Kostenexplosion und legte den Bericht Anfang März im Vatikan vor.
STRAFANTRAG: Auch die Justiz ermittelte gegen den Bischof. Die Hamburger Staatsanwaltschaft beantragte einen Strafbefehl gegen Tebartz-van Elst.
Vorwurf: Der Bischof gab im Zusammenhang mit einem Erste-Klasse-Flug nach Indien eine falsche eidesstattliche Erklärung ab. Das Verfahren wurde gegen Zahlung von 20 000 Euro eingestellt.
Laut Staatsanwaltschaft räumte der Kirchenmann die falschen Angaben ein. Die Limburger Ermittlungsbehörde prüft seit Monaten, ob sie ein Verfahren wegen Untreue gegen ihn einleitet.
REAKTION DES BISCHOFS: Es gibt nicht viele Äußerungen von Tebartz-van Elst. Die erste Woge des offenen Protestes im August 2013 versuchte er mit einem Brief zu glätten, in dem er um Vertrauen bittet und Fehler einräumt.
«Rückblickend gibt es Dinge, die ich anders angehen würde», erklärte er.
Zu den Verschwendungsvorwürfen sagte er später: «Wer mich kennt, weiß, dass ich keinen pompösen Lebensstil brauche.» Man solle nicht den Stab über ihn brechen.
Filipovic: Da hat er seine Worte zu hart gewählt. Aber wenn Journalisten wie mit Scheuklappen nur noch hinter der nächsten Verfehlung herhecheln, hat das etwas von Hetze. Das sage ich allerdings äußerst vorsichtig: Schließlich hat der Journalismus gerade die Aufgabe, Dinge, die falsch laufen und im Verborgenen stattfinden, ans Licht zu bringen.
Sie haben katholische Theologie studiert: Was denken Sie, wenn sich hohe kirchliche Würdenträger derart äußern? Gerhard Ludwig Müller sprach einmal sogar von „gezielten Diskreditierungskampagnen gegen die katholische Kirche“ und fühlte sich an eine „Pogromstimmung“ erinnert.
Filipovic: Abgesehen davon, dass mit einer solchen Wortwahl tatsächliche gewaltsame Ausschreitungen verharmlost werden, zeigt das, dass die Gesetze und Werte einer demokratischen Öffentlichkeit nicht richtig geschätzt werden. Demokratie ist auf eine radikale Transparenz hin angelegt, hat gerade da ihr Ethos, und Journalismus darf vor keiner Institution haltmachen. Kirchliche Würdenträger finden dagegen: Was geht Journalisten „unser Laden“ an. Da kollidieren zwei Welten. Die katholische Kirche hat aber in der demokratischen Öffentlichkeit ihren Platz und muss deshalb deren Gesetze akzeptieren. Nur dann kann sie sie auch kritisieren.
Kirchliche Medienkritik hat keinen Platz
Was kann die katholische Kirche aus dem Fall Tebartz-van Elst lernen?
Filipovic: Sie muss von vornherein klar und transparent kommunizieren und nicht immer gleich mit dem Verdacht von Medienhetze und Medienkampagne reagieren. Kirchliche Medienkritik hat in Zeiten von Kirchenkrise keinen Platz. Und die katholische Kirche muss dem Journalismus signalisieren, dass sie auch dankbar ist, dass er Verfehlungen der Kirche aufzeigt. Sie darf nicht immer gleich alle Schotten dicht machen und sagen: Wir regeln das intern und dann sagen wir euch irgendwann Bescheid.
Papst Franziskus dagegen erzeugt fast täglich positive Nachrichten. Ist er ein Kommunikationsgenie?
Filipovic: Ja, denn er schafft es, seine Aussagen auf wenige Worte zusammenzufassen, die jeder versteht und die sogar bestens in 140 Twitter-Zeichen passen. Das führt aber auch dazu, dass es relativ einfache Botschaften sind, die viel versprechen und die offen sind für Interpretationen. Seine Art zu kommunizieren und vor allem die Menschlichkeit, die in seinen Äußerungen deutlich wird, begeistern die Menschen.
Franziskus verlangt von Geistlichen, dass sie auf die Menschen zugehen. Wie kann es da sein, dass es immer noch Bischöfe wie den Augsburger gibt, die den Umgang mit Medien scheuen?
Filipovic: Ob der Augsburger Bischof medienscheu ist oder nicht, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber auf jeden Fall gilt: Nicht jeder Mensch ist in der Lage, seine Scheu einfach abzulegen.
Ein Bischof ist eine öffentliche Person und hat qua Amt Vorbildfunktion.
Filipovic: Bischöfe werden nicht unbedingt danach ausgesucht, ob sie den Umgang mit Medien beherrschen. Heutzutage bräuchte man dennoch mehr Bischöfe, die sich leichter tun in der Medienöffentlichkeit und offensiv kommunizieren. Ich wünsche mir auch Bischöfe, die twittern und die unkompliziert ansprechbar sind. Das muss sich erst langsam durchsetzen.
In der öffentlichen Diskussion über Tebartz-van Elst oder den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff hieß es häufig: Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein; Medien seien unbarmherzig.
Filipovic: In der Berichterstattung über Tebartz-van Elst oder Wulff konnte man teilweise eine gewisse Unbarmherzigkeit beobachten. Die wurde dort deutlich, wo nicht zwischen Tat und Person unterschieden worden ist. Journalisten haben jedoch die Aufgabe zu differenzieren: Sie müssen Fehler klar benennen, dürfen aber nicht einen Menschen an den Pranger stellen. Für mich sind die Diskussionen über mediale Grenzüberschreitungen ein Hinweis darauf, dass die Gesellschaft nach Formen sucht, öffentlich über Moral zu reden. Es scheint ein Gefühl zu geben, dass die Kommunikation schrankenlos geworden ist, dass jeder jeden verurteilen kann.
Wulffs Verhalten ist realitätsfremd
Christian Wulff sieht sich als Opfer eines „Meinungskartells“. Er sei von der „Bild“-Zeitung und anderen zum Rücktritt gezwungen worden, sagte er kürzlich dem „Spiegel“: „Ich war einigen mächtigen Medienschaffenden zu unbequem geworden.“ Diese hätten sich etwa an seinem Satz, der Islam gehöre inzwischen zu Deutschland, gestört. Ist das nicht eine Verschwörungstheorie?
Filipovic: Das ist eine ganz seltsame Sache. Wulff nutzt jetzt offenbar eine Medienschelte, um sich komplett zu rechtfertigen, nach dem Motto: Alles, was ich gemacht habe, war doch gut, und nur die Medien sind schuld an meinem Rücktritt. Das ist realitätsfremd und wohlfeil. Denn die Dinge, die er getan hat – die Halb- oder Unwahrheiten gegenüber dem niedersächsischen Landtag, der Anruf bei Bild-Chefredakteur Diekmann – waren Unrecht oder gehören sich für einen Staatsmann nicht.
Wulff kämpft um seine Ehre: mit seinem Buch „Ganz oben Ganz unten“, im Interview mit dem „Spiegel“ oder in der ZDF-Talkshow „maybrit illner“. Tut er sich damit einen Gefallen?
Filipovic: Wulff übertreibt. Dieser massive mediale Auftritt ist meines Erachtens zu viel. An seiner Stelle hätte ich länger gewartet und erst in kleineren Kreisen thematisiert, wie Medien in bestimmten Situationen agieren. Das kann man durchaus zum Thema machen. Wulff hätte das aber nicht so massiv verbinden sollen mit der Wiederherstellung seines Rufs und seiner Ehre.
Wulff fordert nun: „Die Regularien des Presserats sollten überdacht werden.“ Waren Medien, gerade im Falle Wulffs, nicht besonders selbstkritisch?
Filipovic: Wenn die Selbstkritik der Medien erst anfängt, wenn nichts Neues über eine Geschichte geschrieben werden kann, muss ich das als Medienethiker kritisieren. Bei Wulff konnte man sehen: Als die Sache gegessen war, als er also zurückgetreten war, haben die Medien begonnen zu fragen: Haben wir nicht zu viel berichtet? Hätten wir nicht ...? Man müsste aber schon während einer Berichterstattung Selbstkritik üben können. Doch auch das gab es im Falle Wulffs.
Mit der Bitte um kurze Antworten: Sind die Medien barmherzig oder unbarmherzig umgegangen ...
... mit Uli Hoeneß?
Filipovic: Relativ barmherzig. Es herrschte wohl der Eindruck, dass er das Herz am rechten Fleck hat, obwohl er massiv Steuern hinterzog.
... mit Alice Schwarzer?
Filipovic: Relativ unbarmherzig. Weil bei ihr der Vorwurf von Doppelmoral gezogen hat.
... mit Karl-Theodor zu Guttenberg?
Filipovic: Relativ unbarmherzig. So wie bei Alice Schwarzer.
... mit Annette Schavan?
Filipovic: Gemischt. Hinzu kam, dass die Öffentlichkeit zunehmend genervt war von Plagiatsjägern.
Die Privatsphäre Schumachers wurde massiv verletzt
... mit Michael Schumacher?
Filipovic: Seine Privatsphäre wurde massiv verletzt, indem sein Krankenhaus oder seine Familie belagert wurden. Abgesehen davon würde ich sagen, dass es bei Schumacher zu einer Überberichterstattung kam.
Was verbindet alle Genannten?
Filipovic: Sicher interessiert das Drama von Aufstieg und Fall. Ich glaube aber auch, dass in allen Fällen an einem gewissen Punkt die Selbstreflexion der Medien eingesetzt hat. Und ich glaube: Mediennutzer erwarten stärker, dass Medien mit Einzelpersonen sensibler umgehen. Das mag auch mit dem Fall Wulff zusammenhängen.
Das Gespräch führte Daniel Wirsching.