Schuhe fliegen, wüste Beschimpfungen liegen in der Luft: Als gestern Morgen der Gefangenentransporter den Tatverdächtigen im Vermisstenfall April Jones am Bezirksgericht in Wales vorfährt, hat die Polizei Mühe, den Zorn der Passanten in Zaum zu halten. Vor einer Woche ist die Fünfjährige spurlos verschwunden. Von Mord gehen die Beamten aus, doch die Leiche fehlt. Und ihr mutmaßlicher Peiniger schweigt beharrlich. Nur vier Minuten dauert die Anhörung beim Haftrichter; vier Minuten, in denen Mark B. tränenreich seinen Namen und Wohnsitz bestätigt.
Dann wird der 46-jährige Verdächtige zurück durch die schimpfende Menge ins Gefängnis transportiert. Über 50 Menschen aus Aprils Heimatdorf Machynlleth waren trotz der frühen Uhrzeit in die Kreisstadt gekommen, um ihrem Frust Luft zu verschaffen.
Zeugen sahen April in einen Geländewagen steigen
April Jones war am Montag vergangener Woche nach dem Spielen nicht nach Hause zurückgekehrt. Ausnahmsweise hatte sie an dem Nachmittag, so die Mutter, länger draußen bleiben dürfen als Belohnung für ihre guten Leistungen in der Vorschule. Noch am Abend beginnt die Mutter mit Freiwilligen die hektische Suche nach der Fünfjährigen.
Am nächsten Tag, als die Polizei mit einem Großaufgebot die kleinen Ortschaften in Wales durchkämmt, ist klar, dass April Jones etwas passiert sein muss. Zeugen berichten, dass sie freiwillig in einen Geländewagen gestiegen sei. Gerüchte machen die Runde: In sozialen Netzwerken glauben viele Dorfbewohner, dass „Zugezogene“ oder „Ausländer“ hinter der Kindesentführung stecken könnten. Doch der mutmaßliche Täter kommt, daher auch der große Zorn, direkt aus der Mitte dieser engmaschigen Gemeinde von Machynlleth. Mark B. ist ein Freund der Familie, hat mit Aprils Vater oft im Hof die Motorräder repariert. Er hat selber kleine Kinder – und war laut Medienberichten am Tag der Entführung, genau wie Aprils Mutter, beim Elternsprechtag in der Vorschule gewesen.
Verdächtiger wird geschnappt
Der Verdacht fällt auf ihn, weil er in der dünn besiedelten Region einen Geländewagen fährt, der genau wie das beobachtete Auto aussieht. 24 Stunden nach dem Verschwinden des Mädchens wird er festgenommen – die Polizei greift ihn bekleidet mit einer Tarnjacke und einer wasserdichten Angelhose am Flüsschen Dyfi auf. Doch wo ist April Jones?
Mark B. schweigt. Weder macht er Angaben zum Verbleib des Kindes, noch legt er ein Geständnis ab. „Uns wird schlecht bei dem Gedanken, dass er weiß, was mit April ist und nichts sagt“, so Jazmin Jones, ältere Schwester der Vermissten. Eine Hausdurchsuchung hat die Polizei indes zu dem Schluss gebracht, dass das Mädchen tot ist. Ihre Leiche ist allerdings auch am Wochenende trotz ausgedehnter Suchaktionen mit Spürhunden und Polizeitauchern nicht gefunden worden.
Das Mädchen benötigt täglich Medikamente
Aprils Mutter Carol Jones hat sich daher gestern auf Facebook noch einmal in einem dramatischen Appell an die Öffentlichkeit gewandt: Sie glaubt, dass April noch lebt. Die Zeit läuft, aus vielerlei Gründen: Das Kind leidet an einer milden Form von Kinderlähmung und benötigt täglich Medikamente. Sollte April noch leben und Mark B. sie versteckt haben, gibt es derzeit keinen, der sich um sie kümmert: Der Verdächtige darf das Gefängnis vorerst nicht verlassen.
Unterdessen berührt April Jones Schicksal Menschen in der ganzen Welt. Eine Kirche aus Texas hat der Kommune Geld für die Suche gespendet; in der örtlichen Pfarrei sind tröstende Worte selbst aus Südafrika und Neuseeland ausgestellt.