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Interview: Ex-Prostituierte: "Es ist einfach nur ekelhaft"

Interview

Ex-Prostituierte: "Es ist einfach nur ekelhaft"

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    Lisa Müller, Ex-Prostituierte aus der Nähe von Pforzheim.
    Lisa Müller, Ex-Prostituierte aus der Nähe von Pforzheim. Foto: Heider

    In dem Künstlercafé in Stuttgarts Innenstadt fällt sie auf. Sie ist einen Tick zu stark geschminkt. Zerbrechlich wirkt Lisa Müller, wie eine Glasfigur. Sie spricht schnell, ihre Worte klingen oft hart. Die 20-Jährige hat als Prostituierte gearbeitet. Freiwillig, getrieben vom Wunsch nach Selbstbestätigung und schnellem Reichtum hat sie schon als 14-jähriges Kind ihren Körper verkauft. Irgendwann hörte sie auf damit, als sie spürte, dass das Geschäft sie zerstörte. Jetzt hat sie ein Buch („Nimm mich, bezahl mich, zerstör mich!“, Schwarzkopf &

    Ja, Frau Müller, wie waren Sie denn drauf mit 14?

    Lisa Müller (lacht): Na, im Nachhinein schon ein wenig crazy. Aber damals war das für mich normal. Ich war jung und naiv.

    So naiv klingt das im Buch gar nicht. Eher ziemlich ausgebufft. Es geht in ihrem Teenagerdasein nur um zwei Dinge – um Sex und um Geld.

    Müller: Ja, so war es.

    Woher kam dieser Wunsch?

    Müller: (Sie kramt ein Foto aus ihrer Tasche und schiebt es mit den Worten über den Tisch: „Das war ich als Zehnjährige.“ Zu sehen ist ein fröhliches, aber pummeliges Mädchen) Sehen Sie, in dieser Zeit fühlte ich mich hässlich und ich brauchte Bestätigung. Das ließ sich mit Geld gut verbinden. Und so nahmen die Dinge ihren Lauf.

    Sie wuchsen auf dem Dorf in Baden-Württemberg auf. Klar, das Piefige, Spießige nervt einen dort in diesem Alter. Aber muss man als Ausbruchsvariante gleich auf den Strich gehen?

    Müller: Ich hatte mit meiner Mutter einen Film zum Thema Babystrich gesehen. Obwohl er abschreckend war, hat er mich fasziniert. Den hatte ich immer im Hinterkopf. Und als ich mit 14 die Chance hatte, dachte ich mir, die nutze ich und mache es für Geld. Der Schritt dahin war für mich nicht groß.

    Ich kann es immer noch nicht verstehen? Wie sah denn damals das Innenleben der kleinen Lisa aus?

    Müller: Ich hatte mit 13 erstmals Sex. Dann aber gleich mit mehreren Typen hintereinander. Für mich machte es keinen großen Unterschied, dafür dann auch Geld zu verlangen.

    Es gab bei Ihnen offenbar ein extremes Bestätigungsdefizit. Woher diese Sucht nach Aufmerksamkeit? Sind Sie als Kind gehänselt worden?

    Müller: Nein, gar nicht. Aber als ich schlank war, wollte ich einfach, dass mir das andere bestätigen und mich toll fühlen. Das war auch ein Wettkampf zwischen Freundinnen. Wer die meisten Männer hatte, war die Beste. Und dann kam die Kohle dazu, da schwang dann auch noch etwas Geheimnisvolles mit, so nach dem Motto: Du bist ganz toll, weil jemand Geld für dich bezahlt.

    Bereuen Sie das Leben als Hure heute?

    Müller: Die Zeit hat mich geprägt, mich vorzeitig erwachsen, aber auch selbstbewusst gemacht. Ich stehe zu meiner Vergangenheit. Trotzdem möchte ich andere Mädchen davor warnen, dasselbe zu tun. Ich hatte sehr viel Glück: Ich lebe noch, und ich bin gesund. Das ist nicht selbstverständlich – wie gefährlich das Ganze war, ist mir erst heute klar.

    Sie haben keine Angst, durch das Buch stigmatisiert zu werden?

    Müller: Nein. Wenn ich da nicht drüberstehen würde, könnte ich das gar nicht machen. Was andere über mich denken, ist mir inzwischen völlig egal.

    Ich kann es nicht glauben. Aber gut. Sie schreiben, dass Sie zweimal vergewaltigt wurden. Einmal von einem Freund, einmal von einem Freier. Wie gehen Sie heute damit um?

    Müller: Ich habe zumindest das mit dem Freier schnell verarbeitet. Ich hoffte einfach, dass es nicht wieder passiert. Aber es war kein Grund für mich aufzuhören.

    Was ist seelisch zurückgeblieben?

    Müller: Männerhass.

    Aber Sie machten es doch freiwillig?

    Müller: Stimmt schon, aber die Männer dachten, ich hätte dabei viel Spaß. Aber das ist nicht wahr. Keine Prostituierte hat Spaß dabei. Das müssen Männer einfach mal kapieren. Es ist einfach nur ekelhaft.

    In Ihrem Buch heißt es, es gab viele Männer, die mehr Geld bezahlten, wenn Sie ihnen Ihre Minderjährigkeit mit dem Ausweis bestätigten. Was sind das für Typen?

    Müller: Die sehen ganz normal aus – nicht anders als Sie. Unternehmensberater, Manager, Ärzte – alles bunt gemischt. Das ist ja das Gemeine, dass man denen ihre Abartigkeit nicht ansieht.

    Haben Sie zurzeit einen Freund?

    Müller: Ja. Er behandelt mich aber als Mensch und nicht als Lustobjekt. Darum ist alles gut.

    Ihr Vater starb vor einigen Jahren. Was sagt Ihre Mutter zu Ihrer Vergangenheit?

    Müller: Erst seit sie erfahren hat, dass ich mit meinem echten Namen und meinem Foto auf dem Buchcover an die Öffentlichkeit gehe, spricht sie nicht mehr mit mir. Aber ich glaube, es ist nur der Schock. Das wird sich wieder einpendeln.

    Spielt Geld nach wie vor eine so dominante Rolle?

    Müller: Nein. Ich muss mit dem auskommen, was ich verdiene. Zwar geistert mir immer mal wieder der Gedanke durch den Kopf, mit ein zwei Männern die Kasse aufzubessern, aber bisher habe ich ihn immer verworfen. Ich weiß, dass ich mich dabei selbst kaputtmachen würde.

    Was machen Sie heute?

    Müller: Ich arbeite in einem Büro. Ab September will ich auf die Abendschule gehen, in vier Jahren Abitur nachmachen. Später würde ich gerne Psychologie studieren.

    Was würden Sie Eltern raten, die feststellen, dass ihre Tochter am Abgleiten ins Milieu ist?

    Müller: Ich glaube, dass es viele Mädchen gibt, die heimlich als Prostituierte arbeiten. Eltern sollten wissen, was ihre Kinder so im Internet treiben. Vor allem, welche Bilder sie von sich ins Netz stellen.

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