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Kult-Band: Ein letztes Mal "The Who"?

Kult-Band

Ein letztes Mal "The Who"?

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    Ein letztes Mal "The Who"?
    Ein letztes Mal "The Who"? Foto: Erik Petersen dpa

    Der verwitterte Mann im abgetragenen T-Shirt greift zur Geldbörse. Ein Hundert- und ein Fünfzig-Euro-Schein verschwinden in der Lade der Abendkasse an der Stuttgarter Schleyer-Halle. Der Fan registriert hochgezogene Augenbrauen in seiner Umgebung, spürt Erklärungsbedarf: „Kann man schon mal machen. Dritte Reihe – ist okay.“ Und: „Die kommen doch erst in zehn Jahren wieder.“

    Der Gag war gut. The Who in zehn Jahren? Pete Townshend wird 81 Jahre alt sein, Roger Daltrey 82. Schwer vorstellbar, dass sie dann noch „My Generation“ anstimmen. Hope I die before I get old.

    Andererseits: Wer hätte vor fünfzig, vierzig, dreißig Jahren erwartet, dass Bands wie die Who oder die Rolling Stones, die doch vor allem für jugendliches Aufbegehren standen, im Jahr 2017 noch aktiv sind? Bands, die sich einst nach dem Prinzip „Teenager müssen lieben, was Eltern hassen“ vermarkteten.

    Und jetzt? Die Dinosaurier ziehen immer noch erfolgreich über die Bühnen der Welt. Ihr Erfolgsrezept heute? Rentner müssen lieben, was sie an ihre Jugendtage erinnert? Ein Teil der Mixtur. Ein anderer: Auch die Generation Silberhaar braucht Vorbilder. Figuren, die zeigen: Geht doch noch. Der 70. Geburtstag ist kein Grund, sich in den rocking chair zu verkrümeln.

    Pete Townshend lässt den Gitarrenarm kreisen.
    Pete Townshend lässt den Gitarrenarm kreisen. Foto:  Hannah Mckay (dpa)

    Die Who-Protagonisten sind bemüht, selbst müdesten Männern wieder Munterkeit zuzuspielen. In den ersten Reihen des komplett bestuhlten Parketts stehen sie jedenfalls gegen Ende des Konzerts fast alle. Dabei hatte Pete Townshend doch gleich zu Beginn geklagt, es sei „fucking hot“. Was seinen Elan aber nicht auffallend bremste. Die Gitarre windmühlenmäßig bearbeiten – geht immer noch. Ein Luftsprung – auch noch drin. Ein kleiner zumindest, gegen Schluss zu.

    Daltrey liefert die Hitze in der Halle sogar eine gute Begründung, das Hemd weit zu öffnen, wie einst die blanke Brust zu zeigen. Die noch gut modelliert ist. Dazu ein weiterer aufgeschnappter Gesprächsfetzen nach dem Konzert. „Sieht noch gut aus“, sagt eine gereifte Dame. Aber sie vermutet, dazu habe die Kunst des Chirurgen mit beigetragen.

    Bruststraffung bei alten Rockern? Hm … Ausschließen kann man in dem Geschäft nichts. Daltrey und Townshend dürften ihr vitales Auftreten aber vor allem geänderten Lebensgewohnheiten verdanken. Insbesondere Townshend wirkt gesünder als in Jugendtagen. Auch nicht mehr so griesgrämig. Hier ein Scherzchen, da ein schelmischer Verweis auf Deutsch-Kenntnisse, die er sich in gemeinsamen Schultagen mit Daltrey angeeignet hat.

    Ja, das Who-Duo blickt gerne zurück. Die Rolling Stones tun so, als hätten sie „Jumpin’ Jack Flash“ erst vergangene Woche komponiert. Bob Dylan blendet seine Vergangenheit weitgehend aus, spielt mehr Sinatra-Covers als eigene alte Songs. The Who dagegen bekennen sich zur Nostalgie. Schon vor Konzertstart. Auf der Leinwand ist zu lesen, wann sie zum letzten Mal hier waren (November 1975), welche Songs sie spielten, wer als Vorgruppe auftrat (Steve-Gibbons-Band). Weitere Vorspann-Texte erinnern an die verstorbenen Ur-Who Keith Moon und John Entwistle. Während der Show erklären die beiden Verbliebenen beflissen, aus welcher Zeit der nächste Song stammt, wie er im Gesamtwerk einzuordnen ist.

    Ihre beste Platte verdanken The Who einem gescheiterten Projekt

    The Who waren einmal eine kleine, krachende, krawallige Combo. Townshend schrieb für sie Mitte der sechziger Jahre Zweieinhalb-Minuten-Meisterwerke über Freud und Leid der Jugendzeit. Später wollte er mehr, wollte Kunst schaffen. „Tommy“, die wirre Geschichte vom blinden Taubstummen, war 1969 ein Riesenerfolg. Das noch verschwurbeltere „Quadrophenia“ (1973) konnte nicht mehr ganz daran anknüpfen. Ließ sich aber als Film noch gut vermarkten. Mitte der siebziger Jahre hatten The Who ihren Zenit überschritten. Seit 1980 sind unter dem Namen Who noch drei Studio-Alben erschienen, an die sich kaum einer erinnert.

    Ihre beste Platte verdanken The Who einem gescheiterten Projekt. Aus den Überbleibseln von „Lifehouse“, einer weiteren Rock-Oper, bastelten sie 1971 „Who’s next“. Mit vier Songs jetzt das Rückgrat der Show. Dazu eine Tommy- und Quadrophenia-Sektion und ein paar frühe Hits (auch „My Generation“) – fertig ist die zweistündige Tour de Nostalgie.

    The Who haben früh ihren Ruhm durch begeisternde Live-Auftritte gemehrt. Sie zehren davon noch heute. Sechs Musiker, darunter Townshends Bruder Simon an der Gitarre und Zac Starkey (Sohn von Ringo Starr), der den Schlagzeug-Derwisch im Geiste Moons gibt, unterstützen Daltrey und Townshend. Ein perfekt eingespieltes Team, das die Songs werkgetreu wiedergibt. Platz für Überraschungen – keiner. Vermutlich will das die Mehrzahl der Besucher in der gut gefüllten Halle gar nicht. Abgesehen von einem Durchhänger (wer will „Eminence Front“ vom späten Album „It’s Hard“ hören, wer das Instrumental „The Rock“ von „Quadrophenia“?) eine ordentliche Vorstellung. Hundertfünfzig Euro wert? Die Antwort findet jeder für sich.

    Aus Deutschland, das sie sehr lieben, wie Townshend und Daltry am Ende überschwänglich versichern, verabschieden sich The Who mit dem Auftritt in Stuttgart. Angeblich für immer. Oder doch nur für zehn Jahre? Wer weiß das schon bei einer Band, die ihre erste Abschiedstournee 1982 bestritten hat.

    Weiter geht es jetzt im Oktober mit einem Festival in Kalifornien. Dort auch dabei: die Stones, Dylan, Paul McCartney, Roger Waters und Neil Young. Keiner unter siebzig. Motto: Geht doch noch.

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