Die Momente größter Verzweiflung befallen Natascha Kampusch, wenn sie eine der seltenen Chancen zur Flucht nicht genutzt hat. Im Baumarkt, im Garten, auf der Skipiste scheint sich für Sekunden ein Spalt zur Freiheit zu öffnen. Aber sie wirkt wie gelähmt oder ihr Gegenüber versteht kein Deutsch. Am Ende wird sie achteinhalb Jahre in der Hand ihres Entführers Wolfgang Priklopil gewesen sein. 3096 Tage war ein fünf Quadratmeter kleiner Kellerraum in einem Einfamilienhaus nahe Wien ihr Gefängnis. Sie hatte die Hoffnung nie aufgegeben. "Es war klar, nur einer von uns beiden würde überleben. Und am Ende war ich es, nicht er."
Der Film bekam teils begeisterte Kritiken
Die Verfilmung ihres Schicksals - "3096 Tage" - lief im vergangenen Jahr in den deutschen Kinos. Rund 550 000 Zuschauer haben sich den Film von Regisseurin Sherry Horman ("Wüstenblume") angesehen, der teils begeisterte Kritiken bekam. Jetzt zeigt die ARD das 109-minütige Drama am Mittwoch, 22.45 Uhr in der Reihe "Sommerkino". Es eignet sich aber nicht für eine seelenruhige Nacht danach.
Intensiv und beklemmend ist der Film - eine Szenenfolge voller seelischer und körperlicher Gewalt. Jeden "Ungehorsam" seines Opfers bestraft der arbeitslose Nachrichtentechniker Priklopil (Thure Lindhardt) mit Schlägen. Er lässt das Kind allein und in völliger Ungewissheit über sein Schicksal in dem Kellerverlies, das er über Monate hinweg akribisch geplant und gebaut hat. Er hat das Mädchen als Zehnjährige auf dem Schulweg entführt, um über die Jahre ein Wesen nach seinen kranken Vorstellungen zu formen.
Ihr Entführer ist die einzige Bezugsperson für Natascha Kampusch
"Ich bin dein Vater, deine Mutter, deine Großmutter. Ich bin deine Familie", schreit er das Kind an, dessen einzige Bezugsperson er fortan ist. Doch das Kind reift zur jungen Frau (Antonia Campbell-Hughes), die im Innersten unbeugsam bleibt, auch wenn sie sich seinen sexuellen Wünschen fügen muss. Priklopil, der selbst unter der Fuchtel seiner Mutter steht, quält sein Opfer jahrelang mit Hunger. Wie eine Magersüchtige sieht Natascha Kampusch aus, wenn sie ein kleines Stück Tomate ganz bewusst kaut. Zum 18. Geburtstag - nach 2908 Tagen Gefangenschaft - gönnt ihr Priklopil zynisch eine große Geburtstagstorte.
Am 23. August 2006 kann die junge Frau durch das versehentlich offene Einfahrtstor fliehen. Sie sucht verzweifelt Hilfe. In einer nahen Kleingartenkolonie wird sie von einer Frau angeraunzt: "Was machen Sie in meinem Garten?". Immerhin ruft sie die Polizei. Der Entführer begeht Stunden später Suizid.
Natascha Kampusch begleitete den Kinostart mit öffentlichen Auftritten
Der Kinostart war begleitet von intensiver Öffentlichkeitsarbeit. In Interviews im Fernsehen und mit Zeitungen schilderte Kampusch ihr Leid, ließ sich für Magazine gut gestylt fotografieren. Ihr meist sehr gefasstes Auftreten und der offene Umgang mit ihrem Schicksal provozierte in Österreich manchmal eher Hass als Empathie.
Als im Mai 2013 in Cleveland im US-Bundesstaat Ohio ein Mann gefasst wird, der drei Frauen zehn Jahre lang in seiner Gewalt gehalten haben soll, meldet sie sich zu Wort. Um nach solchen Erlebnissen weiterzuleben, müsse man den Hass auf den Täter begraben, sagte die damals 25-jährige Kampusch in einem CNN-Interview.
Matthias Röder, dpa